Vom Abenteurer zum Erzähler Reinhold Messner Neu-Isenburg ...

3 Apr 2024
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Stand: 03.04.2024, 16:00 Uhr

Von: Holger Klemm

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Reinhold Messner gastiert mit seinem Vortrag „ÜberLeben“ am Samstag, 13. April, um 20 Uhr in der Hugenottenhalle. Dabei geht es um seine Biografie und die Entwicklung des Alpinismus. © Büro Messner

Er ist einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt: Reinhold Messner hat mit seinen zahlreichen Touren die Grenzen des bislang Möglichen verschoben. Mit seinem neuen Vortrag „ÜberLeben“ kommt er am Samstag, 13. April, um 20 Uhr in die Hugenottenhalle. Im Gespräch redet er darüber, was die Besucherinnen und Besucher an diesem Abend erwarten können.

Reinhold Messner - Figure 1
Foto op-online.de

Wie ist es zu Ihrem jüngsten Vortrag gekommen? Sie beschäftigen sich ja hierbei mit Ihrer Biografie.

Es ist im Grunde eine Biografie: Es geht um die Hintergründe des traditionellen Alpinismus. Ich erzähle, wie sich das entwickelt hat. Und dann berichte ich nicht genau, was ich dann und dann gemacht habe, sondern erzähle Geschichten. Und diese Geschichten ergeben mehr oder weniger in der Summe mein Leben. In den jungen Jahren habe ich gelernt, zu überleben, aber auch das Überleben will geübt sein. Es ist nicht so einfach, lesen zu können, ob man die Fähigkeiten hat, dem Berg etwas entgegensetzen zu können. In der Mitte meines Lebens ging es wirklich um das Überleben. Und jetzt geht es über das Leben. Was habe ich bei den extremen Touren über das eigene Leben gelernt.

Wo haben Sie Schwerpunkte gesetzt?

Da gibt es eine Erzählung in der ganz frühen Kindheit. Ich habe im Alter von fünf Jahren einen 3000er-Gipfel bestiegen. Und dann kommen mehr oder weniger meine Steigerungen: die Dolomiten, dann geht es in die 4000er in der Schweiz, schließlich zum Mont Blanc.

Wie erleben Sie Ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren?

Ich musste langsam kürzertreten durch den Prozess des Alterns. Ich kann heute immer noch Spaziergänge machen und leichtere Expeditionen. Im Sommer geht es um die Umrundung des Kailash, wenn ich es schaffe. Das ist der heiligste Berg der Welt in Tibet, den darf man nicht besteigen, sondern nur umrunden. Ich zeige in meinem Vortrag Bilder, die einmalig sind. Am Ende auch von einer Himmelsbestattung, das ist eine Luftbestattung in Tibet, um darauf hinzuweisen, dass wir sterblich sind. Es wird kein Thema ausgelassen.

Ist Ihnen persönlich der Ausstieg vom Bergsteigen schwergefallen?

Das ist schon lange her. Ich war zuerst ein Felskletterer, das weiß heute schon niemand mehr. Das war meine erste große Leidenschaft in den 50er und 60er Jahren. Dann wurde ich Höhenbergsteiger, auch weil ich nicht mehr so im Fels klettern konnte wie früher. Ich hatte zum Teil Zehen verloren und ohne die kann man nicht extrem klettern. Aber in großer Höhe kann man mit Schuhen klettern, auch wenn man wenige Zehen hat.

Auffällig ist die Vielfältigkeit Ihrer Projekte. Was ist Ihnen im Rückblick wichtig?

Es ist wichtig, zu wissen, dass ich mich in den einzelnen Phasen meines Lebens immer sehr auf eine Sache konzentriert habe. Und dann habe ich versucht, neue Spielfelder zu suchen und mich neu zu erfinden. Ich habe versucht, Grönland die Länge nach zu durchqueren – und auch die Antarktis. Ich war am Nordpol, war in Patagonien. Das waren die längsten Reisen, die ich gemacht habe. Dann habe ich zehn Jahre lang die heiligen Berge besucht, die nicht die schwierigsten sind. Teils habe ich sie bestiegen, teils war das verboten. Ich versuche, herauszufinden, warum diese Mythen in die Berge hineingedacht wurden.

Wie ging es für Sie weiter?

Nun, ich habe eine museale Struktur aufgebaut zum Thema traditioneller Alpinismus. Das mache ich im Sommer fertig und kann es dann auch loslassen. Ich habe immer, wenn ich eine Periode hinter mir ließ, alles abgegeben und mich einem neuen Vorhaben gewidmet. Das ist meine Lebensart, ich habe lediglich aus Ideen Tatsachen gemacht. Das ist für mich gelingendes Leben. Das ist nur im Hier und Jetzt möglich. Und ich muss den entsprechenden Alterssituationen gerecht werden. Es wäre ein Wahnsinn, wenn ich heute versuchte, das zu klettern, was ich mit 18 Jahren erklettert habe: den Kangchendzönga im Himalaya ohne Sauerstoff zu besteigen oder die Antarktis zu durchqueren. Dafür habe ich nicht mehr die Leidensfähigkeit.

Was ist geblieben?

Ich mache Filme. Das ist eine Tätigkeit, die ich nicht aufgebe. Die werde ich noch die nächsten Jahre machen, immer vorausgesetzt, ich bleibe gesund und habe die Energie, das zu machen. Ich bin der Erste, der bereit ist zurückzustecken, wenn ich merke, es ist zu viel. Ich muss nicht auf die Bühne gehen und sagen, ich habe große Projekte gemacht. Ich gehe auf die Bühne und sage, was ich erlebt habe. Generell bin ich zu einer Entscheidung gekommen, dass das Erzählen über das Abenteuer genauso wichtig ist wie das Erleben. Meine Zuschauer kommen, um die Geschichten zu hören. Das sind erlebte Geschichten, aber auch von anderen erlebte Geschichten, die ich recherchiert habe und aussagekräftig finde.

Deshalb sagen Sie ja auch auf Ihrer Homepage, dass das Erzählen für Sie sehr wichtig ist.

Die Amerikaner sagen Storyteller, Geschichtenerzähler. Das ist ein Teil meines Daseins. Ich habe im Grunde ja keinen Beruf, den ich zu Ende gelernt habe. Ich habe mal Hoch- und Tiefbau studiert. Das habe ich dann gelassen, das war nicht meine Leidenschaft. Ich folge, seit ich ein Kind bin, seit ich zwölf, 14 Jahre alt war, meiner Leidenschaft als Träumer. Sagen wir: Ich finde einen stimmigen Weg, meinem Leben einen Ausdruck zu verleihen.

Sie bezeichnen sich als Grenzgänger. Sind Sie das immer noch?

Ich bin immer noch ein Grenzgänger, weil ich immer noch an meine heutigen Grenzen gehe. Ich werde heuer 80 Jahre alt und es ist klar, dass ich eben sehr schnell an meine Grenze komme. Aber das hat nichts mehr mit den allgemeinen Grenzen zu tun. Die Grenze des Machbaren liegt in der Summe der einzelnen Tätigkeiten. Zum Beispiel sind 18-jährige Kletterer die Weltbesten, ganz junge Leute. Höhenbergsteiger sind vielleicht mit 40 Jahren gut, weil sie dann die Erfahrung haben, auch die Leidensfähigkeit und die Ausdauer. Jeder kann nur an seine eigene Grenze gehen

Sie treten ja für eine andere Art des Tourismus ein. Ist Ihnen wichtig, das Bewusstsein für die Natur zu schärfen?

Bei mir geht es um den Tourismus in den Alpen. Ich bin kein Mensch, der etwas von Seetourismus versteht. Ich gehe nie ans Meer, ich kann nicht schwimmen. Das ist nicht meine Form der Erholung. Aber ich habe Verständnis, dass viele Millionen Menschen in die Alpen kommen. Menschen wollen sich erholen, wollen wandern und sich gerne schöne Landschaften anschauen. Und das ist deren gutes Recht. Also jetzt den Tourismus einfach zu verdammen, wie es Mode geworden ist, ist nicht meine Sache. Es gibt aber Hotspots im Tourismus, die in erster Linie auf Influencer und Influencerinnen zurückzuführen sind. Die Leute wollen dann irgendetwas besonders Schönes filmen, das Bild verändern und posten. Das finde ich gefährlich. Gefährlich nicht für die Menschen, die das machen, sondern für unsere Wirtschaft. Wir müssen die Touristen in den Alpen so verteilen, dass sie nicht das kaputtmachen, was die Menschen suchen: Stille und Erhabenheit der Berge. Wir brauchen die Möglichkeit, in eine Welt hineinzugehen, die nicht urbanisiert ist.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Tourismus am Mount Everest, den Sie ja ohne Sauerstoffflasche bestiegen haben?

Die Besteigung war früher nicht möglich. Die Engländer haben es von 1921 bis 1953 versucht – und das eigentlich mit allen Mitteln, die sie hatten. Aber erst 1953 wurde es möglich. Dann hat man es 25, 30 Jahre lang auf diese Weise gemacht. Dann kamen die Touristiker, die haben erkannt, was der Everest für ein Hype ist. Der Everest ist der höchste Berg der Welt. Und es gibt auf der Erde Millionen von Menschen, die glauben, wenn sie auf den Berg steigen, dann haben sie einen Rekord geliefert. Und dann haben clevere Touristiker angefangen, den Berg zu präparieren. Sie müssen sich das vorstellen, dass im April mehr als 100 Sherpas, Einheimische, zum Berg gehen und eine Piste vom Basislager aus bauen. Und wenn diese Piste fertig ist, kommen die Touristen aus aller Welt, die viel Geld dafür zahlen. Inzwischen wird auch der obere Berg präpariert. Die Gäste mit Fünf-Sterne-Zelt im Basislager werden zum Gipfel gebracht mit Ärzten und Führern. Die werden nicht hochgetragen, das geht gar nicht, sondern hoch- und heruntergebracht.

Ist das aus Ihrer Sicht noch ein Abenteuer?

Diese Form des Tourismus macht diesen Berg nicht mehr brauchbar für einen Abenteurer. Wenn jemand wirklich den Everest begreifen will, muss er sich den Anstrengungen aussetzen. So wird der Berg einfach zur Attrappe gemacht. Ich schreibe seit 30 Jahren dagegen an. Ich habe es jetzt aufgegeben. Wenn die Menschen das so wollen, dann sollen sie es tun.

Was wünschen Sie sich für den Vortrag in Neu-Isenburg?

Ich wünsche mir, dass alle, auch jene, die nie etwas Höheres als einen Barhocker bestiegen haben, mir folgen können: emotional; haptisch geht das natürlich nicht. Dann müssten sie mit mir aufsteigen. Ich kann nicht den Aufstieg auf den Everest teilen, aber ich kann die Erzählung darüber mit Zuhörern teilen. Das ist, was ich tue. Das Narrativ des traditionellen Bergsteigers erzähle ich nebenbei mit meiner Biografie. Ich teile das, was ich teilen kann. Ich liefere meine Bilder. Damit meine ich nicht die Bilder auf der Leinwand. Meine Vorträge sind keine, die moralisieren, sondern ich erzähle nur Geschichten. Bei mir gibt es auch nicht Gut oder Schlecht. Beispielsweise ist die aktuelle Form des Tourismus am Mount Everest einfach eine Tatsache. Das ist nicht meine Sache. Und das sage ich natürlich auch. Aber wenn das jemand gerne tut und die Mittel hat, dann soll er diesen Berg im Himalaya doch auf diese Weise besteigen – schade für den Everest und schade für die Menschen, die dort wohnen.

Das Gespräch führte Holger Klemm

Den Annapurna in Nepal bestieg Reinhold Messner mit Hans Kammerlander 1985. Es war erst die zwölfte Besteigung des Gipfels, der 8091 Meter hoch ist. © Privat
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