Älter als Pius Paschke, 33, war noch kein Skispringer bei seinem ...
Märchen im Sport werden öfter mal geschrieben, so hat es zumindest den Anschein. Meist handelt es sich bei den Hauptdarstellern um sehr junge Athletinnen und Athleten. Hochtalentierte und biegsame Turnerinnen etwa, oder Skispringer, die schon mit 16 Jahren ihren ersten Sieg geschafft haben. Von Wunderkindern ist dann die Rede, und die Verbände, Sponsoren und meist auch die Eltern entwerfen dann eine Wunderkarriere. Seltener macht die andere Gruppe solche Furore, weil die meisten von ihnen irgendwann doch aufgeben, die Wunder-Spätzünder des Sports, solche wie Pius Paschke.
Der Skispringer aus Kiefersfelden an der Grenze nach Österreich hatte auch schon immer Talent, nur reichte dieses gerade für die Gruppe, die um den letzten Weltcup-Startplatz im Team kämpfen darf. Die meisten haben dann irgendwann diesen Kampf aufgegeben, um, wie die meisten Menschen sagen würden, etwas Vernünftiges aus ihrem Leben zu machen. Paschke aber wurde weiter jedes Jahr von seinem Traum getrieben und blieb dran. Jetzt ist er 33 Jahre alt, hat den ersten von zwei Weltcups in Engelberg gewonnen und auch noch Superlative für die Statistiker geliefert.
Die anderen Deutschen haben Pech oder sind in schlechter FormNoch am Morgen vor dem Samstagsspringen im Schweizer Klosterdorf hatte er gezweifelt an seinen Künsten. Nicht jedem passt diese Schanze in 1000 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, Paschke selbst hatte hier auch noch keine Großtaten vollbracht. Nun bot er einen Auftritt, nach dem ihm die Besten des Weltcups, die Hochdekorierten, Respekt zollten. Der Österreicher Stefan Kraft, Weltmeister und Vierschanzentourneesieger, formulierte, etwas ins Poetische lappend: "Wilder, alter Hase. Nach einer sehr schwierigen Zeit so einzuschlagen, Respekt!" Und Andreas Wellinger, der Olympiasieger aus Ruhpolding, packte seine Art Poesie aus: "Der Pius ist einfach ein geiler Typ. Er ist nicht nur ein hochtalentierter Sportler, sondern auch ein angenehmer Mensch. Es taugt mir richtig, dass er das erste Mal ganz oben steht. Das hat er sich verdient, darauf werden wir anstoßen."
Nun ist er der bei seinem ersten Weltcupsieg älteste Skispringer der Geschichte, nämlich 33 Jahre und knapp sieben Monate, was Fans der Statistik zu weiteren interessanten Erforschungen inspiriert. Paschke sprengt nun auch in die Liste der Top Ten der alten Siegspringer, in der er nun als Sechster hinter Kamil Stoch aus Polen rangiert, der 33 Jahre, sieben Monate und 14 Tage alt war bei seinem vorerst letzten Sieg im Weltcup, sowie vor dem Schweizer Simon Ammann (33 Jahre, 5 Monate und 4 Tage). Unangefochten an der Spitze: der Japaner Noriaki Kasai (Japan), mit 42 Jahren, 5 Monaten, 23 Tagen.
So sieht es aus, wenn ein sonst ruhiger Mensch wie Pius Paschke den bislang größten Erfolg seiner Karriere geschafft hat.
(Foto: Gabriel Monnet/AFP)Hinter Paschke wurde nun der Norweger Marius Lindvik Zweiter. Kraft, der den Skisprung-Winterauftakt mit vier Siegen nacheinander beherrscht hatte, kam als Dritter wieder aufs Podium. Die anderen Deutschen dagegen hatten beim ersten Engelberger Samstagsspringen Pech oder schlechte Form. Andreas Wellinger, im ersten Durchgang noch gut in der Luft, landete nach kurzer Flugkurve bei 121,5 Metern und fiel auf Rang zwölf zurück. Dem Rest jener Mannschaft, die in diesem Winter stets in Teamstärke in die besten Zehn vorgestoßen war, erging es noch schlechter. Karl Geiger hatte zu viele Fehler in seinem Flugsystem und kam auf Platz 20, die anderen ebenso, Martin Hamann (Aue) wurde 24. und Stephan Leyhe (Willingen), der in dieser Saison auch schon zweimal auf Platz fünf gekommen war, musste sich mit Rang 26 begnügen.
Lange hatte sich Paschke zurückgehalten. Nun attackierte er und wurde belohntDas machte aber alles nichts für das Team von Bundestrainer Stefan Horngacher. Denn Paschke, der ewige Schüler, hat scheinbar nun den praktischen Teil seiner Karriereprüfung bestanden - zwar nach mehreren Anläufen, aber was soll's. Es war nicht nur ein irgendwie geglückter Sieg, sondern ein logischer und verdienter Erfolg. Nach dem ersten Durchgang musste er noch einmal zweifeln, wie immer eben: "Dass es hier noch für den Sieg reicht, hätte ich nicht gedacht", gestand er später. Allerdings hatten die Konkurrenten mit den großen Namen auch so ihre Probleme, weshalb sich Paschke für etwas entschied, was bislang bei ihm selten vorkam: eine mutige Attacke, genau in dem jenem Moment, der zählt.
Fünf Springer, alles Topleute, warteten hinter ihm, als er als Sechstletzter dran war. Paschke stürzte sich in die Spur - und obwohl er in diese Dimensionen noch nie gestoßen war, obwohl er zuvor noch zugegeben hatte, dass so vieles in seinem Sprung nicht perfekt sei, musste es nun klappen, denn eine derartige Chance hatte er noch nie. Paschke hat seine Stärke vielleicht bei der eleganten Landung und bei seiner perfekten Haltung in der Luft, aber das Entscheidende, was davor kommt, macht ihm Schwierigkeiten: die effektive Haltung bei der Hocke, mit der man möglichst viel Tempo aufnimmt - und ein Absprung, der den Skispringer schnell in die windschnittige Fluglage katapultiert. Schon oft hatte ihn dieser Übergang einen besseren Platz gekostet.
Diesmal aber zeigte er einen fast perfekten Flug. Er hatte zwar starken Rückenwind, aber er schlich mit einem tadellosen Flugsystem auf der Luft herunter, als würde er von einem dieser Gleitschirme getragen, die von den Gipfeln über Engelberg ihre Flieger sachte und sicher heruntertragen. Am Ende landete er mit einem eleganten Telemark, und zehn Minuten später hatte er seinen ersten Sieg geschafft.
Paschke ist keiner, der mit großen Sprüchen daherkommt, er ist ein vorsichtig formulierender Redner, der sich schon mal über sich selber lustig macht. Als Bundeswehrsoldat wurde er mal befragt, ob er sich als berühmter Wintersportler fühle. Die Antwort: "In Uniform werde ich nicht erkannt. Ohne Uniform aber auch nicht."
Das könnte sich nun ändern.