Cum-ex-Prozess: Der Moment, als Christian Olearius wütend wird

19 Sep 2023
Olearius

Seit Montag steht der ehemalige Warburg-Banker Christian Olearius vor dem Landgericht Bonn, weil er bei Cum-ex-Deals mitgemischt haben soll. Schon am ersten Prozesstag ging es auch um Kanzler Olaf Scholz. 

Christian Olearius hat sich am Montagvormittag versteckt: vor der Presse und vor der Öffentlichkeit, und zwar im zweiten Stock des Landgerichts Bonn. Bis kurz vor zehn Uhr harrt er dort mit seinen Anwälten aus, bis kurz vor Beginn seines Prozesses, ehe er sich zum Gerichtssaal aufmacht – es ist ein Weg, der symbolisch für die Biografie dieses Mannes steht.

Im zweiten Stock steigen Olearius und seine Entourage in den Aufzug, der Lift saust in die Tiefe, dann schwingen die weißen Türflügel zur Seite: Olearius tritt heraus, er und seine vier Anwälte laufen noch einige Dutzend Meter weiter, ehe sie in den Saal 0.11 hineinschreiten, empfangen von einem Dutzend Fotografen und Kameraleuten.

Christian Olearius: Das war einmal einer der wichtigsten Geldmanager dieser Republik, ehemals Chef der fast schon legendären Hamburger Warburg Bank, dessen Mitarbeiter einst ehrfürchtig von ihm als „Dr. O“ sprachen. Olearius war ein Inbegriff des angeblich so ehrbaren hanseatischen Kaufmanns, ein gefragter Gesprächspartner bei anderen Wirtschaftsgrößen ebenso wie bei Politikern. Seit Montagvormittag ist Olearius: Beschuldigter vor der 13. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn, angeklagt von der Staatsanwaltschaft Köln in dem Verfahren 63 KLs 1/22.

Der Banker soll 280 Millionen Euro ergaunert haben

Olearius muss sich des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung erwehren: Er soll bei Cum-ex-Geschäften mitgemischt haben, jenen Steuerdeals, bei denen sich Finanzmanager mindestens zehn Milliarden Euro Steuern erschwindelt haben sollen, die sie nie gezahlt haben. Und allein Olearius und seine Truppe sollen 280 Millionen Euro ergaunert haben. Aber nicht nur die Summe ist exorbitant – der Banker ist auch der bislang prominenteste Angeklagte in Sachen Cum-ex.

Beobachter erhoffen sich von dem Prozess nämlich neue Einblicke in die nach Olearius' Institut benannte Warburg-Affäre, in die auch der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwickelt ist. Bislang hat sich Olearius weder zu seiner Rolle noch zu der von Scholz geäußert: Ändert sich dies nun – und stürzt darüber womöglich doch noch der Kanzler, an dem die Affäre wie sein Schatten hängt? So viel ist jedenfalls nach dem ersten Prozesstag klar: Der Skandal wird vor Gericht eine Rolle spielen.

Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte

Was sind Cum-ex-Geschäfte?

Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.

Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.

Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.

Wie funktioniert der Steuertrick?

Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.

Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.

Wer kann den Steuertrick nutzen?

Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.

Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.

Warum waren solche Geschäfte überhaupt möglich?

Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.

Zu Beginn des ersten Prozesstages geht es erst einmal allerdings nicht um die großen Fragen dieses Falls, sondern um juristisches Klein-Klein, das gleichwohl einiges über Olearius Verteidigungsstrategie verraten dürfte: Seine Anwälte scheinen die alte Juristenweisheit für eine Tugend zu halten, wonach Verteidigung immer auch Kampf bedeutet – Kampf von Anfang an.

Einer der Olearius-Anwälte will einen Antrag stellen, das Bonner Gericht mal eben für nicht zuständig zu erklären: Ob er den sofort oder erst später stellen dürfe, fragt der Anwalt die Vorsitzende Richterin Marion Slota-Haaf. Die mahnt, erst solle die Staatsanwaltschaft die Anklage verlesen.

Olearius schart eine Riege alter Juristen um sich

Der Antrag passt zu Olearius' Verteidigungsstrategie: Seit Jahren wehrt sich der 81-Jährige mit Händen und Füßen gegen die Vorwürfe. Und dazu passt auch die Wahl seiner Verteidiger: Es handelt sich um einen Club rauflustiger Männer, von denen der Großteil arg ergraut ist – so wie der schlohweiße Olearius.

Da ist Bernd Schünemann, ein früherer, 1944 geborener Strafrechtsprofessor: Er ist es, der den Antrag stellen will. Das nächste Club-Mitglied ist Klaus Landry, als Anwalt zugelassen seit 1968, und ein alter Vertrauter von Olearius aus Hamburg, dessen Augen vor Angriffslust nur so funkeln. Und dann ist da noch Peter Gauweiler, Jahrgang 1949, der ehedem als rebellischster aller CSU-Politiker galt, der aber auch als Anwalt so manche Schlacht schlug: Den mittlerweile verstorbenen Münchner Medienzaren Leo Kirch vertrat er in dessen Prozess gegen die Deutsche Bank, er errang eine Schadenersatzzahlung von 900 Millionen Euro. Und nun also Olearius.

Gauweiler polterte schon im Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft, der die Warburg-Affäre um Olearius und Scholz untersucht, gegen Politiker und Behörden, um seinen Mandanten aus der Schusslinie zu bringen. Gebracht hat es allerdings wenig. Ob sich das nun ändert?

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