»Alle Augen auf Rafah«: Warum ein KI-generiertes Bild zu Rafah ...

29 Mai 2024

Mit künstlicher Intelligenz generiertes Bild einer Zeltstadt: Der Slogan »All Eyes on Rafah« wird schon länger auf propalästinensischen Demonstrationen verwendet

Rafah - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

[KI] The Palestinian / X

Wer in dieser Woche Videos seiner liebsten Instagram-Influencer anschauen will, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dieses Bild gestoßen sein: Bis in den Horizont reicht die Stadt, die gänzlich aus säuberlich aufgereihten Zelten besteht, im Vordergrund prangt der Schriftzug »All Eyes on Rafah«, auf Deutsch »Alle Augen auf Rafah«.

Darüber gelegt ist eine Schaltfläche, auf der »Du bist dran« steht. Damit lässt die Aufnahme mit wenigen Schritten als eigene Instagram-Story teilen, wodurch es wiederum die eigenen Freunde oder Followerinnen sehen.

Mehr als 40 Millionen Mal wurde der Beitrag auf diese Weise bis Mittwochnachmittag bereits verbreitet, besonders seit Dienstagabend nahm der Trend Fahrt auf. Das dürfte auch daran liegen, dass Online-Stars wie das Model Bella Hadid den Beitrag an ihre 61 Millionen Follower postete.

Dass das Bild offensichtlich gar nicht die Stadt im Süden Gazas zeigt, sondern mit künstlicher Intelligenz erstellt wurde, scheint dabei niemanden zu stören. Dass es sich um ein KI-Bild handelt, wird bereits an den schneebedeckten Bergen im Hintergrund deutlich. Die Stadt im Süden Gazas grenzt an die Wüste. Auch besteht Rafah weder nur aus Zelten, noch sind diese so ordentlich geometrisch aufgereiht, wie das Bild nahelegt.

Instagram-Funktion befördert ungewöhnliche hohe Verbreitung

Bei globalen Nachrichtenereignissen gehen auf Instagram regelmäßig Beiträge viral. So etwa nach dem islamistischen Terrorangriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo, als viele Nutzerinnen und Nutzer #JeSuisCharlie posteten. Dennoch ist die Reichweite des »All Eyes on Rafah«-Trends auch für Instagram-Verhältnisse für ein einzelnes Bild sehr hoch.

Das Bild nutzt eine Funktion, die meist für eher unverfängliche Mitmachtrends in den Instagram-Storys genutzt wird. Dabei teilen Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel fünf persönliche Fotos aus dem vergangenen Monat oder beantworten Fragen wie »Welchen Song hörst du aktuell in Dauerschleife?«

Es handelt sich um eine bei Instagram-Nutzern etablierte Funktion, die auf maximale Weiterverbreitung optimiert ist. Offenkundig kann sie auch genutzt werden, damit politische Botschaften wie ein Lauffeuer die Runde machen. Auffällig war, dass Nutzerinnen und Nutzer das Bild teilten, die bisher noch keine Inhalte zum Gazakrieg veröffentlicht hatten.

Wer den Trend ins Leben gerufen hat

Hinter dem Beitrag steckt ein Nutzer, der sich Shahv4012 nennt und eine Flagge Malaysias und Singapurs in seinem Profil hat. Auf seinen Bildern auf der Plattform ist ein junger Mann zu sehen, der sich offenbar für Autos, professionelle Fotografie und die Natur Südostasiens interessiert. Vor Ort in Israel oder Gaza scheint er offenkundig nicht zu sein und ausweislich seines Profils auch nie gewesen zu sein.

Dennoch teilte Shahv4012 zum Gazakrieg allein in den vergangenen Stunden zahlreiche Inhalte, oft mit einer aggressiveren oder hetzerischeren Botschaft. So verbreitete er etwa eine Landkarte, auf der Israel durchgestrichen war und durch den Schriftzug Palästina ersetzt wurde, oder einen Beitrag, in dem die Ereignisse in Gaza als Genozid bezeichnet werden. In einem anderen Post wurde Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu als »Kindermörder« und Satan bezeichnet, beides bekannte antisemitische Chiffren. Beiträge, die die Hamas kritisierten oder die Freilassung der Geiseln forderten, finden sich nicht.

All das dürfte den Wenigsten klar gewesen sein, die das »All Eyes on Gaza«-Bild in ihrem Profil geteilt haben. Denn die »Du bist dran«-Funktion wurde von Instagram so entwickelt, dass es von dort nur mit einiger Mühe möglich ist, zum Profil des Urhebers zu navigieren.

»Performativer Social Media Bullshit«

Im Netz regte sich unterdessen auch Kritik an dem viralen Trend. So bemängelten einige, dass Nutzerinnen und Nutzer besser den Beiträgen von Menschen vor Ort folgen sollten, statt von jemandem, der aus der Ferne ein Bild postet. Andere kritisierten, dass das Bild nicht dazu genutzt wurde, um Geld für Betroffene oder Opfer in Israel oder Gaza zu sammeln. Wieder andere plädierten für eine ausgewogenere Perspektive auf den Konflikt, der durch einen Terrorangriff der Hamas begann.

Die Aktivistin Rosa Jellinek, lange Vorsitzende des queer-jüdischen Vereins Keshet Deutschland e. V., bezeichnete das Bild als »performativen Social Media Bullshit«. Es sei besser, vertrauenswürdige Nachrichten zu lesen oder zu teilen und sich zu dem Konflikt weiterzubilden. Es müsse alles dafür getan werden, dass alle Geiseln der Hamas sicher nach Hause kommen und dass keine Zivilistinnen und Zivilisten mehr sterben. »Als ob das [Bild] auch nur einem Menschen vor Ort helfen würde«, schrieb sie auf Instagram zu dem »All Eyes on Gaza«-Beitrag.

Israels Angriff auf Gaza

Für weltweites Entsetzen hatte kürzlich insbesondere ein Luftangriff der israelischen Armee in einem Flüchtlingslager am Sonntagabend gesorgt. Bei dem Einsatz kamen laut der von der Terrororganisation Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 45 Menschen ums Leben.

Laut der israelischen Armee galt der Angriff zwei Kommandeuren der Hamas und fand, anders als teils behauptet worden war, nicht in einer als sicher deklarierte Zone statt. Premierminister Netanyahu kündigte dennoch an, den Vorfall zu untersuchen. (Lesen Sie hier mehr darüber.)

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