Sabalenka gewinnt die Australian Open: Sieg der donnernden ...

28 Jan 2023

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es waren zwei Stunden und 25 Minuten gespielt, als Aryna Sabalenka an die Grundlinie schritt, sie wirkte selbstsicher, und das konnte sie sein. Sie hatte sich einen riesigen Vorteil erarbeitet. Sie führte mit einem Break in diesem dritten und letzten Satz, 5:4 hieß es. Würde sie nun einfach nur dieses eine Aufschlagspiel durchbringen, wäre sie die neue Australian-Open-Siegerin. Aber was ist schon leicht in so einem Augenblick?

Tatsächlich, sie erkämpfte sich den ersten Matchball, es war 22.07 Uhr an diesem sommerlichen Samstagabend, ein paar Möwen hatten am Himmel über der Rod Laver Arena geschnattert und gemotzt, der Himmel schimmerte erst grau, dann dunkel, es war zum Glück trocken geblieben, das ausfahrbare Dach wurde nicht benötigt. Sabalenka machte nun das, was sie hasst, was ihr aber immer wieder mal passiert: einen Doppelfehler. Sie erspielte sich einen zweiten Matchball - ihr Vorhandball landete im Seiten-Aus. Dritter Matchball, es war jetzt eine Nervensache. Nun unterlief ihr ein Rückhandfehler. Auf einmal hatte ihre Gegnerin, die Wimbledonsiegerin Elena Rybakina, 23, die in Moskau geboren wurde und seit einigen Jahren für Kasachstan antritt, einen Breakball. Binnen sieben Monaten hatte sie ihr zweites großes Endspiel erreicht. Doch Sabalenka wehrte diesen Breakball ab, sie ging sofort wieder in die Offensive, und als sie ihren vierten Matchball hatte, war sie erfolgreich.

Rybakina schlug den Ball ins Aus, Sabalenka warf sich, als das 4:6, 6:3, 6:4 feststand, auf den Rücken - und blieb erst einmal sekundenlang liegen. Sie schlug die Hände übers Gesicht, sie schluchzte. Natürlich hatte man solche Emotionen schon öfter hier gesehen, in Melbourne, 2016 etwa lag die Deutsche Angelique Kerber am Boden, vor Freude. Aber Sabalenka, 24, aus Minsk, ist neu als Grand-Slam-Gewinnerin, sie erlebte nun ihrerseits zum ersten Mal diesen Augenblick. Tränen schimmerten in ihren Augen, immer wieder schüttelte es ihren Körper durch.

Sabalenka gewinnt die Australian Open: Neu als Grand-Slam-Gewinnerin: Aryna Sabalenka, 24, wurde nach dem genutzten vierten Matchball von ihren Emotionen durchgeschüttelt.

Neu als Grand-Slam-Gewinnerin: Aryna Sabalenka, 24, wurde nach dem genutzten vierten Matchball von ihren Emotionen durchgeschüttelt.

(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)

1,94 Millionen Euro wird die Belarussin erhalten, für Rybakina bleiben erträgliche 1,06 Millionen Euro. Sabalenka wird ab Montag die neue Nummer zwei der Weltrangliste sein, in dieser Saison ist sie nun in elf Matches unbesiegt. Spielt sie wie in Melbourne in den vergangenen zwei Wochen, ist sie der Maßstab ihres Sports.

Aus den Händen von Billie Jean King, die zu den Gründerinnen der Frauenprofitour zählt, nahm Sabalenka die Trophäe entgegen, den Daphne Akhurst Memorial Cup, "das ist so eine Ehre, ihn von dir zu überreicht zu bekommen", sagte Sabalenka, die in der Folge ziemlich viel kicherte und sich sehr viel bedankte. Sie war überwältigt. Es gab schon beeindruckendere Reden, das ist jetzt natürlich etwas streng, die Chinesin Li Na hat mal 2014 das ganze Stadion minutenlang großartig unterhalten.

Sabalenka hatte aber dafür an anderer Stelle geglänzt, und nur darauf kam es an. Sie hat mit einer Art Tennis diesen bedeutsamen Titel errungen, die in dieser Phase eines Grand-Slam-Turniers neu ist. Oder zumindest hat man es so lange nicht erlebt. Es ist ein brachiales Tennis, das in den besten Momenten nicht mal die legendäre Serena Williams so umzusetzen wusste.

Viele Punkte erzielen die Finalistinnen mit maximal vier Schlägen

Was wirklich bahnbrechend ist: Bei Sabalenka gibt es quasi kaum lange Ballwechsel. Es gibt auch kaum mittellange Ballwechsel. In der australischen Tageszeitung The Age hatte der renommierte Tennisdaten-Analyst Craig O'Shannessy interessante Zahlen veröffentlicht. Sowohl Sabalenka als auch Rybakina erzielten auf ihren Wegen ins Finale mehr als 70 Prozent ihrer Punkte in Ballwechseln mit maximal vier Schlägen. "Die ersten zwei Schläge wirken sich für beide Spielerinnen mehr aus als alle anderen Schläge, die folgen", schrieb O'Shannessy, der bereits mit Novak Djokovic zusammengearbeitet hat.

Er sieht gar eine neue Ära bei Frauen kommen. Wobei da sicher auch eine Rolle spielt, dass dominierende Spielerinnen wie Ashleigh Barty aufgehört haben oder wie die schwangere Naomi Osaka sich eine Auszeit nehmen. Ob sich dieses kraftvolle Tennis dauerhaft durchsetzt, ist die Frage. In Melbourne tat es das.

Sabalenka gewinnt die Australian Open: Fortwährend unter Druck: Elena Rybakina kam nur selten dazu, das Match selbst zu diktieren.

Fortwährend unter Druck: Elena Rybakina kam nur selten dazu, das Match selbst zu diktieren.

(Foto: Cameron Spencer/Getty)

Viele Ballwechsel im Finale waren sehr, sehr kurz, wobei auffiel: Diejenige, die mehr Kontrolle zeigte bei diesem Spiel am Limit, war dann meist im Vorteil. Der erste Satz gehörte deshalb auch Rybakina. Sabalenka agierte in diesem Durchgang ziemlich wild, bei ihr wirken viele Aktionen wie eine Gratwanderung. Schon die ersten zwei Punkte im ersten Satz waren die Blaupause ihrer Leistung: Doppelfehler, Ass. Hopp und topp. Es gab drei Breaks in dem Satz, drei Aufschlagverluste. Rybakina, 1,84 Meter groß und damit zwei Zentimeter größer als Sabalenka, knackte Sabalenka bei 4:4, Break zum 5:4, sie servierte sicher aus zum 6:4.

Ab dem zweiten Satz gilt: Sabalenka hämmert drauf - und trifft

Wie O'Shannessy es dargestellt hatte, sah jetzt die Statistik aus: Bei nur vier von 53 ausgetragenen Punkten ging der Ballwechsel über mehr als neun Schläge. 40 Mal hieß es: 0 bis 4 Schläge. In dieser Art wurde dieses Duell bis zum Ende ausgetragen. Es war vor allem beeindruckend, wie Sabalenka operierte. Sie hatte nun überwiegend die Kontrolle über ihre donnernden Schläge, die fast immer von furchteinflößenden Lauten begleitet wurden. Man konnte Angst kriegen bei mancher Schlag-Schrei-Vorführung. Die 15 000 Zuschauer raunten dann gerne mal halb amüsiert, halb erschrocken.

Die Partie hatte ab dem zweiten Satz mehr oder weniger nur noch einen Verlauf: Sabalenka hämmerte drauf, und zwar nicht dann, wenn sich eine Chance ergab. Sondern quasi immer. Rybakina bekam kaum Luft zum Atmen. Sie war meist unter Druck. Sabalenka stresste sie permanent. Andere schalten etwa beim Return langsam den Gang hoch, erster Gang, zweiter, dritter - Sabalenka schaltete gleich in den vierten, manchmal auch in fünften - als verfügte sie über einen Knopf für eine Art Turboboost-Funktion. Das hier war aber real. 6:3 für Sabalenka, es ging in den Entscheidungssatz.

Ein bisschen merkwürdig war das Spiel aber auch, denn Rybakina spielte leise vor sich hin, man nahm sie fast nicht wahr, weil Sabalenka mit ihren Donnergeschossen und Geräuschen das ganze Stadion akustisch ausfüllte. Jetzt blieb es eng, 1:1, 2:2, 3:3. Dann nahm Sabalenka ihrer Gegnerin den Aufschlag zum 4:3 ab. 5:4 - und das letzte lange Aufschlagspiel in dieser hochklassigen Partie folgte.

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