Macron gegen Denkmalschützer - der Fensterstreit von Notre-Dame
Stand: 07.12.2024 14:45 Uhr
Wie viel Moderne darf in Notre-Dame einziehen? Präsident Macron möchte, dass sechs alte Fenster durch zeitgenössische ersetzt werden. Denkmalschützer sind entsetzt - und wollen vor Gericht ziehen.
Als Emmanuel Macron Ende November bei seinem letzten Baustellenbesuch durch die strahlend schöne restaurierte Kathedrale schlendert, lässt er sich - begleitet von Übertragungskameras und von Baustellenchef Philippe Jost - die Geheimnisse dieses sagenhaften Wiederaufbaus erklären. Alles wurde originalgetreu so hergerichtet, wie es der berühmte Chefarchitekt im 19. Jahrhundert, Viollet-le-Duc, seinerzeit geschaffen hatte.
Scheinbar beiläufig erwähnt Macron die Fenster. Die meisten seien ja wunderschön, aber warum habe Viollet-le-Duc damals auch sechs schwarz-weiße Fenster entworfen, will Macron wissen.
Viollet-le-Duc habe gewisse besonders heilige Abschnitte der Kirche in Szene setzen wollen, erklärt ihm Philippe Jost. Und dann sei es damals auch schlicht eine Geldfrage gewesen. Im Übrigen laufe da ja gerade das Auswahlverfahren für neue zeitgenössische Fenster.
240.000 Unterschriften gegen moderne FensterDiesen Dialog haben die beiden für die Öffentlichkeit inszeniert. Denn natürlich weiß Macron längst Bescheid. Schließlich hat er die Idee, zeitgenössische Fenster in Auftrag zu geben, energisch vorangetrieben. Die in seinen Augen minderwertigen schwarz-weißen Fenster sollen weichen.
Gegenwind bekommt der Präsident von den Verfechtern eines zu 100 Prozent originalgetreuen Wiederaufbaus. Allen voran Didier Rykner, Gründer der kunsthistorischen Zeitschrift Tribune de l’art. Er hat eine Petition gegen die zeitgenössischen Fenster gestartet. Rund 240.000 Unterschriften sind zusammengekommen. Rykner wird vor Gericht gehen.
Ende November besichtigte Macron die restaurierte Kathedrale.
"Die Entscheidung des Präsidenten ist anfechtbar", sagt Rykner. Schließlich handele es sich um ein Gebäude unter Denkmalschutz. Das könne man nicht einfach verändern, wie man will. "Wir werden in jedem Fall kämpfen. Denn wenn wir nicht kämpften, würde Macron machen, was er will", empört sich Rykner.
Didier Rykner und seine Mitstreiter haben die Denkmalschutzkommission auf ihrer Seite. Dieses 40-köpfige Gremium hat einstimmig empfohlen, die sechs alten Schwarz-Weiß-Fenster aus dem 19. Jahrhundert in der Kathedrale zu belassen. Doch diese Empfehlung ist nicht bindend.
Außerdem wünscht sich auch die Diözese neue bunte figurative Darstellungen, und zwar zum Thema Pfingsten. Erzpriester Ribadeau-Dumas erklärt: "Die Kathedrale hat ja kein Verfallsdatum, sie durchlebt die Zeitalter."
Vor 860 Jahren sei sie erbaut worden; im 17. Jahrhundert unter Ludwig dem XIV. seien wichtige Gemälde hinzugekommen; im 19. Jahrhundert habe die umfangreiche Restaurierung und Renovierung durch Architekt Viollet-le-Duc stattgefunden. "Es ist normal, dass jedes Jahrhundert die Kathedrale prägt."
Die Entscheidung von Präsident Macron zeige, dass auch das 21. Jahrhundert seine Spur hinterlassen sollte. Auch Baustellenleiter Jost findet diese Idee bestechend: "Die neuen Fenster sollen eine Spur dessen hinterlassen, was hier passiert ist: der Brand, der unglaubliche Wiederaufbau."
Außerdem hätten die Zeitgenossen über die Jahrhunderte hinweg immer etwas Neues beigesteuert. "Das kann für die Kathedrale auch gut sein", findet Jost.
Auswahlverfahren läuft nochDas Auswahlverfahren für die neuen Fenster läuft noch. Zwar steht die Finanzierung auf wackligen Füßen. Schließlich kann man die Spenden für die Restaurierung nicht zweckentfremden. Und außerdem lässt die Schuldenkrise gerade kaum Platz für teure Kunstprojekte.
Doch Macron hält an seinem Plan fest. Seine Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich selbst ein Denkmal setzen, sich und seiner kühnen Wette, diese Kathedrale in nur fünf Jahren wiederzueröffnen.