Die Lage am Morgen: Bratwurst braten, Höcke stoppen

20 Tage vor

Heute geht es um Olaf Scholz’ Antwort auf Friedrich Merz. Um die Wahlkampfstrategie der CDU in Thüringen. Und um den Besuch von Großbritanniens Premier Keir Starmer.

Olaf Scholz - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

28.08.2024, 05.39 Uhr

Kommt der Asylpakt?

Zumindest kurzfristig war es ein geschickter Schachzug von Friedrich Merz: Mit seinem auf der großen Bühne vorgetragenen Angebot an Olaf Scholz, gemeinsam die Migrationspolitik zu reformieren, hat er den Kanzler unter Zugzwang gesetzt. Irgendwie wird sich Scholz in den kommenden Tagen zu Merz’ Vorschlag verhalten müssen.

Bislang hat Scholz nur vage reagiert. Von Merz’ Knallhart-Vorschlägen zur Asylrechtsverschärfung ist er nicht überzeugt. Er will sich aber auch nicht vorwerfen lassen, er verschließe sich dem Angebot des Oppositionschefs. »Wenn die Regierung und die Opposition zusammenarbeiten, dann ist das nie schlecht«, sagte er gestern im Wahlkampf im thüringischen Jena. Und in Delitzsch in Sachsen erklärte er am Abend sogar: »Wir hatten ein gutes Gespräch.«

Olaf Scholz im Wahlkampf in Sachsen

Foto: Axel Schmidt / REUTERS

Aber Merz hat auch sehr konkrete Verfahrensvorschläge gemacht: Der Kanzler und er sollten jeweils einen Beauftragten benennen, diese sollten gemeinsam Vorschläge für schnelle Reformen in der Migrationspolitik ausarbeiten.

Dass Scholz gegen den Willen seiner Koalitionspartner mit der Union Gesetze verabschiedet, ist nahezu ausgeschlossen. Es wäre ein Koalitionsbruch. Die FDP hat zwar schon erkennen lassen, dass sie inhaltlich die Linie der Union unterstützen würde. Aber bei den Grünen ist nicht vorstellbar, dass sie auf den Merz-Kurs einschwenken.

Olaf Scholz - Figure 2
Foto DER SPIEGEL

Wenn Scholz einen Asylpakt mit Merz eingehen will, muss er zuerst ausloten, wo seine Koalitionspartner bereit wären, mitzugehen. Der CDU-Chef wird sich nicht lange gedulden.

Mehr Hintergründe hier: Als Scholz den Sisyphos in sich entdeckt 

Ortstermin Ost

Ich bin auf meiner Tour durch den Osten diese Woche mittlerweile von der Bahn aufs Auto umgestiegen. Genauer gesagt: auf ein Elektroauto. Jetzt ist mein Akku nur noch halb voll und mich beschleichen schon leichte Sorgen.

Die Kilometer habe ich gestern im Wahlkreis von Mario Voigt im Norden Thüringens verfahren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der 47-jährige CDU-Mann der nächste Ministerpräsident Thüringens wird. Er hat im Wahlkampf darauf gesetzt, die Landtagswahl zu einer Entscheidung zwischen sich und der AfD zu machen. Voigt plakatiert: »Höcke stoppen, CDU wählen«. Die Strategie könnte aufgehen.

Mario Voigt beim Bratwurstbraten

Foto: Jens Schlueter / AFP

Auf den letzten Metern versucht Voigt, noch einmal alle zu mobilisieren, die er treffen kann. Ich habe ihn gestern in einem Seniorenwohnpark begleitet und zu einer Firma, die Luftfilter- und Absauganlagen für die Industrie herstellt. Der Firmengründer hat offenbar schon für Konrad Adenauer Plakate geklebt.

In der Mittagspause briet Voigt in der prallen Sonne für die Belegschaft Bratwürste. »Mit mir brennt nichts an«, stand auf seiner Schürze. Der betagte Firmengründer machte Wahlwerbung für ihn. »Ich möchte nicht, dass es noch einmal passiert, dass mögliche Nationalsozialisten hier etwas zu sagen haben«, erklärte er seinen Arbeitern.

Olaf Scholz - Figure 3
Foto DER SPIEGEL

Der Wahlsieger wird am 1. September in Thüringen ziemlich sicher trotzdem AfD heißen. Weil aber niemand mit den Rechtsextremen koalieren wird, reicht Voigt Platz zwei, um Ministerpräsident zu werden.

Lesen Sie zum Ost-Wahlkampf auch: Genosse Gysi und die große Zukunftsfrage 

Donald Trump und der Hühnchen-Vergleich

Kennen Sie die englische Redewendung »to chicken out«? Das heißt so viel wie kneifen oder einen Rückzieher machen. Das muss man wissen, wenn man verstehen will, wie sich Kamala Harris' Kampagnen-Team neuerdings über Donald Trump lustig macht.

US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris

Foto: Brynn Anderson / dpa

Im Mittelpunkt steht das geplante TV-Duell zwischen Harris und Trump. Lange war unklar, ob es wirklich stattfinden wird. Zuletzt schimpfte Trump über den Sender ABC, der die Debatte ausrichten soll, und drohte zumindest indirekt mit einer Absage. »Hast du Angst, Donald Trump?«, fragte Harris' Team auf X und postete dazu ein Hühnchen-Emoji. Ein Video von Trump unterlegten die Harris-Leute mit Gegacker.

Also: Hat Trump Angst vor dem Duell mit Harris? Will he chicken out of the debate?

Letzte Nacht erklärte Trump bei Truth Social, man habe sich auf Rahmenbedingungen für das TV-Duell geeinigt. Er kann es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Harris erlebt einen Aufschwung in den Umfragen. Ein einigermaßen souveräner Auftritt bei der TV-Debatte könnte ihr helfen, den Vorsprung auszubauen, schreibt mein Kollege Roland Nelles. Sie könnte auch weit besser als Joe Biden in der Lage sein, Trump an seinen Schwachstellen anzugreifen.

Olaf Scholz - Figure 4
Foto DER SPIEGEL

Ausruhen kann sich aber auch Kamala Harris nicht. Sie macht heute Wahlkampf im Bundesstaat Georgia, der entscheidend für den Wahlausgang werden könnte. Hier liefern sich Harris und Trump in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und bislang liegt Trump leicht vorn.

Mehr Hintergründe: Hat Donald Trump Angst vor Kamala Harris? 

Lesen Sie hier den aktuellen SPIEGEL-Leitartikel

Was Trump und Harris verbindet – und Deutschland schadet: Egal wer die US-Wahl gewinnt: Ein Comeback der Wirtschaftspolitik des freien Handels wird es kaum geben. Eher dürfte es für deutsche Unternehmen noch schwieriger werden, Produkte in die USA zu verkaufen. 

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Von wem übernahm Bodo Ramelow 2014 das Amt als Ministerpräsident?

Gewinner des Tages…

... sind die deutsch-britischen Beziehungen. Olaf Scholz hat ja unter den Staats- und Regierungschefs wenige, mit denen er sich wirklich gut versteht. US-Präsident Joe Biden gehört dazu. Und seit Neuestem auch der britische Premierminister Keir Starmer, vor sieben Wochen ins Amt gewählt.

Heute kommt der Sozialdemokrat nach Berlin, er wird von Scholz mit militärischen Ehren empfangen. Es ist Starmers Antrittsbesuch. Scholz und er haben sich schon beim Nato-Gipfel in Washington und bei einem Europa-Gipfel in Südengland getroffen.

Scholz und Starmer im Juli in Südengland

Foto: Ludovic Marin / AFP

Dort fiel auf, wie ähnlich sich Scholz und Starmer sind: »Scholz und Starmer sind die personifizierte Rationalität, Charisma ist ihnen weitgehend fremd«, notierten meine Kollegen vor Ort. »Vielleicht mögen sie sich gerade deshalb so sehr.« Auch biografisch gibt es Parallelen: Starmer war ähnlich wie Scholz in seiner Jugend Sozialist, beide studierten später Jura. Und noch etwas haben die beiden gemeinsam: Sie müssen sparen. Starmer hat ein riesiges Haushaltsloch von der konservativen Vorgängerregierung geerbt.

Olaf Scholz - Figure 5
Foto DER SPIEGEL

Was aber kann das enge Verhältnis zwischen Scholz und Starmer bewirken? Einen Exit vom Brexit wird es mit Starmer nicht geben. Aber die beiden Sozialdemokraten können das deutsch-britische Verhältnis neu austarieren. Starmer jedenfalls will sein Land wieder näher an die EU führen.

Mehr Hintergründe hier: Der Mann, auf den Olaf Scholz jetzt hofft 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Sonderermittler reicht Anklage gegen Trump in überarbeiteter Fassung erneut ein: Wegen versuchten Wahlbetruges soll sich Donald Trump vor Gericht verantworten, doch der Supreme Court sicherte ihm Immunität zu. Jetzt nimmt Sonderermittler Jack Smith einen weiteren Anlauf.

Daniel Evans gewinnt längstes Match der US-Open-Geschichte: Der Brite Daniel Evans hat sein Auftaktspiel bei den US Open gewonnen – und mit seinem Rivalen einen Rekord aufgestellt. Ihre Partie hatte um 13.05 Uhr begonnen. Schluss war erst um 18.40 Uhr.

DJ Felix Jaehn sagt aus Sorge um Gesundheit alle Shows ab: In wenigen Tagen sollte er auf der Bühne stehen, doch DJ-Star Felix Jaehn wird vorerst keine Konzerte mehr geben. Er habe verheimlicht, dass er innerlich leide.

Dieses Interview möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Trauernde ukrainische Mutter mit ihrem Kind

Foto: Roman Pilipey / AFP

»Es stellt sich die Frage, ob wir unser Territorium erhalten wollen oder unsere Menschen«: Der ukrainische Historiker Jaroslaw Hrytsak sagt, was seine seelisch erschöpften Landsleute über Verhandlungen mit Russland denken. Im Gespräch mit meiner Kollegin Ann-Dorit Boy bezeichnet er seine Heimat als »democracy by default« und hat einen überraschenden Rat für Präsident Wolodymyr Selenskyj .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Maria Fiedler, stellvertretende Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten