Brics-Gipfel in Russland: „Wir erleben ein totales Versagen des ...

10 Tage vor
Russland
Brics-Gipfel in Russland „Das ist schlecht kaschierter Protektionismus“

Die Brics-Gruppe wird zu einem zunehmenden Machtfaktor in Politik und Weltwirtschaft. Geoökonom Heribert Dieter über die Neusortierung der Welt, das Gipfeltreffen der Schwellenländer – und die strategischen Fehler des Westens.

WirtschaftsWoche: Herr Dieter, am 22. Oktober beginnt das Gipfeltreffen der so genannten Brics-Staaten im russischen Kasan. Wie wichtig ist das Treffen für Russland und Präsident Putin?
Heribert Dieter: Der Gipfel dürfte dazu beitragen, Putin ein Stück weit zurück auf die internationale Bühne zu holen. Putin schafft es immer besser, einer außenpolitischen Isolation zu entgehen. Er ist zwar noch nicht ganz weg vom diplomatischen Katzentisch. Aber er ist immer weniger der globale Paria, den der Westen gerne hätte.

Der politische Einfluss der Brics-Gruppe ist umstritten. Sie umfasst neben Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika seit Jahresbeginn auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Emirate. Kann ein so heterogenes Bündnis funktionieren – oder haben wir es mit einem Scheinriesen zu tun?
Bei allen Differenzen eint die Brics-Staaten ihre Kritik an der herrschenden Welt- und Finanzordnung, vor allem an der Dominanz des US-Dollar. Aber was noch wichtiger ist: Immer mehr Staaten drängen in dieses Bündnis hinein. Das ist bemerkenswert und kann eine institutionelle Eigendynamik entwickeln – aus Sicht des Westens eine gefährliche Entwicklung.

Warum gefährlich?
Schon jetzt lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Brics-Staaten. Wenn alle Aufnahmeanträge abgearbeitet sind, wird die Brics-Gruppe ein machtvolles wirtschaftliches und politisches Gegengewicht zu den G7-Staaten bilden. Erst recht, nachdem im September auch die Türkei einen Aufnahmeantrag gestellt hat. Ich glaube, dies alles wird in Brüssel, Washington und Berlin unterschätzt.

Zur Person

Heribert Dieter

Heribert Dieter ist Experte für Geoökonomie und Außenwirtschaftspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und Gastprofessor am National Institute of Advanced Studies in Bangalore, Indien.

Was macht der Westen falsch?
Im Grunde erleben wir ein totales geopolitisches Versagen des Westens. Die ganze Welt sortiert sich gerade neu – wirtschaftlich und politisch. Doch der Westen schafft es weder in der Handelspolitik noch in der Finanzpolitik, den Schwellen- und Entwicklungsländern attraktive Kooperationsangebote zu machen, ohne ihnen zugleich politische Wertevorschriften zu diktieren. Er hat weder eine geopolitische noch eine geoökonomische Strategie. Das stärkt unsere geopolitischen Rivalen China und Russland.

Man könnte auch sagen: Wer wie die USA stärker auf „Friendshoring“ setzen will, also den Handel mit befreundeten Staaten, schützt bei geopolitischen Eskalationen seine Lieferketten.
Aus Sicht des globalen Südens ist das schlecht kaschierter Protektionismus. Die Amerikaner mögen militärisch überlegen sein. Wirtschaftspolitisch aber sind sie strategiearm bis strategiefrei.

Macht es die EU etwa besser?
Nein. Gut gemeinte Initiativen wie Klimazoll, Lieferkettenrichtlinie und Entwaldungsverordnung empfinden viele Schwellenländer als puren Protektionismus – und wenden sich aus Mangel an Alternativen so fragwürdigen Akteuren wie China und Russland zu.

Wer hat innerhalb der Brics-Gruppe das Sagen?
China wäre gern der Boss und hat in den vergangenen 15 Jahren viel diplomatisches Kapital investiert, um sich als Sprecher der Entwicklungs- und Schwellenländer in Position zu bringen. Das hat 2008 mit einem groß inszenierten Afrikagipfel begonnen. Doch der ökonomische Egoismus Pekings macht es den anderen Ländern schwer, China vorbehaltlos zu folgen. Vor allem Indien versucht, den Führungsanspruch Chinas intern zu unterminieren. Man wird sehen, wer am Ende das führende Sprachrohr der Gruppe sein wird.

Als Gegenmodell zum Internationalen Währungsfonds haben die Brics-Länder bereits 2014 eine eigene Entwicklungsbank (NDP) gegründet. Viel hört man von der aber nicht...
Das Projekt der Entwicklungsbank NDP ist auf dem Paper attraktiv, sie soll im Krisenfall Liquiditätshilfen bereitstellen. Der einzige potente Finanzier aber ist China. Das Land hat gerade so viele eigene Wirtschaftsprobleme, dass es keine Lust haben dürfte, einen großen Liquiditätstopf für andere zu füllen. Mittelfristig könnte die NDP aber durchaus ein Vehikel für antiwestliche Staaten werden, sich vor amerikanischen Finanzsanktionen zu schützen.

Manche Brics-Vordenker träumen bereits von einer gemeinsamen Währung. Halten Sie das für realistisch?
Nein. Es ist nicht vorstellbar, dass Indien eine gemeinsame Währung mit China unterstützen würde. Um sich von der Dominanz der westlichen Finanzmärkte zu lösen, dürften die Brics-Staaten eher auf gemeinsame elektronische Zahlungssysteme setzen. Ein Hebel ist auch die verstärkte Nutzung heimischer Devisen im bilateralen Handel. Die Währung Dirham der Emirate etwa ist ein guter Kandidat, um am Greenback vorbei Handel zu betreiben – weil sie an den Dollar gebunden und daher recht stabil ist.

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