Sabalenka bei den Australian Open: Die Löwin kontrolliert ihre ...

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es war noch nicht ganz Mitternacht, als Aryna Sabalenka um die Ecke schritt und zum Stuhl abbog, auf dem die Profis im Main Interview Room sitzen und auf die Fragen der Berichterstatter antworten. In der linken Hand hielt sie den Pokal, den Daphne Akhurst Memorial Cup, benannt nach einer australischen Spielerin vor 100 Jahren. Am Sonntagmorgen sollte Sabalenka beim Fotoshooting im Botanischen Garten dann ein Kleid anhaben, das wie eine Hommage an jene alten Zeiten erinnerte - aber jetzt, zwei Stunden nachdem sie sich in der Rod Laver Arena auf den Rücken hatte fallen lassen, erschien sie in Sportkleidung.

In der rechten Hand jonglierte sie ein Glas Champagner, sie kicherte. "Soll ich stehen?", fragte sie Craig Tiley. Der Turnierdirektor gab ein Zeichen, sie möge sich setzen, Sabalenka sah ins Auditorium. Viele Journalisten hielten ebenfalls eine Champagnerflöte hoch, diese Aufforderung zum Anprosten ließ sich Sabalenka nicht zweimal übermitteln. "Ihr wollt, dass ich trinke?", sagte sie, schon nippte sie am Glas. Nein, sie fackelt nicht lange. So spielt sie ja auch Tennis.

Aryna Sabalenka ist also die Gewinnerin der Australian Open. Die 24 Jahre alte Belarussin aus Minsk bezwang in Melbourne die Wimbledonsiegerin Elena Rybakina, 23, mit 4:6, 6:3, 6:4. Ihr erster Grand-Slam-Triumph war einerseits erstaunlich, andererseits nicht. In der Branche wusste jeder, dass diese schlaggewaltige, wie unter Strom stehende 1,82 Meter große Frau längst bei einem der vier Majors hätte abräumen müssen. Aber die Wege in der Sportwelt nach ganz oben sind kompliziert. Oft sind es Zweifel, die größtmögliche Taten verhindern, auch Sabalenka meinte, sie hätte gezweifeltt, sie habe gelernt, sich selbst "mehr zu respektieren". In ihrem Fall aber musste sie vor allem eines in den Griff kriegen: ihre unbändige Energie.

Das Löwen-Tattoo passt: Ihr Tennis ist stark von Instinkten geprägt, von einem Drang, ihren Sport wie eine Jagd zu verstehen

Sabalenka hat sich einen riesigen Löwenkopf auf den Unterarm tätowieren lassen, dieses Motiv passt gut zu ihr. Die Art, wie sie Tennis spielt, ist stark von Instinkten geprägt, von einem Drang, ihren Sport wie eine Jagd zu verstehen. Löwen sind Meister in Effizienz, sie achten darauf, keinen Schritt zu viel machen. Genau daran mangelte es Sabalenka. Ihr fehlte oft die Balance zwischen Aufwand und Ertrag. In Melbourne hat sie beides in Einklang gebracht. Sie hämmert immer noch, von lauten Schreien begleitet, die oft genug die Zuschauer erschrecken, auf die Bälle, aber sie hat dabei mehr Kontrolle, mehr Plan. Insbesondere ihre Spieleröffnung, der Aufschlag, ist deutlich stabiler geworden.

Es kursiert nun die Interpretation, dass Sabalenka ihre Dämonen besiegt habe, und so ist es, auch wenn das Bild abgegriffen wirken mag. Sie suchten sie jahrelang in Gestalt von Doppelfehlern heim. 428 Doppelfehler fabrizierte Sabalenka allein in der vergangenen Saison, 139 mehr als die zweitschlechteste, die Russin Ekaterina Alexandrowa. 249 Asse relativierten den Schaden zwar etwas, doch in den entscheidenden Phasen wichtiger Turniere, in denen Nuancen entscheiden, wurde ihr dieses Missverhältnis zum Verhängnis.

Drei Grand-Slam-Halbfinals hatte Sabalenka zuvor erreicht, 2021 in Wimbledon sowie 2021 und 2022 bei den US Open. Ein paar Korrekturen ermöglichten ihr den letzten Schritt zum Erfolg. Ein Biomechaniker hatte ihr geholfen, die Bewegung bei ihrem Aufschlag zu justieren, in welchen Details genau dies geschah, präzisierte sie nicht - sie erinnerte sich angeblich nicht mal an den Namen des Experten, sie nannte ihn den "Biomechanikertypen". Sabalenka, das machte sie selbst klar, will die Dinge nicht zu sehr verkomplizieren.

Melbourne-Siegerin Aryna Sabalenka: Gnadenlos offensiv von der Grundlinie: Aryna Sabalenka liebt die Ballwechsel schnell und hart. Im Finale gelangen der Belarussin 51 Winner - 20 mehr als ihrer Gegnerin Elena Rybakina.

Gnadenlos offensiv von der Grundlinie: Aryna Sabalenka liebt die Ballwechsel schnell und hart. Im Finale gelangen der Belarussin 51 Winner - 20 mehr als ihrer Gegnerin Elena Rybakina.

(Foto: David Gray/AFP)

Bezeichnend war auch ein kleiner Vortrag von ihr nach dem Halbfinalsieg gegen die Polin Magda Linette. Sie habe aufgehört, mit einem Psychologen zu arbeiten, erzählte sie da, sie habe gemerkt, dass nur sie sich helfen könne. "Jedes Mal, wenn jemand mein Problem lösen wollte, löste es nicht das Problem", sprach sie. Sie übernehme nun die Verantwortung für sich, und in der ihr eigenen Art meinte sie: "Ich bin mein Psychologe." Sie lachte dazu. Kein Wunder, dass sie einige enge Freundinnen auf der Tour hat, mit ihr dürfte es lustig zugehen.

Auf dem Platz indes haben die Gegnerinnen weniger Spaß, davon zeugten im Finale 51 direkte Gewinnschläge, die Sabalenka abfeuerte. "Nicht viele Mädchen können mich wirklich unter Druck setzen", erklärte die unterlegene Rybakina, "gegen sie ist es nicht leicht, weil sie einen großartigen Aufschlag hat und sehr aggressiv spielt." In dem hohen Tempo, in dem sie permanent ihre Gegnerinnen unter Druck setzt, erinnert Sabalenka an Monica Seles, die früher eine der wenigen war, die die einmalige Stefanie Graf spielerisch stressen konnten.

Sie sei jetzt ruhiger, meinte Sabalenka, die auch ihrem Trainer Anton Dubrov ein großes Verdienst zusprach, er hätte noch vor einem Jahr beinahe aufgegeben, weil er fand, er könne ihr nicht mehr helfen. Sie überredete ihn zu bleiben.

Drei Viertel der Ballwechsel Salabenkas sind spätestens nach vier Schlägen entschieden

Das Ergebnis dieses gemeinsamen Durchhaltens ist, dass Sabalenka, ab Montag die Nummer zwei der Weltrangliste, ihren Stil perfektioniert hat. Drei Viertel ihrer Ballwechsel sind nach maximal vier Schlägen entschieden. Der Datenanalyst Craig O'Shannessy sieht gar eine "neue Ära im Frauentennis" kommen, nachdem die variantenreich agierende Ashleigh Barty aufgehört hat und andere wie die schwangere Naomi Osaka pausieren. Die 2022 dominierende Iga Swiatek wiederum zeigte diesmal Schwächen und wurde von Rybakinas mächtigem Spiel ausmanövriert.

Auf die politisch heikle Konstellation ging Sabalenka nur mit wenigen Worten ein. Russische und belarussische Profis müssen ohne Flagge antreten, eine Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. "Ich denke, jeder weiß, dass ich eine belarussische Spielerin bin", sagte Sabalenka, "that's it". So ist es, deshalb war es wenig überraschend, dass der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko bereits in einem Video auftauchte, in dem er, mit einem Hündchen auf dem Schoß, auf Sabalenka ein Glas erhebt.

Wie sie zum Regime in der Heimat stehe, legte sie in den zwei Wochen nicht offen, sie lebt ohnehin in Miami, dorthin werde sie nun reisen. Ihr bester Tag im Leben, das hinterließ Sabalenka noch, war bislang jener Tag, "als ich meinen Freund traf". Sie ist mit Konstantin Koltsov, 41, liiert, einem früheren Eishockey-Nationalspieler aus Belarus. Sie warf, als sie das sagte, Handküsschen in die Luft. Jetzt aber gebe es einen neuen besten Tag: den 28. Januar 2023.

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