Historischer Wiederaufbau: Chefarchitekt von Notre-Dame kann jetzt ...

20 Tage vor

Er fühlt Stolz, aber auch den Stress der vergangenen fünfeinhalb Jahre. Die Wiederauferstehung von Notre-Dame nach dem Feuer ist sein Lebenswerk. Nun steht Chefarchitekt Philippe Villeneuve vor dem Tag der Tage.

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Am Tag nach dem Feuerinferno von Notre-Dame am 15. April 2019 ging Philippe Villeneuve niedergeschlagen in das, was von der Kathedrale übrig war. Rauch hing in der Frühlingsluft, der Vierungsturm lag in Trümmern, und verkohlte Balken übersäten das Kirchenschiff. "Wir hatten das Rahmenwerk, das Dach, den Vierungsturm und drei Sektionen des Gewölbes verloren", schildert Villeneuve, seit 2013 der Chefarchitekt der historischen Pariser Kirche.

Philippe Villeneuve ist seit mehr als zehn Jahren Chefarchitekt der Kathedrale.

(Foto: picture alliance / abaca)

Ein paar Stunden zuvor hatte der französische Präsident Emmanuel Macron indes verkündet, dass Notre-Dame wiederauferstehen werde - in nur fünf Jahren. Villeneuve hielt diese Frist im ersten Moment für problematisch. Es klang schlicht unmöglich, das in einer so relativ kurzen Zeit zu bewerkstelligen. Doch als er mit seinen Zweifeln im Kopf durch das Kirchenwrack ging, erlebte er eine Überraschung. So erschreckend es war, die verkohlten Überreste des 861 Jahre alten gotischen Prachtstückes zu sehen, gab es doch einen Lichtblick. "Alle die Buntglasfenster waren verschont geblieben, die großartige Orgel, die Möbel, die Gemälde - all das war intakt... Es war machbar", sagte der Architekt der Nachrichtenagentur AP.

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Historische Restaurierung

Macrons Dekret wurde zur treibenden Kraft hinter der hervorstechendsten Restaurierung in der modernen französischen Geschichte. Seine Ankündigung löste eine enorme globale Welle der Unterstützung aus, am Ende kamen Spenden in einer Gesamthöhe von mehr als 840 Millionen Euro zusammen.

Aber es gab im Laufe der Zeit auch eine Reihe von Hindernissen. Zuerst, unmittelbar nach dem Inferno, mussten die Arbeiten wegen Bleiverseuchung für einen Monat angehalten werden. Dann zwang die Corona-Pandemie Arbeiter zum Fernbleiben. Das Wetter schien ebenfalls nicht so mitzuspielen wie erhofft, heftige Regenfälle verzögerten die Entfernung des verkohlten Gerüsts.

Aber Villeneuve ließ sich nicht entmutigen, exerzierte mit seinem Team vor, was unter außergewöhnlichen Bedingungen möglich ist. Und er setzte sich für eine Verschiebung des Datums für die Wiedereröffnung vom April 2024 auf den 8. Dezember ein. Nun fällt das Ereignis mit dem katholischen Feiertag "Mariä Empfängnis" zusammen - was den Zeitrahmen erweiterte und zugleich Symbolik enthält, da die Jungfrau Maria die Patronin der Kathedrale ist.

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Wie verkraftet man mehr als fünf Jahre einer solchen Mammutarbeit? Villeneuves Sinn für Humor, begleitet von einem jungenhaften Grinsen, täuscht über sein Alter von 61 Jahren hinweg. Aber angesichts der bevorstehenden Wiedereröffnung gesteht er ein andauerndes Gefühl der Nervosität ein. "Ich bin nicht ruhig - keineswegs. Ich bin total gestresst", sagt er. "Es ging nicht nur darum, ein Gebäude zu restaurieren. Dies hier ging um die Wiederherstellung des Herzens Frankreichs."

Strahlender denn je

Das Feuer richtete schwere Schäden an der Kathedrale an, aber es enthüllte auch ihren verborgenen Glanz. Viele von jenen, die in der vergangenen Woche bereits einen Blick ins restaurierte Innere werfen konnten, sagen, dass es noch majestätischer wirke als vor der Katastrophe. "Es ist schrecklich, das (über das Feuer) zu sagen, aber jede Wolke hat ihren Silberstreifen", so Villeneuve mit einem Lächeln. "Der Stein leuchtet jetzt. Er glänzt fast."

Die intensive Hitze sowie fallende Trümmerstücke und Schutt ließen eine Schicht von giftigem Bleistaub zurück, der das sorgfältige Reinigen aller Oberflächen, Skulpturen, Wände und Orgelpfeifen erforderte - was sie so leuchtend aussehen lässt wie seit Jahrhunderten nicht. Und der Anblick des rekonstruierten Gerüsts mittelalterlicher hölzerner Balken und des neu errichteten Vierungsturmes gibt Villeneuve nach eigenen Angaben das Gefühl einer so makellos verrichteten Arbeit, dass es scheint, als habe es das Feuerinferno nie gegeben.

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"Das ist Erfolg", sagt er. Wenn Besucher der Kathedrale den Eindruck hätten, als wäre nie etwas geschehen, "dann habe ich den Schrecken ausradiert."

Denkmal tätowiert

Villeneuve hat sich bei seiner Arbeit treu an die historischen Designs des Architekten Eugène Viollet-le-Duc gehalten, aber einen zutiefst persönlichen Weg gefunden, seine eigene Verbindung zu Notre-Dame zu markieren. Auf seinem Unterarm hat er ein großes Tattoo von Violett-le-Ducs Original-Vierlingsturm aus dem 19. Jahrhundert - demjenigen, der im Feuer zusammenstürzte. Ergänzt wird es durch eine andere - vom Buntglas der Kathedrale inspirierte - Tätowierung auf seiner Brust in einem Rosenkranz-Design.

Viollet-le-Ducs hölzerner Vierungsturm war Teil seinerzeitiger umfassender Restaurierungsarbeiten und eine meisterhafte Wiedererschaffung mittelalterlicher Ästhetik. Ihn so treu wie nur möglich zu rekonstruieren war sozusagen das Herzstück des Projektes nach dem Feuer. "Er war ein Genie", so Villeneuve über den Architekten. "Meine Rolle war es, sicherzustellen, dass diese Vision fortdauert."

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Trotz intensiver Bemühungen, hoher finanzieller Aufwendungen und großem öffentlichen Interesse haben die französischen Behörden bislang nicht den Ursprung des Feuers ausmachen können. Ursprüngliche Theorien legten einen elektrischen Kurzschluss als Auslöser nahe, vielleicht im Zusammenhang mit damaligen Renovierungsarbeiten, aber es gab keine definitive Schlussfolgerung. Diese andauernde Unsicherheit belastet Villeneuve, zumal er bereits Chefarchitekt der Kathedrale war, als das Feuer ausbrach. "Es ist etwas, das dich verfolgt. Nicht die Verantwortung für das Feuer - ich weiß sehr gut, dass ich keine persönliche Verantwortung dafür trage. Zumindest, wie ich meine", sagt er. "Aber es stört mich, nicht (die Ursache) zu wissen."

Notre-Dames Vierungsturm ragt wieder in den Pariser Himmel, für Villeneuve ein Anblick, der ihn stolz macht. Für ihn war die Reise - sein Lebenswerk, kurz, bevor er in den Ruhestand geht - ebenso persönlich wie monumental. "Die Kathedrale brannte, sie stürzte ein, und ich fiel am selben Tag in mich zusammen", schildert der Architekt. "Ich stand nach und nach wieder auf, als sie (Notre-Dame) wieder aufstand. Als sich die Wunden zu schließen begannen, fühlte ich mich besser. Jetzt fühle ich mich bereit, das Krankenhaus zu verlassen."

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