Rivian und Volkswagen gründen Software-Joint-Venture - electrive.net
Im Sommer verkündete Volkswagen, bei der Entwicklung von Auto-Software ein Bündnis mit dem US-Elektroauto-Hersteller Rivian einzugehen. Und das gleich im großen Stil: Neben Milliarden-Investitionen kündigten die Wolfsburger ein Joint Venture an – dessen Gründung ist nun vollzogen. Das Unternehmen nennt sich Rivian and VW Group Technology, LLC und wird von Wassym Bensaid (Rivian) und Carsten Helbing (Volkswagen-Konzern) geleitet. Für Volkswagen ist das Joint Venture ein neuer Anlauf, seinen Software-Rückstand aufzuholen. Und das inmitten der aktuellen Krise mit drohenden Werksschließungen in Deutschland.
Konkret streben die Partner an, auf Basis von Rivians bestehender Software- und Elektroarchitektur (Original: „E/E architecture & vehicle software“) eine weiterentwickelte Technologieplattform für softwaredefinierte Fahrzeuge zu schaffen. Dazu ruft das ungleiche Duo – Rivian wurde 2009 gegründet und ist noch im Aufbau seines Geschäfts, Volkswagen ist dagegen einer der größten Autokonzerne der Welt – besagtes 50:50-Joint-Venture ins Leben. Das Gesamtvolumen des Deals beziffern die Partner nun auf bis zu 5,8 Milliarden US-Dollar (rund 5,5 Milliarden Euro). Dieses Investment schultert Volkswagen alleine. Bei der Ankündigung im Sommer war noch von bis zu 5 Milliarden US-Dollar die Rede. Damals sagten die Wolfsburger bis 2026 eine Teilsumme von bis zu drei Milliarden Dollar in Rivian und von bis zu zwei Milliarden Dollar in das gemeinsame Joint Venture zu – jeweils abhängig vom Erreichen bestimmter Meilensteine.
2,3 Milliarden Dollar sofort – der Rest späterZur Zusammensetzung der neuen 5,8-Milliarden-USD-Summe machen die Partner publik, dass VW eine erste Investition von 1 Milliarde US-Dollar in Form einer Wandelanleihe bereits getätigt hat. Bei abgeschlossener Gründung des Joint Ventures wird der Volkswagen-Konzern weitere rund 1,3 Milliarden US-Dollar („als Gegenleistung für Hintergrund-IP-Lizenzen und eine 50-prozentige Beteiligung am Joint Venture“) investieren. Also umgehend. Die verbleibende Summe von bis zu 3,5 Milliarden US-Dollar solle in Form von Eigenkapital, Wandelanleihen und Schulden zu künftigen Zeitpunkten und basierend auf klar definierten Meilensteinen erfolgen, heißt es. Die Investitionen werden nach Konzernangaben auch deshalb höher ausfallen, weil mehr Autos die neue Software bekommen sollen als ursprünglich geplant. Dazu gleich mehr.
Zunächst zum erstmals offengelegten Zeitplan: So ist die Markteinführung des Volumenmodells R2 von Rivian für das erste Halbjahr 2026 geplant. Erste Volkswagen-Modelle auf Basis der gemeinsam weiterentwickelten Rivian-Architektur sollen 2027 folgen. „Die Technologie wird in einem breiten Preis- und internationalen Marktsegment skaliert und ebnet damit den Weg für neue Generationen von Großserienfahrzeugen, die über fortschrittliche automatisierte Fahrfunktionen verfügen und Over-the-Air-Updates und Upgrades integrieren können“, teilen die US-Amerikaner mit. An anderer Stelle ist von Technologie für alle relevanten Fahrzeugsegmente die Rede, „einschließlich Kleinwagen“.
Kooperation deckt auch „ausgewählte MEB-Modelle“ abDamit geht die Kooperation weiter als bei Bekanntgabe der Pläne im Sommer angekündigt. Denn ursprünglich war die Software vor allem für größere Fahrzeuge vorgesehen: Im Juni ging aus einer Präsentation hervor, dass die Rivian-Technologie bei Volkswagen bei der Plattform SSP zum Einsatz kommen soll, also jener Scalable Systems Platform, die voraussichtlich 2028 debütiert. Die Software, so hieß es, solle dann noch auf einer „adapted E/E architecture“ aufbauen und teilweise auch bei der PPE (Premium Platform Electric) eingesetzt werden. Erst später – vermutlich ab 2032/2033 – war das „next-gen SDV“ geplant, also das Software Defined Vehicle der nächsten Generation.
Rivian spricht in seiner aktuellen Mitteilung nun von der „Einbeziehung ausgewählter MEB-Modelle von Volkswagen“. Parallel berichtet das „Manager Magazin“, dass der Roll-out der Volkswagen-Modelle auf Rivian-Basis mit einem Modell von Volkswagens neuer US-Marke Scout und einem Porsche-SUV losgehen solle. Bisher galt als gesetzt, dass der MEB und die Weiterentwicklung MEB+ weiter auf die E3-Software von VW-Softwaretochter Cariad baut.
VW-Fahrzeug bereits zur Demonstration nachgerüstetGeleitet wird das Joint Venture von der Doppelspitze Wassym Bensaid und Carsten Helbing. Entwickler und Softwareingenieure aus beiden Unternehmen sollen dem Joint Venture beitreten. Laut Rivian werden die Teams zunächst im kalifornischen Palo Alto ansässig sein, drei weitere Standorte in Nordamerika und Europa seien aber in Vorbereitung. Das Potenzial ihrer Zusammenarbeit hätten beide Seiten schon unter Beweis gestellt, fährt Rivian fort: „In nur zwölf Wochen entwickelte das Team ein erstes fahrbereites Demonstrationsfahrzeug. Ein Fahrzeug des Volkswagen-Konzerns wurde nachgerüstet, um auf Rivians bewährtem zonalen Hardware-Design und integrierter Technologieplattform zu laufen.“
Carsten Helbing, designierter Co-CEO des Joint Ventures, spricht dann auch von einem erfolgreichen Start: „In den letzten Monaten haben wir den Rahmen für die Zusammenführung der JV-Teams und die Bündelung unserer Ressourcen geschaffen. Wir sind begeistert von den schnellen Fortschritten, die wir in der Vorbereitungsphase erzielt haben. Damit haben wir den Grundstein für unseren zukünftigen Erfolg gelegt.“
Wassym Bensaid, ebenfalls Co-CEO des Joint Ventures, betont, dass Ziel des Joint Ventures sei, Innovationen zu beschleunigen und die Kosten für den Besitz eines Elektrofahrzeugs zu senken. „Ich bin sehr beeindruckt von der bereits geleisteten Arbeit. Während das Demonstrationsfahrzeug nur an der Oberfläche dessen kratzt, was möglich ist, ist es unglaublich spannend zu sehen, was möglich ist, wenn ein neuer OEM und ein etablierter Autohersteller eng zusammenarbeiten.“
Blume: „Nächster logischer Schritt“Der Volkswagen-Konzern verspricht sich von dem Deal den dringend benötigten Innovationsschub im Softwarebereich und langfristig Kostensenkungen durch die skalierbare Plattform und im F&E-Bereich. Oliver Blume, CEO des Volkswagen-Konzerns, bezeichnet die Partnerschaft mit Rivian als den nächsten logischen Schritt in Volkswagens Software-Strategie. „Mit ihrer Umsetzung werden wir unsere globale Wettbewerbs- und Technologieposition stärken. Der heutige Start des Joint Ventures zeigt, welches Potenzial wir in den kommenden Jahren gemeinsam heben wollen. Wir haben einen klaren Plan, unseren Kunden die besten Produkte und digitalen Erlebnisse zu attraktiven Preisen anzubieten, und zwar durch modernste Entwicklungsprozesse, innovative technologische Ansätze und eine wettbewerbsfähige, durch Synergien getriebene Kostenbasis.“
Rivian-CEO RJ Scaringe bezeichnet die Gründung des Joint Venture als einen wichtigen Schritt nach vorn, um die Welt auf Elektrofahrzeuge umzustellen. „Wir freuen uns, dass unsere Technologie in Fahrzeuge außerhalb von Rivian integriert wird, und wir sind gespannt auf die Zukunft.“ Für Rivian mit seinen tiefroten Zahlen haben die finanziellen Aspekte der Kooperation hohe Priorität. 2023 fuhr der E-Auto-Hersteller unterm Strich einen Nettoverlust von 5,4 Milliarden US-Dollar ein. Cash-Nachschub ist also dringend geboten. Als Erfolg dürfte Rivian verbuchen, dass ein 50:50-Joint-Venture zustandegekommen ist. Durch den Onlinehändler-Giganten Amazon hat das Unternehmen bekanntlich schon Erfahrungen mit Kooperationen gemacht, die nicht auf Augenhöhe verlaufen.
Das Anfang vom Ende der VW-Tochter Cariad?Was der Schulterschluss mit Rivian für die VW-Tochter Cariad bedeutet, in der der Konzern die Software-Entwicklung eigentlich gebündelt hat, ist noch offen. Das „Manager Magazin“ berichtet jedoch, dass Blume mit der Beteiligung an Rivian „die Abwicklung der Sorgentochter Cariad einleite” und untermauert dies mit dem Umstand, dass der erst vor einem Jahr zu Cariad gekommene Sanjay Lal laut Informationen aus Unternehmenskreisen schon wieder vor seinem Abschied stehen könnte.
Die Probleme bei Cariad sind bekanntlich vielschichtig – und die VW-Tochter ist dadurch zum Nadelöhr für neue Fahrzeuganläufe avanciert. E-Autos von Porsche und Audi haben sich dadurch bekanntlich stark verspätet – teils um bis zu drei Jahre. Das Bündnis mit Rivian zeigt nun, dass Volkswagen händeringend weitere Wege sucht, um im kommenden Mega-Markt der Software-definierten Fahrzeuge mithalten zu können. Zumal es mit dem chinesischen E-Auto-Newcomer Xpeng einen ähnlich gelagerten Deal gibt. Mit dem China-Startup arbeitet Volkswagen ebenfalls an einer elektrischen und elektronischen Architektur (E/E-Architektur), die allerdings spezifisch in die für China konzipierte Elektroauto-Plattform CMP von VW integriert werden soll. Noch eine Parallele: Auch bei Xpeng hat sich Volkswagen im Zuge des Bündnisses eingekauft.
businesswire.com, manager-magazin.de (beide Joint Venture), manager-magazin.de (Cariad, Paywall), golem.de