Merz für Zusammenarbeit von Union und SPD bei Migrationspolitik

27 Aug 2024
Olaf Scholz
Merz nach Gespräch mit Scholz "Dem Bundeskanzler entgleitet das eigene Land"

Stand: 27.08.2024 17:59 Uhr

CDU-Chef Merz hat Kanzler Scholz eine enge Zusammenarbeit in der Migrationspolitik vorgeschlagen - so könne man Änderungen auch ohne Rücksicht auf FDP und Grüne durchsetzen. Zugleich warf er Scholz vor, das Vertrauen der Menschen zu verlieren.

In einem Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz hat CDU-Chef Friedrich Merz ein gemeinsames Vorgehen von Union und SPD vorgeschlagen, um eine Begrenzung der irregulären Migration durchzusetzen. Die Union wolle das gemeinsam mit der Koalition oder "mit den Teilen der Koalition, die guten Willens" seien, lösen, sagte Merz auf einer Pressekonferenz. Dies könnten, so der CDU-Chef weiter, Sozialdemokraten und Christdemokraten allein umsetzen, ohne Rücksicht auf Grüne und FDP nehmen zu müssen.

Merz betonte, dies sei "ausdrücklich nicht die Bitte um Aufnahme in eine Koalition". Konkret habe er Scholz angeboten, eine rasche Abstimmung im Bundestag über dringende Gesetzesänderungen freizugeben. Zuvor sollten er und Scholz je eine Person benennen, die zügig darüber sprechen sollten, was "wir im Bereich des bestehenden Rechts ändern können".

Scholz offen für Zusammenarbeit

Scholz selbst zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit. Es sei "richtig, wenn auch der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag Zusammenarbeit anbietet bei der Reduzierung der irregulären Migration", sagte der Kanzler bei einem Wahlkampfauftritt in Jena. "Die Regierung und die Opposition sind immer gut gehalten, zusammenzuarbeiten, nicht quer durcheinander, sondern miteinander." Man werde "jedenfalls alles nutzen, damit wir immer mehr gute Regeln in Deutschland miteinander beschließen können."

Genauso richtig sei aber, das entlang der Prinzipien zu machen, die für die Demokratie sowie die Art und Weise, wie das Land gestaltet werden solle, wichtig seien. "Es gelten unsere internationalen Verträge. Es gelten die Regeln der Europäischen Union. Es gilt das, was unser Grundgesetz uns vorschreibt", so Scholz. "Und dann sind viele praktische Vorschläge willkommen."

Auf die Aufforderung des CDU-Chefs, zusammen mit der Union auch ohne die Ampel-Partner schärfere Gesetze zu beschließen, ging Scholz nicht konkret ein. Er wies den Vorwurf zurück, seine Regierung habe bisher nicht gehandelt. Die Maßnahmen wirkten bereits, weil die Zahlen der irregulären Migration sinken und die Zahlen der Abschiebungen steigen würden.

"Dem Bundeskanzler entgleitet das Land"

Eine Stunde lang hatten Merz und Scholz am Vormittag miteinander gesprochen. Das Treffen war schon seit Wochen anberaumt, stand wenige Tage nach dem Messer-Angriff von Solingen aber nun ganz im Zeichen der Migrationspolitik. Bereits in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag könnten fraktionsübergreifend Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden, so Merz. Er verwies darauf, dass eine Mehrheit von Union und SPD dafür ausreichen würde.

Bei dem Gespräch habe er dem Kanzler mehrere Vorschläge unterbreitet und eine enge Zusammenarbeit in der Migrationspolitik angeboten. Scholz habe spontan keine Zustimmung geäußert, aber zugesagt, dass er das bedenken wolle und ihm kurzfristig eine Rückantwort geben wolle. Er rechne damit, dass der Bundeskanzler innerhalb der nächsten Tage eine Antwort gebe, so Merz.

Der Politik attestierte er einen generellen Kontroll- und Vertrauensverlust, der so nicht hingenommen werden dürfe. In dem Gespräch habe er Scholz "deutlich" gesagt, "dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land, er verliert das Vertrauen", sagte Merz. Er halte es "für eine dramatische Entwicklung, dass wir so eine Feststellung heute treffen müssen".

Eine Stunde Gespräch über Migrationspolitik

Konkret forderte Merz Änderungen des Aufenthaltsrechts und des Asylbewerberleistungsgesetzes, aber auch weiterer Vorschriften etwa im Polizeirecht. "Wir müssen den Zuzug an den und über die deutschen Staatsgrenzen steuern und begrenzen."

Nach den europäischen Regeln der Dublin-Verordnungen sei geregelt, dass der Asylantrag in Europa in dem Land des Erstzutritts gestellt werden müsse. Deswegen könnten Migranten an deutschen Grenzen zurückgewiesen werden.

"Wenn das nicht gehen sollte aus europarechtlichen Gründen, und dafür gibt es Argumente, dann muss das in Europa geklärt werden, dass das geht", sagte Merz. Wenn Europa das nicht kurzfristig in der Lage sei zu ändern, gebe es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union das Recht, eine "nationale Notlage" zu erklären im Hinblick auf die Flüchtlinge. Dann sei das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland wichtiger als das europäische Recht. 

Merz auch zur Änderung des Grundgesetzes bereit

Auch zu einer Änderung des Grundgesetzes wäre der CDU-Chef bereit. "Es gibt kein Tabu", sagte er auf eine entsprechende Frage. "Wir können über alle Regeln reden." Zunächst einmal sei der nationale Gesetzgeber gefragt.  Das Grundgesetz regelt in Artikel 16a das Asylrecht. Für eine Änderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. 

Spätestens jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, an dem "die demokratischen Parteien der politischen Mitte - CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne - zu gemeinsamen Lösungen kommen" müssten, sagte Merz mit Blick auf einen Aufruf, den der frühere Bundespräsident Joachim Gauck einmal gemacht hatte. Es müsse erreicht werden, dass "dieser anhaltende illegale Zustrom von Migranten nach Deutschland signifikant kleiner wird".

Unionsforderung verfassungsrechtlich bedenklich?

Die Union fordert auch einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan und die generelle Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder in diese beiden Länder abzuschieben. Die Bundesregierung hält die Forderung unter Verweis auf das individuelle Asylrecht im Grundgesetz für verfassungsrechtlich bedenklich. 

Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte am Montag mit Blick auf das Gespräch gesagt: "Es muss natürlich immer um Vorschläge gehen, die nicht gegen das Grundgesetz verstoßen oder die UN-Menschenrechtscharta oder Ähnliches." Mögliche Vereinbarungen müssten "vernünftig und zielführend" sein. 

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