Renten-Experte Raffelhüschen: Wir müssen die abschlagsfreie ...
Deutschlands Rentensystem leidet unter der alternden Bevölkerung. Immer weniger Beitragszahler finanzieren die Rente für immer mehr Senioren. Bald gehen die Babyboomer in Ruhestand – mit weiteren Belastungen für die Rentenkasse. Die CDU will die Probleme mit einer „Aktiv-Rente“ lösen. Rentenexperte Bernd Raffelhüschen lobt den Vorschlag, regt aber Änderungen an.
Derzeit finanzieren gut zwei Beitragszahler einen Rentner. Früher war das Verhältnis für die Rentenkasse günstiger. Und der Trend setzt sich weiter fort: Wenn die Babyboomer in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen, stehen immer weniger Beitragszahler pro Rentner bereit. Im Jahr 2050 ist das Verhältnis von Beitragszahler zu Rentner 1,3 zu 1 . So die Prognosen.
„Aktiv-Rente“: Als Rentner weiterarbeiten ohne Steuer-AbzugDer Paderborner Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann (CDU) will das Rentensystem vor dem Kollaps bewahren und wirbt deshalb für eine „Aktiv-Rente“.
Das Konzept sieht vor, dass Beschäftigte, die ihr Rentenalter erreicht haben, neben der Rente weiterarbeiten können und für ihr Zusatzeinkommen keine Steuern zahlen müssen. Lediglich Sozialabgaben würden anfallen – was die Rentenansprüche weiter steigen lässt.
So die Idee von Carsten Linnemann. Aus seiner Sicht hätte das Modell nur Gewinner:
Rentner: haben mehr Einkommen ohne Zusatz-Steuerbelastung; außerdem erhöhen sie ihre Rentenansprüche
Firmen: verfügen über zusätzliche Arbeitskräfte, was den Fachkräftemangel mildert
Staat: Auch er gehörte laut Linnemann zu den Gewinnern, selbst wenn der Fiskus auf Steuereinnahmen verzichtet: Viele Bürger hätten ein Zusatzeinkommen und damit mehr Kaufkraft. Was dem Staat zum Beispiel mehr Mehrwertsteuer in die Kassen spült.
Der CDU-Fraktionsvize nennt noch einen weiteren Vorzug seiner Rentenreform: Wenn alle, die können, länger arbeiten, könnte sich der Staat besser um die kümmern, die das nicht mehr schaffen. Etwa Dachdecker, von denen 90 Prozent mit 60 Jahren in Ruhestand gehen (müssen).
Der renommierte Renten-Experte Bernd Raffelhüschen ordnet die Rentenpläne der Union im FOCUS-online-Interview ein. Der Ökonom am Institut für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik der Universität Freiburg hat schon mehrfach umfassende Reformen des deutschen Rentensystems gefordert.
Herr Prof. Raffelhüschen, wie bewerten Sie die Vorschläge zur „Aktiv-Rente“ ?
Bernd Raffelhüschen: Die Idee ist im Kern das, was man machen soll. Man sollte versuchen, die Alten zu aktivieren. Weil die Aktiv-Rente ein Anreiz ist, Ältere zur Beschäftigung zu bringen, ist sie eine gute Idee.
Gibt es auch einen Haken?
Raffelhüschen: Steuerrechtlich dürfte es Probleme geben. Wie soll das gehen: Allein die Tatsache, dass jemand Rentner ist, befreit ihn bei Arbeitseinkommen von den Steuern? Die Frage der Gleichbehandlung im Steuerrecht adressiert dieser Vorschlag überhaupt nicht.
Das Steuerrecht wäre also der Knackpunkt bei Linnemanns Plänen?
Raffelhüschen: Das ist der Knackpunkt: Nochmal: Die Idee ist gut. Man muss die Älteren dazu bringen, mehr zu arbeiten. Und länger zu arbeiten. Das aber über das Steuerrecht machen zu wollen, ist schwierig.
Carsten Linnemann beabsichtigt mit seiner Aktiv-Rente ja zwei Problemlösungen: Er will den Fachkräftemangel senken. Und die Rentenkasse füllen. Das ist aber doch ein Nullsummenspiel: Denn wer in die Rentenkasse einzahlt, erwirbt auch höhere Ansprüche. Die Kosten kommen dann später.
Raffelhüschen: Ja. Für die Finanzierbarkeit der Rente brächte das nichts. Es brächte aber schon etwas, wenn die Arbeitenden ihre Rentenzahlung weniger lang bekommen würden. Wie gesagt: Linnemanns Vorschlag ist richtig. Den Weg würde ich aber nicht über das Steuerrecht nehmen. Denn Sie können nicht sagen: Der gesetzlich Rentenversicherte darf steuerfrei hinzuverdienen, der Selbstständige aber nicht. Dann wird ein 66-jähriger Selbstständiger sofort auf die Gleichbehandlung im Steuerrecht klagen. Und es gibt keinen Verfassungsrichter der Welt, der eine solche Klage ablehnen würde.
Wie würden Sie die „Aktiv-Rente“ auf den Weg bringen?
Raffelhüschen: Das geht nur über eine Gleichbehandlung im Alter. Wenn Sie alte Menschen steuerlich entlasten wollen, können Sie das nur über einen Steuerfreibetrag lösen. So etwas haben wir ja schon im Steuerrecht. Ich fürchte, im Steuerrecht sind diejenigen, die gerade vorpreschen, nicht wirklich bewandert.
Man könnte das Problem über Freibeträge im Alter lösen. Aber warum sollte die Politik das tun? Angenommen, das Ziel ist es, Mehrbeschäftigung im Alter zu erreichen. Warum kommt man nicht auf die Idee, die Anreize für vorzeitigen Ruhestand zu reduzieren? Statt die Anreize zu längerer Arbeit zu erhöhen?
Sie sprechen von den relativ geringen Abschlägen bei vorgezogener Altersrente.
Raffelhüschen: Es wäre steuerrechtlich möglich und rentenpolitisch geboten, das zu ändern, was die Große Koalition in der Rentenpolitik gemacht hat: die abschlagsfreie Rente mit 63. Nicht Frau Nahles allein. Die GroKo hat die eingeführt.
Sie schlagen vor, dass Frührentner finanzielle Einbußen erleiden?
Raffelhüschen: Nein! Sondern, dass man das nicht subventioniert. Carsten Linnemann will ja jetzt die Verlängerung des Arbeitslebens subventionieren. Er lässt aber die Subvention für die Verkürzung des Arbeitslebens bestehen. Das ist doch absurd: die Verkürzung und die Verlängerung des Arbeitslebens zu subventionieren!
Ihr Gegenvorschlag?
Raffelhüschen: Das erste, was man machen müsste, um die Bürger länger in Beschäftigung zu halten, ist die abschlagsfreie Frührente mit 45 Versicherungsjahren abzuschaffen. Man muss sofort den Fehler von Frau Nahles korrigieren. Das war natürlich auch ein Fehler von Frau Merkel. Das ist heikel für die CDU. Danach müsste man den zweiten Fehler korrigieren: Die Abschläge, die man bekommt, wenn man vorzeitig in Ruhestand geht, liegen bei null für die besonders lang Beschäftigten von 45 Jahren. Für alle anderen Frührentner liegen die Renten-Abschläge bei 0,3 Prozent pro Monat.
Die Abschläge würden Sie also erhöhen?
Raffelhüschen: Ja natürlich. 0,3 Prozent pro Monat ist viel zu niedrig. Das wissen alle, die etwas von Versicherungsmathematik verstehen. Der Satz müsste mindestens bei 0,4 Prozent pro Monat liegen. Wenn wir den Wert auf 0,4 Prozent anheben und gleichzeitig die abschlagsfreie Frührente abschaffen würden, sehen wir ja, wie viel Mehrbeschäftigung wir bekommen. Dann kann die Politik immer noch über Altersfreibeträge nachdenken – dann aber bitte für alle.
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