Gespräch nach Solingen: Merz wirft Kanzler Scholz Kontrollverlust vor
Erst Mannheim, dann Solingen: Zweimal gab es tödliche Messerattacken von Geflüchteten. CDU-Chef Merz hat nun Kanzler Scholz zu harten Gesetzänderungen aufgefordert – notfalls an den Ampelpartnern vorbei.
27.08.2024, 15.59 Uhr
Friedrich Merz während der Pressekonferenz
Foto: Tobias Schwarz / AFPUnter dem Eindruck der Messerattacke von Solingen haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) zu einem Gespräch getroffen. Merz hat dabei laut eigenem Bekunden drei Punkte vorgeschlagen, wie der »anhaltende illegale Zustrom signifikant kleiner« werden könne. »Wir sind nicht in der Politik, um zu beschreiben, was nicht möglich ist«, so Merz nach dem Treffen in Berlin. Wenn etwas rechtlich nicht möglich sei, müsse die Politik die Gesetze ändern.
Merz schlug vor, dass die Parteien der demokratischen Mitte zusammenkommen soll, um nun rasche Lösungen zu erarbeiten. Er sei überzeugt, »dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land«. Das Vertrauen der Menschen müsse zurückgeholt werden.
In drei Punkten sollen neue Gesetze für eine schärfere Asylpolitik erarbeitet werden. Scholz solle für die Regierung einen Beauftragten bestimmen, um rasche Lösungen zu erarbeiten. Er wolle das auch für die Union tun. Zweitens soll ein begrenzter Katalog von Gesetzen erarbeiten werden, »die wir schnell ändern können«. Und in einem dritten Schritt drängt Merz darauf, dass Scholz das Abstimmungsverhalten im Bundestag freigeben möge, um die Gesetze ohne Fraktionszwang durch das Parlament zu bringen.
Der Vorschlag kann als Aufruf zu einer indirekten Großen Koalition verstanden werden. »Wir wollen das gemeinsam mit den Teilen der Koalition, die guten Willens sind, lösen«, sagte Merz – also notfalls mit Stimmen von SPD und Union an den Ampelpartnern FDP und Grüne vorbei. Es gehe dabei nicht darum, die Regierung zu entern. Es gehe um Lösungen, so Merz.
»Ich weiß, dass meine Partei nicht unschuldig daran ist, dass wir dieses Problem haben«, sagte Merz mit Blick auf die Migrationsfrage. Zugleich betonte er, dass die meisten Geflüchteten in Deutschland ein friedliches Leben führen würden. Es seien Einzelne, die Probleme machen.
Als ein Vorschlag für ein härteres Durchgreifen nannte Merz einen Aufnahmestopp. Zudem sollten Geflüchtete ihm zufolge rascher in andere EU-Länder abgeschoben werden, durch die sie zunächst gereist seien. Die illegale Migration müsse »bis auf Weiteres« gestoppt werden. Täglich würden mehr kommen, als man im Monat abschieben könne.
Auch die Landesgrenzen müssten wieder stärker kontrolliert werden. Im Notfall könne Deutschland eine nationale Notlage ausrufen, um seine Binnengrenzen ohne Widerspruch zum EU-Recht schützen zu können. »Geht nicht, ist kein Argument, das ich noch gelten lasse«, so Merz. »Dann muss es wieder machbar gemacht werden.« Es gebe kein Tabu, auch über Grundgesetzänderungen könne nachgedacht werden.
Laut Merz sei das Gespräch mit Scholz angenehm verlaufen. Der Kanzler selbst ging am Dienstagnachmittag bei einem Wahlkampfauftritt im thüringischen Jena auf das Gespräch ein. Es sei »richtig«, dass der Oppositionsführer im Bundestag seine Zusammenarbeit anbiete. Aber, so Scholz, »es gelten die internationalen Verträge, es gelten die Regeln der Europäischen Union, es gilt, was das Grundgesetz uns vorschreibt.« Willkommen seien »praktische Vorschläge« dann, wenn sie diesen Voraussetzungen entsprächen, so der Kanzler.
Scholz war nicht offensichtlich nicht überzeugt von den Asylrechtsverschärfungen, die Merz fordert, er hält sie für gesetzeswidrig. Aber der Kanzler will sich offenbar nicht vorwerfen lassen, dass er sich dem Angebot des Oppositionschefs verschließt. »Wenn die Regierung und die Opposition zusammenarbeiten, dann ist das nie schlecht«, sagt er.
Die Politik hatte in den vergangenen Tagen um den richtigen Kurs in der Asylpolitik gerungen. Merz hatte nach dem Verbrechen von Solingen einen generellen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan gefordert. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Justizminister Marco Buschmann lehnten den Vorschlag unter Verweis auf das Grundgesetz ab. »Wir können nicht einfach sagen, dass niemand mehr zu uns kommen kann«, sagte der FDP-Politiker Buschmann.
Bei der Bluttat von Solingen hatte am Wochenende ein 26-jähriger Syrer wahllos auf Menschen eingestochen, drei wurden getötet, acht weitere zum Teil schwer verletzt. Der mutmaßliche Attentäter war 2022 nach Deutschland eingereist. Eine Abschiebung nach Bulgarien, wo er zuvor bereits als Geflüchteter registriert wurde, scheiterte später.
Zu dem Anschlag bekannte sich der »Islamische Staat« (IS). Auf welchem Wege sich der 26-Jährige radikalisiert hat und ob dies möglicherweise erst in Deutschland geschah, ist noch unklar.