Ex-Grünen-Chefin bei Miosga: Die neue Ricarda Lang – eine Last ...
Ex-Grünen-Chefin bei Miosga
Die neue Ricarda Lang – eine Last ist von ihr abgefallenStand: 03:31 UhrLesedauer: 5 Minuten
Nachdem sie nicht mehr Parteivorsitzende ist, will die Grünen-Politikerin Ricarda Lang Klartext sprechen. Dazu gehört Selbstkritik ebenso wie vernichtende Worte gegenüber Olaf Scholz.
Ricarda Lang muss man sich als eine Frau vorstellen, die eine schwere Last losgeworden ist. „Meine Schere konnte ich in die Ecke werfen. Das ist ein befreiendes Gefühl“, sagte Lang am Sonntagabend.
Die Schere – damit meinte Lang die eigene Angst vor zu klarer Sprache, ein wenig auch vor der schonungslosen Wahrheit. „Man sitzt als Parteivorsitzende in einer Talkshow wie dieser und hat immer schon die Schere im Kopf: Welcher 30-Sekunden-Schnipsel landet im Netz?“, berichtete sie in der ARD-Sendung von Caren Miosga. Seit dem 16. November ist Lang nicht mehr Parteivorsitzende der Grünen, zurückgetreten nach mehreren enttäuschenden Landtagswahlen. Und seitdem gibt die 30-Jährige Einblicke in das Seelenleben der Spitzenpolitik.
Selten gab sich eine Politikerin so selbstkritisch bei Miosga – und das so kurz nach dem Rücktritt, für den es ja keine direkte Verfehlung als Grund gab. Klar wurde: Lang hielt vieles von dem, wie sie als Vorsitzende wirkte, für falsch – und fand nicht aus ihrer Rolle heraus. Einen kurzen Clip, in dem sie nach einer Sitzung es Koalitionsausschuss einen lauwarmen Kompromiss zum Autobahnausbau verteidigte, kommentierte sie mit Klartext: „Wenn man das jetzt so sieht, dann schämt man sich natürlich.“ Sie erläuterte: „Dann fängt man an, Mist für Gold zu verkaufen und so einen Unsinn zu reden, wie ich ihn da erzählt habe.“
Die Spitzenpolitiker hätten ständig Angst, dass ihre Worte skandalisiert werden könnten, gab Lang ihre Erfahrungen wieder. Das führe jedoch zu einem Vertrauensverlust. „Die Menschen haben das Gefühl: Die verheimlichen mir was“, sagte die Berufspolitikerin. Die Wähler würden dann denken: Wenn mich die Politiker ohnehin „verachten oder verarschen“ könnten sie auch die Extreme wählen. „Wir müssen wieder anfangen, die Menschen mehr wie Erwachsene zu behandeln und dazu auch den Mut zu haben.“ Denn, so sinnierte sie, was wäre eigentlich passiert, wenn sie anders, klarer gesprochen und so die ungeschriebenen Spielregeln gebrochen hätte? Ihre Vermutung im Nachhinein: Vielleicht hätte es ein paar böse Anrufe gegeben – aber das wäre es dann auch gewesen.
Mit ihren beiden Mitdiskutanten, dem ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten und Finanzminister Peer Steinbrück und dem stellvertretenden WELT-Chefredakteur Robin Alexander war sich Lang einig: Kanzler Olaf Scholz geht diesen ehrlicheren Weg ebenfalls nicht. Der SPD-Politiker habe die Ampel-Koalition in den Fehler geführt, aus der von ihm ausgerufenen „Zeitenwende“ keine weiteren Konsequenzen gezogen zu haben. Im Wahlkampf schüre er nun die Angst vor einem russischen Angriff – nur um sich selbst als besonnene Lösung zu positionieren. Das sei außenpolitisch falsch, innenpolitisch verantwortungslos und werde dazu führen, dass das russlandfreundliche Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an Stimmen gewinnen werde, wetterte Lang.
Ähnlich kritisch ging die Runde mit der Union von Kanzlerkandidat Friedrich Merz ins Gericht. Dessen Wahlprogramm erzeuge eine Finanzierungslücke von 100 Milliarden Euro. Das sei „Wählerverarsche“, schimpfte Lang.
Polit-Beobachter Robin Alexander pflichtete ihr bei. Die Union habe vor zwei Jahren eigentlich geplant, zur Gegenfinanzierung den Spitzensteuersatz leicht anzuheben. Die darauf aufbrandende Kritik – „auch von meiner Zeitung“, wie Alexander einräumte – habe die Union eingeschüchtert. Da wirkten also genau die Mechanismen, die Lang am Sonntag beklagte. Merz hätte diese Kritik aushalten müssen, meinte Alexander. So habe sich Merz aber für das Gegenteil von politischer Führung entschieden. „Die Mitte schafft es nicht mehr, über ihren ideologischen Schatten zu springen“, schloss er daraus.
Lang hatte dafür ebenfalls ein Beispiel parat. FDP-Chef Lindner habe nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Anfang des Jahres den Haushalt gekippt hatte, eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags angeregt. Das hätten SPD und Grüne abgelehnt – aus Furcht, Wähler zu verprellen. „Ich kann nicht sagen, ich stand da immer auf der richtigen Seite. Das war auch mein Fehler“, gestand Lang ein. Denn solch ein Schritt hätte ihrer heutigen Meinung nach die Ampel retten können.
SPD und Grüne dürften es sich daher bei der Fehleranalyse der Ampel nicht zu einfach machen. „Christian Lindner“ – das sei zwar die einfachste Antwort, sagte sie mit Blick auf die „D-Day“-Pläne der FDP zum Koalitionsbruch. „Das ist nicht falsch, aber es ist auch nicht wirklich ehrlich“, sagte Lang.
Die Ampel-Regierung habe viel an politischer Kultur zerstört. „Liberale Demokratien, die immer schwülstiger in der Beschwörung ihrer selbst werden, aber immer substanzloser im Umgang mit der Realität, werden sich irgendwann selbst zerstören“, warnte Lang.
Journalist Alexander war optimistischer: „Eigentlich ist in Deutschland alles da, dass die Demokratie funktionieren kann“, sagte er. „Die meisten Leute, die ich so treffe, sind immer noch ganz vernünftig.“
Das Problem der Sendung: Die drei Diskutanten waren sich in der Fehleranalyse weitgehend einig. „Die Politik adressiert eine Reihe von Problemen nicht, um die Wähler nicht in die falschen Arme zu treiben“, sagte etwa Steinbrück. Eine dieser Wahrheiten sei: „Wir werden in Deutschland mehr arbeiten müssen.“ Die Wochenarbeitszeiten seien zu niedrig, die Zahl der Krankentage viel zu hoch. Doch das anzusprechen, traue sich kein Wahlkämpfer.
Nur: Dass in der aktuellen Wahl irgendeiner der vier Kanzler-Kandidaten von Habeck bis Alice Weidel der Klartext-Kandidat sein könnte für die großen Reformen, war für die Runde ganz offensichtlich nicht erkennbar. Steinbrück ahnte bereits Düsteres: Wenn das so bleibe, drohe die übernächste Wahl 2029 „zur Nagelprobe für unsere Demokratie zu werden“. Immerhin kurz lobte er die Grünen: Deren Position zur Ukraine sei viel klarer als diejenige von Steinbrücks SPD.
Ein Eindruck blieb zurück: Klare Worte und Forderungen fallen Spitzenpolitikern erst nach dem Verlust ihrer Ämter ein. Das aktive Personal hingegen muss man sich als Sisyphos vorstellen, aber – anders als bei Albert Camus – als unglückliche Menschen.