Die Lage am Morgen: Woher nimmt Friedrich Merz die Milliarden für ...

13 Stunden vor
Und alle Fragen offen

Es ist tendenziell eine eher witzlose Angelegenheit, Olaf Scholz zu befragen, egal ob man als Journalist fragt oder als politischer Konkurrent. Der Kanzler hat die Fähigkeit perfektioniert, unangenehme Fragen mit sehr vielen Worten nicht zu beantworten oder besser: Antworten zu geben, nach denen gar nicht gefragt war. Manchmal, Stichwort Cum-Ex, kann er sich auch einfach, schade, schade, nicht erinnern. Aber um echte Erkenntnisse wird es in der Befragung des heutigen Tages sowieso nicht gehen. Es ist ja Wahlkampf.

Olaf Scholz - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

Im Bundestag steht heute die Regierungsbefragung auf der Tagesordnung, der Kanzler stellt sich den Abgeordneten. Bevor er allerdings auf deren Fragen eingeht, darf er selbst ein bisschen was erzählen, bis zu acht Minuten lang. Die könnten lang werden, der Kanzler neigt ja eher nicht dazu, seine Sicht auf die Welt kurzweilig zu präsentieren.

Scholz bei der Regierungsbefragung Anfang Juli

Foto: Michael Kappeler / dpa

Danach folgt das übliche Ritual. Die Opposition stellt Fragen, um den Kanzler vielleicht doch mal kurz ins Straucheln zu bringen. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen versuchen, Scholz möglichst gut aussehen zu lassen. Bei der Regierungsbefragung im Juli tat sich der SPD-Abgeordnete Johannes Schraps dabei besonders hervor, er fragte seinen Parteifreund Scholz: »Nachdem Sie uns in der letzten Woche in der Regierungserklärung die Positionen dargestellt haben, mit denen Sie in diesen Gipfel hineingehen, würde mich jetzt interessieren, wie Sie die Gipfelergebnisse aus der vergangenen Woche bewerten und was sich daraus für Chancen für Deutschland und für die Europäische Union für die Zukunft ergeben.«

Man darf das ruhig liebedienerisch nennen. Aber so funktioniert diese Befragung nun mal. Echten Aufschluss wird sie allenfalls über eine Frage geben: In welcher Verfassung der Kanzlerkandidat Scholz sich gut zweieinhalb Monate vor der Wahl befindet.

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Olaf Scholz - Figure 2
Foto DER SPIEGEL
Zeitenwende immer teurer

Auch Scholz' Herausforderer Friedrich Merz wird heute ein paar Fragen beantworten müssen, allerdings nicht in Berlin-Mitte, sondern, zumindest örtlich gesehen, an der Peripherie: in Berlin-Niederschönhausen, an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, kurz BAKS.

Dort wird er heute Abend mit dem BAKS-Präsidenten, Generalmajor Wolf-Jürgen Stahl, über, genau, Sicherheitspolitik sprechen. Die Fragen dürften hier ein bisschen sachlicher ausfallen als am frühen Nachmittag im Bundestag, über allem schwebt die eine große Leitfrage: Was wäre von einem Kanzler Merz sicherheitspolitisch zu erwarten? Womöglich gibt es darauf in Niederschönhausen sogar echte Antworten.

Verteidigung kostet: Merz in einem »Eurofighter«

Foto: Michael Kappeler / dpa

Die Sicherheitspolitik wird eines der großen Themen für die nächste Bundesregierung sein, unabhängig davon, wer sie stellt. Deutschland und Europa werden künftig, zumal mit einem US-Präsidenten Donald Trump, deutlich mehr für die eigene Verteidigung tun, also mehr Geld ausgeben müssen. Olaf Scholz hat die Zeitenwende ausgerufen und das Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Aber die 100 Milliarden werden schon Ende 2027 aufgebraucht sein.

Und dann? Fehlen pro Jahr 30, eher 40 Milliarden Euro im Verteidigungsetat, um zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, also wenigstens das sogenannte Zweiprozentziel der Nato zu erreichen. Und womöglich muss noch deutlich mehr Geld her, durch die neuen Verteidigungspläne der Nato dürften weitreichende Forderungen nach mehr Kriegsgerät und Personal auf Deutschland zukommen.

Olaf Scholz - Figure 3
Foto DER SPIEGEL

Woher will Merz das Geld nehmen? Und wie viel genau soll es sein? Sollte er darauf heute an der BAKS eine konkrete Antwort geben, wäre das eine kleine Sensation. Eher darf man davon ausgehen, dass er an dieser Stelle den Kanzler kopiert. Und ein bisschen wolkig bleibt.

Mehr Hintergründe: Wie ein Kanzler Merz Deutschland verändern könnte 

Feierstunde mit Störgeräuschen

Für Emmanuel Macron, der sich bekanntermaßen ungefähr so brillant findet wie Olaf Scholz und Friedrich Merz zusammen, sollte dies eine besondere Woche werden. Notre-Dame wird wieder eröffnet, die weltberühmte Kathedrale, nach dem großen Brand 2019. Zur Eröffnungszeremonie am Wochenende haben sich zahlreiche Staatsgäste (und Donald Trump) angesagt. Sie sollen das Bauwerk feiern, aber natürlich auch Macron, schließlich hat der sein Versprechen eingehalten, die Kathedrale nach nur fünf Jahren wieder zu eröffnen, schöner und strahlender als zuvor.

Aber vorher könnte es für Frankreichs Präsidenten erst mal ziemlich unangenehm werden. Innenpolitisch.

Macron besucht Ende 2023 die Baustelle Notre-Dame

Foto: Sarah Meyssonnier / AFP

In der Nationalversammlung wird heute über Misstrauensanträge gegen die Mitte-Rechts-Regierung von Premierminister Michel Barnier abgestimmt, eingereicht vom linken Lager und von den Rechtsnationalen um Marine Le Pen. Gut möglich, dass sie Erfolg haben und Barniers Regierung, die keine eigene Mehrheit hat, damit am Ende ist.

Olaf Scholz - Figure 4
Foto DER SPIEGEL

Und dann?

»Macron müsste dann erneut nach einem Premierminister suchen, der wiederum eine neue Regierung zusammenstellen würde. Die politischen Verhältnisse dürften dadurch kaum stabiler werden«, schreibt mir meine Kollegin Britta Sandberg aus Paris. »Und Macron stünde mindestens genauso geschwächt da wie heute, auch wenn man in seiner Umgebung hofft, der Präsident könnte sich als Pol der Stabilität profilieren.«

Von ganz rechts und ganz links kommen bereits die Rufe, Macron solle auch zurücktreten. »Macron wird darauf nicht eingehen«, schreibt die Kollegin. »Und trotzdem, schön ist das nicht, ausgerechnet in dieser Woche, in der er vor aller Welt einfach mal glänzen wollte.«

Mehr Hintergründe hier: Frankreichs Regierung steht kurz vor dem Fall 

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Warum der Westen die Türkei jetzt braucht: Europäer und Amerikaner sollten über den türkischen Präsidenten Erdoğan versuchen, auf die Konfliktparteien in Syrien einzuwirken. Sonst drohen erneute Vertreibung und die Rückkehr des Terrors. 

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Verlierer des Tages…

Wilder Wolf

Foto: Jussi Nukari / Lehtikuva / dpa

… ist der Wolf. Die Euphorie über die Rückkehr des Raubtiers ist ja schon etwas länger verflogen, nun hat der Europarat entschieden, dass der Schutzstatus des Wolfs gesenkt werden soll. Künftig könnte er damit unter bestimmten Voraussetzungen einfacher abgeschossen werden. Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen betonte präventiv schon mal, es gehe hier nicht um einen »Freifahrtschein für ungeregelte Abschüsse«. Prognose: Der Streit über den Wolf dürfte weitergehen.

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Darum breiten sich Wölfe in Deutschland so schnell aus

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Gewerkschafter rufen zu Generalstreik auf – bis zum Rücktritt von Präsident Yoon: Weil sein Staatshaushalt nicht durchs Parlament ging, verhängte Südkoreas Präsident das Kriegsrecht. Das war »antidemokratisch«, protestieren Gewerkschafter. Die Opposition droht mit einem Verfahren zur Amtsenthebung.

Videos zeigen brutalen Machtmissbrauch von Polizisten in São Paulo: Ein brasilianischer Polizist wirft einen Mann über eine Brücke. Ein anderer Beamter schießt einem Flüchtenden mehrfach in den Rücken. Videoaufnahmen dieser Vorfälle sorgen in São Paulo für Aufruhr.

Trump beantragt Ende seines Schweigegeldprozesses – und argumentiert mit Bidens Worten: Im Prozess um eine Schweigegeldzahlung an eine Ex-Pornodarstellerin wurde Donald Trump schuldig gesprochen. Nun will er erreichen, dass das Verfahren eingestellt wird. Und bedient sich beim Vokabular der Konkurrenz.

Diesen Text möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Psst, ich habe ein Geheimnis: »Es gibt einfach keine zuverlässigen nonverbalen Indikatoren für Lügen und Täuschungen«

Foto: Jasmin Sander / plainpicture

»Wir Menschen sind einfach nicht gut darin, Lügen oder Täuschungen zu erkennen«: Polizei und Gerichte müssen beurteilen, ob Beschuldigte und Zeugen die Wahrheit sagen. Der Berliner Rechtspsychologe Lennart May erklärt im Interview mit meiner Kollegin Marianne Wellershoff, warum sie daran oft scheitern .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Christoph Hickmann, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

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