Gregor Peter Schmitz: Robert Habeck und der aktuelle stern

17 Jan 2024

Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in das neue stern-Magazin und spricht über die Debatten, die Deutschland in dieser Woche beschäftigen.

Robert Habeck - Figure 1
Foto STERN.de

Robert Habeck bewundert Barack Obama. Zumindest hat er ihn einmal bewundert. Im Jahr 2009, als Habeck noch ein beinahe unbekannter schleswig-holsteinischer Grünen-Politiker war, Obama hingegen der mächtigste Mann der Welt, verbrachte Habeck Zeit in Washington und schrieb von dort fast ehrfürchtige Kolumnen über das "Wunder Obama".

Habeck hat seither selbst Obama-Momente erlebt, zumindest in der deutschen Version. Er durfte im Wahlkampf in begeisterte Zuschauermengen springen, er galt eine Zeit lang als einer, der einen neuen Ton in der Politik trifft. Auch sonst gibt es Parallelen. Obama, der Bestsellerautor, vertraute auf die Kraft des Wortes und der großen Rede. Habeck, der Kinderbuchautor, hält gern große Ansprachen, auch weil sein Chef, der Bundeskanzler, diese weder beherrscht noch für nötig erachtet. Obama versuchte einst als Sozialarbeiter, einfache Leute zusammenzubringen. Habeck schwärmt von Menschen, die mit den Händen arbeiten. Mit wütenden Bauern hat er schon diskutiert, als seine Parteifreundin Annalena Baerbock noch über das Völkerrecht dozierte.

Und doch drohen Obama wie Habeck vor den Scherben ihrer politischen Karriere zu stehen. In den USA beginnen die Präsidentschafts-Vorwahlen, aber mit der Aufbruchstimmung von 2008 haben sie nichts mehr gemein, sie wirken wie ein Endkampf um die Demokratie. "Obamas Triumph in Iowa zeigte damals den Glauben an die Menschlichkeit. Wenn Trump nun gewinnt, zeigt sich, wie dieser Glaube zerstört wird", schreibt die "New York Times". Und Habeck? Der wurde von wütenden Protestlern auf einer Fähre bedrängt, er polarisiert aktuell wie wohl kein anderer Politiker.

Robert Habeck - Figure 2
Foto STERN.de

Sind zwei große Kommunikatoren in der Kommunikation gescheitert? Obama hat zum Ende seiner Amtszeit, nach der Wahl Trumps, einen Mitarbeiter gefragt: "Was, wenn wir falsch lagen? Wenn wir unterschätzt haben, wie groß der Frust über zu viel Wandel ist?" Auch Habeck treiben diese Fragen um, er zitiert sie gern. Er hat schon einmal beschrieben, wie ihm vor Jahren ein Mann am Hamburger Hauptbahnhof zurief, man müsse ihn erschießen.

Polarisierende Persönlichkeiten

Beide verkörpern den Wandel so sehr, dass sie selbst zur Zielscheibe wurden. Obama, der Weltbürger, der mit Hollywoodstars abhing, der Intellektuelle. Habeck, der Coole, der Wuschelkopf, der Frauenschwarm. Beide haben eine gewisse Neigung, sich zu beklagen, ihre guten Absichten würden nicht genug gewürdigt. Warum entzweien sie aber die Menschen so sehr? Liegt das an ihnen, an ihrer Regierung, in Habecks Fall an der zerstrittenen Ampel? Oder doch an unserer politischen Kultur? Hat das Volk sie nicht verstanden, oder haben sie das Volk nicht verstanden? Meine Kollegen Veit Medick und Jan Rosenkranz haben den Vizekanzler zum Gespräch getroffen, einen Mann, der gar nicht wie unter Druck wirkte – aber unsere Republik und Demokratie massiv unter Druck sieht.

Wen meinen wir, wenn wir von dieser Demokratie sprechen? Sind Demokratie nicht wir alle? Braucht es einen Aufstand der Anständigen, wenn, wie Recherchen der Plattform Correctiv offenbaren, AfD-Mitglieder über die "Remigration" von Millionen Menschen diskutieren? Das Institut für Demoskopie Allensbach hat herausgefunden, dass viele Deutsche sich eher ins Private zurückziehen wollen; sie seien die vielen Krisen und Debatten leid. Ein neues deutsches Biedermeier, gerade zu einer Zeit, da unsere Demokratie auf dem Spiel zu stehen scheint? Unsere Kolumnistin Jagoda Marinić steht fassungslos vor so einer Entwicklung, sie schreibt: "Die AfD will Migranten und Deutsche aus dem Land weisen. Das könnte jeden treffen. Wer die Demokratie erhalten will, darf nicht mehr schweigen." An Marinić’ Text kann man sich reiben, man kann ihn diskutieren, man kann ihn alarmistisch finden oder noch zu harmlos. Aber man sollte ihn lesen.

Erschienen in stern 04/2024

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