Zum Tod von Quincy Jones: Der Mannn hinter "Thriller"
Quincy Jones
Der Jahrhundert-ProduzentVon Sky Nonhoff | 04.11.2024
Quincy Jones spielte mit Größen des Jazz wie Count Basie, schrieb Songs für Frank Sinatra und zahlreiche Soundtracks. Mit "Thriller" produzierte er das meistverkaufte Album der Popgeschichte. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Sie hieß Nadia Boulanger und war nicht weniger als die Königin der modernen klassischen Musik. Strawinsky, Leonard Bernstein und Aaron Copland gingen bei ihr ein und aus, und an jenem Tag im Jahr 1957 hatte sie einen neuen Schüler.
Nachdem sie sich ein wenig über Ravels Kompositionstechnik unterhalten hatten, fragte der 24-jährige Quincy Jones die 70-jährige Musikdozentin, ob sie vielleicht einen weiterführenden Tipp für ihn habe. Worauf Nadia Boulanger erwiderte: „Es gibt nur zwölf Töne, Quincy, wirklich nur zwölf. Schauen Sie sich einfach mal an, was andere damit angestellt haben.“
Man kann davon ausgehen, dass Quincy Jones seiner Pariser Lehrerin auch von sich erzählte. Vielleicht nicht, dass er in so elenden Chicagoer Verhältnissen aufgewachsen war, dass seine Großmutter an manchen Abenden gesottene Ratte auf den Tisch gebracht hatte. Aber doch davon, wie er als Elfjähriger auf der Suche nach Essen in ein Lagerhaus eingebrochen war und dabei etwas ganz anderes entdeckt hatte:
„In einem der Büros stand ein Klavier. Um ein Haar hätte ich die Tür wieder zugeschlagen, aber in dem Moment sagte eine Art göttlicher Stimme zu mir: ‚Geh da wieder rein, du Idiot!’ Als ich das Klavier berührte, war es, als würden mein Herz und meine Seele, jede Faser meines Körpers zu mir sprechen: ‚Das ist, was du tun willst – bis ans Ende deines Lebens.’“
Das nennt man Berufung. So spielt Quincy Jones schon mit 18 Trompete in Lionel Hamptons Bigband, der angesagtesten Combo der USA, arrangiert kurz darauf für Dinah Washington, Louis Armstrong, Sarah Vaughan, Dizzy Gillespie.
All das Jahre war vor seiner Pariser Begegnung mit der großen Nadia Boulanger, die ihm noch einen Satz mit auf den Weg zurück in die Staaten gibt. Ein Paradoxon, über das Jones tagelang die Stirn runzelt, weil er – insbesondere als Afroamerikaner – Musik als Ausdruck persönlicher Freiheit versteht. Doch Boulangers Satz lautet: „Musikalische Freiheit lässt sich erst in kompletter Beschränkung erlangen.“
Man muss nicht allzu viel von Quincy Jones’ Werk gehört haben, um zu begreifen, wie er Nadia Boulangers Worte interpretiert hat. Vielleicht sogar als Antithese zum Jazz, auf jeden Fall aber als Fingerzeig, aus dem vermeintlichen Korsett der Beschränkung ein Maximum an Idee und Eleganz herauszuholen: ob in den überlegenen Teenage-Popsongs einer Lesley Gore, in seinen hinreißenden Erwachsenen-Arrangements für Frank Sinatra und schließlich in seinen Dutzenden von Filmsoundtracks, von „In The Heat of The Night“ bis zu „The Color Purple“.
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Über allem stand stets sein eigenes Credo: „Man muss an etwas glauben, erst das gibt einem den richtigen Halt“, so Quincy Jones. „Man weiß nie, ob man gut genug ist oder wie das Publikum reagieren wird. Am Ende versuche ich, in mein Unbewusstes einzutauchen – da wird man meistens fündig.“
Auch wenn Musik keine Hautfarbe hat, war Jones’ Sound immer der einer afroamerikanischen Emanzipation. Deren Linie lässt sich schnurgerade von Bebop bis Hip-Hop ziehen.
Es ist eine Linie, die Quincy Jones raffiniert über ein paar Verbindungspunkte über Soul, Funk und reinen Pop gezogen hat, der nie „rein“, sondern ganz und gar eklektisch ist. So wie Michael Jacksons 100-Millionen-Album „Thriller“, hinter dem ebenfalls Quincy Jones stand.
Der sich daran erinnerte, was ihm Nadia Boulanger ein Vierteljahrhundert zuvor darüber erzählt hatte, was sich mit einem bloßen Dutzend Töne anstellen ließ. Es galt auch für seine eigene Musik und war immer noch kaum zu glauben:
„Ist das nicht irre, Mann? Dass wir alle seit 710 Jahren dieselben zwölf Töne benutzen? Alle: Beethoven, Basie, Bo Diddley, Bird ... alle dieselben zwölf Töne! Ich fasse es nicht! 710 Jahre, der nackte Wahnsinn!“