Scholz setzt in Kiew auf Symbolik
Stand: 02.12.2024 15:45 Uhr
Kanzler Scholz hat der Ukraine bei seinem Besuch weiteren Beistand zugesagt - bis Ende des Jahres sollen Panzer und Raketen geliefert werden. In Deutschland gab es dafür Kritik von den Grünen: Tatsächlich sei der Kanzler mit leeren Händen gekommen.
Bei seinem zweiten Ukraine-Besuch seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat Bundeskanzler Olaf Scholz Deutschlands Solidarität mit der Ukraine betont. Das Land könne sich auf Deutschland verlassen. "Wir sagen, was wir tun. Und wir tun, was wir sagen", sagte Scholz.
Besuch verwundeter SoldatenDer Bundeskanzler war am Morgen nach gut neunstündiger Fahrt mit einem Sonderzug aus Polen in Kiew angekommen. Zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besuchte er dort zunächst verwundete Soldaten in einem Krankenhaus, darunter auch einige, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben.
Auch den Maydan, den Platz der Unabhängigkeit im Zentrum von Kiew, besuchten beide. Er ist für die großen Proteste der ukrainischen Demokratiebewegung bekannt. An der Wand für Gefallene am Michaelskloster würdigten Selenskyj und Scholz Soldatinnen und Soldaten, die seit 2014 getötet wurden.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj besuchen im staatlichen Krankenhaus in Kiew auf der Neurologie verwundete Soldaten.
Anschließend sahen sich beide eine Präsentation von Drohnen an, die im Abwehrkampf gegen Russland eingesetzt werden. Dazu gehört auch eine deutsche Drohne der Firma Helsing, mit der an der Front gepanzerte russische Fahrzeuge bekämpft werden können.
Waffenlieferungen noch im Dezember4.000 davon werden ab Dezember ausgeliefert. Sie gehören zu dem von Scholz bis Ende des Jahres angekündigten Waffenpaket. Außerdem dabei: zwei Flugabwehrsysteme Iris-T, zehn "Leopard 1A5"-Kampfpanzer, 60 Schützen- und Kampfpanzer der Typen M80 und M84 sowie 6.000 ungelenkte und 500 gelenkte Raketen.
Insgesamt sollen Scholz zufolge noch in diesem Jahr weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro aus bereits zugesagten Mitteln zur Verfügung gestellt werden.
Anhaltender Wunsch nach NATO-BeitrittZuletzt war Scholz im Juni 2022 in die Ukraine gereist, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. Die drei machten dabei den Weg dafür frei, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wurde.
Der Wunsch nach einer formellen Einladung in die NATO wurde der Ukraine dagegen bis heute nicht erfüllt. Selenskyj erhöht angesichts der russischen Gebietsgewinne in den vergangenen Wochen nun allerdings den Druck. "Die Einladung in die NATO ist eine notwendige Sache für unser Überleben", sagte er am Sonntag in Kiew. Er machte deutlich, dass er sich einen entsprechenden Beschluss beim NATO-Außenministertreffen in Brüssel an diesem Dienstag und Mittwoch wünsche.
Vor allem die Länder an der NATO-Ostflanke wie Polen und die baltischen Staaten hatten schon im vergangenen Jahr beim NATO-Gipfel in Vilnius auf eine Einladung an die Ukraine gedrungen, während Deutschland und die USA noch nicht so weit gehen wollten.
Grüne: "Märchen" und "Lüge"Die Grünen nahmen den Besuch des Kanzlers zum Anlass, neue Finanzhilfen für die Ukraine zu fordern. Co-Parteichef Felix Banaszak erklärte zudem, die von Scholz zugesagten Hilfen von 650 Millionen Euro seien keine neuen Gelder. Bereits zuvor hatte der Grünen-Haushälter im Bundestag, Sebastian Schäfer, im Interview mit der Bild-Zeitung erklärt, dass es der Ukraine und dem Weg zu einem gerechten Frieden nicht helfe, wenn die gleichen Mittel immer wieder neu ins Schaufenster gestellt würden.
"Dieses Paket ist die Teil-Umsetzung der Unterstützung, die der Kanzler Selenskyj bei seinem Besuch in Berlin im Oktober versprochen hatte. Der Kanzler kommt also mit leeren Händen", erklärte Schäfer weiter. Er bezeichnete auf X die Behauptung des Kanzlers, Deutschland sei der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa, als "Märchen" und "Lüge". "Als kühl kalkulierender Haushälter muss ich feststellen: Platz 14, ehrlich gemessen am BIP-Anteil", schrieb der Politiker.
Auch bei dem ehemaligen Koalitionspartner FDP wunderte man sich über die Zusagen des Kanzlers. Karsten Klein, Haushalts- und Verteidigungsexperte der FDP, sagte der Bild-Zeitung: "Wir haben keine neuen Mittel beschlossen." Scholz könne also nur "auf bestehende Zusagen oder laufende Lieferungen beziehen".
"Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung"Für den CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter ist der Scholz-Besuch ein unglaubwürdiges Wahlkampfmanöver. Der Augsburger Allgemeinen sagte er: "Scholz macht Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung und bedient zugleich russische Angst-Narrative." Nach Ansicht von Kiesewetter möchte Scholz mit der Reise nach Kiew "der zunehmenden Kritik in Deutschland an seinem verantwortungslosen Wahlkampf entgegenhalten".
Die Ukraine dringe auf eine sofortige Einladung in das NATO-Bündnis, weitreichende Waffen und die Freigabe, militärische Ziele in Russland zu treffen. Weil Scholz diese Forderungen ablehne, sei der Besuch "verlogen".
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte die Waffenzusagen von Scholz an die Ukraine scharf. "Als Kanzler ohne Mehrheit schon wieder teure Waffengeschenke zu machen, ist nicht nur rücksichtslos gegenüber den deutschen Steuerzahlern, in deren Land Krankenhäuser schließen und Schulen verrotten, sondern bedeutet auch, dass das Sterben in der Ukraine weitergeht und noch mehr junge Männer an der Front ihr Leben verlieren", sagte sie.
Unterschiedliche Meinungen zu "Taurus"-LieferungenScholz hebt im Wahlkampf seine Doppelstrategie in der Ukraine-Politik als Alleinstellungsmerkmal der SPD hervor: Einerseits sichert er der Ukraine weitere Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland zu. Andererseits will er verhindern, dass Deutschland und die NATO in den Krieg hineingezogen werden.
Am Samstag hatte Scholz den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz für dessen Äußerung kritisiert, im Falle einer Kanzlerschaft weitreichende "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Merz wiederum warf Scholz und der SPD vor, bewusst Kriegsangst in der Ukraine-Debatte zu schüren.