Premier League: Die fünf Elemente im Titelkampf
Fünf Teams haben nach 20 Spieltagen noch eine realistische Chance auf die Meisterschaft in der Premier League. Wer kann wie seine größte Stärke ausspielen? Ein kleiner Titel-TÜV der etwas anderen Art.
Die Premier League ist zurück. Also zumindest ein bisschen. Der anstehende 21. Spieltag ist gesplittet, um jedem Team nach den stressigen Weihnachts-, Jahreswechsel- und Pokal-Tagen noch mal ein freies Wochenende zu gewähren. Aus der Spitzengruppe sind der Tabellenzweite Aston Villa, der Dritte, Manchester City, und der Fünfte, Tottenham, im Einsatz, eine Woche später dann Spitzenreiter Liverpool und der viertplatzierte FC Arsenal.
Bevor wir hier nun alle Kader, Trainer oder gar das Restprogramm - kleiner Scherz - vergleichen und sezieren, betrachten wir doch mal alles ausnahmsweise nur positiv. Also schauen wir an dieser Stelle nicht in die Glaskugel, um zum Schluss zu kommen, wer warum nicht Meister werden kann, weil vielleicht hier Spieler x fehlt oder da Profi y schwächelt oder dort Team z nach Ballverlust zu langsam umschaltet. Sondern erinnern uns daran, was es denn so generell braucht, um am Ende auf Platz 1 zu landen - und wer mit welchem Trumpf in welcher Kategorie stechen kann.
Qualität: Nix geht über Klasse. In der Regel setzen sich überall die Besten durch. In der Summe, in der Masse, gebührt dieser Stempel immer noch dem Champion, dem amtierenden Meister, gar Quintuple-Sieger (UEFA-Supercup und FIFA-Klub-WM inklusive) Manchester City. Wenn die Mannschaft von Pep Guardiola im Flow ist, den Ball laufen lässt, wie es dem Maestro beliebt, dann laufen die Gegner nur hinterher. Diese Ball- und Passsicherheit, kombiniert mit Automatismen, die ihresgleichen suchen, und Kälte vorm Tor in persona Erling Haaland ist oft unschlagbar. Kurzum, und alles andere wäre in dem Fall lediglich schmückendes Lametta: Läuft alles normal, schlägt ManCity sich nur selbst. Qualität braucht keine großen Worte.
Mentalität: Jürgen Klopp selbst war es, der einst zu Dortmunder Zeiten das Wort "Mentalitätsmonster" geprägt hat. Und seit er Trainer des FC Liverpool ist, weiß man auf der Insel auch, was Gegenpressing ist. Doch hier soll es nicht um die Finessen und Zutaten einer schnellen Ball(rück)eroberung gehen. Die große Stärke der Reds ist die Einheit mit ihrem Coach. Irgendwie schafft es Klopp seit Jahren, dass sich auch der fünfte Einwechselspieler und sogar die, die nicht zum Zuge kommen, nicht nur wörtlich von ihm in den Arm, sondern tatsächlich mitgenommen fühlen und für ihn durchs Feuer gehen.
Und so können in Liverpool schwächere Spieler reinkommen und dennoch ein Spiel drehen. Diese Mentalität, kein Spiel keine Sekunde verloren zu geben, macht das Team aus und für die Konkurrenz schwer, den Meister von 2020 zu besiegen (erst eine Niederlage unter dubiosen Umständen in Tottenham) und von der Spitze zu verdrängen, auch wenn er fußballerisch nicht das beste Team stellt. Sinnbildlich für viele gedrehte Partien in dieser Saison sei an den 2:1-Sieg in Newcastle erinnert, als die Gäste gar in Unterzahl das Match auf den Kopf stellten.
Taktik: An dieser Stelle mag vielleicht nicht jeder zustimmen. Trainer allerdings schon. Die Spitze ist so breit geworden, man muss sich dieses Bild geometrisch immer wieder vor Augen führen, dass es um Nuancen geht. Laufen, sprinten, schießen, passen - das können alle auf höchstem Niveau. Doch den Gegner zu überraschen, das schaffen nicht viele. Unai Emery schon. Er hat aus Aston Villa binnen weniger Monate einen Titelkandidaten geformt, weil er einen klaren Plan hat. Den haben seine Kollegen selbstredend auch, doch beim Team aus Birmingham ist er so ausgereift, dass es fast egal ist, welche Spieler ihn umsetzen.
Es kommt auf das Kollektiv an, jeder kennt seine Rolle. Kurz zusammengefasst schafft es Villa, mit Ball immer wieder überraschend in entscheidenden Zonen Überzahl herzustellen und gegen den Ball die Kontrahenten ständig ins Abseits zu stellen. Auch sie sind daher nur schwer zu knacken.
Einheit und Schönheit in NordlondonTeamgeist: Nein, die Meldung kam nicht. Nicht am 12., nicht am 13. August des letzten Jahres. Tottenham Hotspur stellte nach dem Wechsel von Harry Kane nicht seinen Spielbetrieb ein. Die Ikone, der Superstar ist weg, trifft seitdem in der Bundesliga für den FC Bayern, wie er will. Doch genau aus diesem Wechsel plus ihrem neuen Coach Ange Postecoglou haben die Nordlondoner ihre große Stärke gezogen. Wer sie niederringen will, muss eine Einheit besiegen. Ein Team, das durch den Kane-Wechsel in einen für die Gegner gefährlichen Jetzt-erst-recht-Modus geschaltet hat. Das längst nicht alles richtig macht, wie fünf Niederlagen verdeutlichen. Das aber immer wieder aufgestanden ist, an seine offensive Ausrichtung glaubt.
Das neue Team von Timo Werner lebt auch inhaltlich stark vom Teamwork, was sich schon allein darin widerspiegelt, wie zum Beispiel der linke Außenverteidiger Destiny Udogie immer wieder in der Halbspur in die Angriffe einschaltet. Eine von vielen Komponenten des "Ange-Ball". Das Credo dieses Coaches aber lautet, dass die Mannschaft über allem steht. Eine Mannschaft, ein Klub in dem Fall, der jahrelang trotz und mit Kane Hohn und Spott ob der verstaubten Trophäenvitrine erdulden musste. Eine bessere Motivation, als es jetzt allen zu zeigen, dass es auch ohne "Mister Tottenham" klappen kann, gibt es nicht.
Schönheit: Tja, Schönheit ist ja bekanntlich relativ, weil sie im Auge des Betrachters liegt. Doch auch rein objektiv, und ob man den FC Arsenal als Klub nun mag oder nicht, kommt man als Fußballästhet nicht drum herum, den Gunners einfach schönen Fußball zu attestieren. Wie die Kugel rollt, wie schnell, wie sauber, wie fein dort kombiniert wird, das ist einfach herrlich fürs Auge. Und dazu gehören ja nicht nur Passstafetten von A nach B bis Z und zurück, sondern eben auch das Tempo, verbunden mit den entsprechenden Laufwegen, dem Lösen im richtigen Moment. Wer mal in den Genuss gekommen ist, das nicht nur am Fernseher, sondern aus nächster Nähe zu beobachten, ist einfach nur begeistert. Frag nach bei Nürnbergs Trainer Cristian Fiel, der mit seinem Club in der Vorbereitung ein Testspiel gegen die Gunners absolvieren durfte.
Der Zweitligist FCN holte ein achtbares 1:1, dennoch sprach der Coach über den Gegner als eine Mannschaft aus "einem anderen Kosmos". Wenn also am Ende die Schönheit des Spiels obsiegt, die Optik, die B-Note, der künstlerische Wert, kann Arsenal den ersten Meistertitel seit 20 Jahren holen. Damals waren sie die "Invincibles", die Unbesiegbaren. Heute sicher nicht. Man kann, und das soll dann der einzige, aber notwendige negative Hinweis sein, eben auch in Schönheit sterben.
Thomas Böker