Hype um Nina Chuba: Wie schräg dürfen Songs sein?

Neulich war ich in einer Kneipe, in der es eine Jukebox gibt, 50 Cent pro Song. Es mag an der Uhrzeit gelegen haben oder an der Bierdunststimmung, jedenfalls kam mir alles erhebend vor: die Bedeutung, mit der jede Songentscheidung an diesem Ort aufgeladen wurde; wie die Stammgäste über Musikgeschmack diskutierten; wie alle, die hier schon Säcke mit 50-Cent-Stücken gelassen hatten, über Deutungen verhandelten. Unter die Rockklassiker, die sich die Alkoholexperten wünschten, mischte sich immer wieder eine 24 Jahre alte, aufTiktok bekannt gewordene Sängerin. 50 Cent: „Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel.“ Nina Chuba.

Und dann, zehn Minuten später, als die nächste weit von der Generation Tiktok entfernte Nachtschwärmerin von der Theke herüberwankte: noch einmal Nina Chuba. „Ich will Lila, das sich stapelt, ich will Nina auf Plakaten / Will, dass alle meine Freunde bei mir wohnen in der Straße.“ Okay, dachte ich tiefsinnig, da versöhnt doch jemand die Generationen. Dann gingen uns die Münzen aus.

Der Musikjournalist Michael Behrendt schreibt Bücher über „die größten Songmissverständnisse“ und „Songs, die für Zündstoff sorgen“. Zuletzt hat er sich mit Popmusik befasst, bei der „die physikalischen und sprachlichen Gesetze außer Kraft“ gesetzt werden. Womit er Lyrics meint, die irgendwie schräg klingen, unfreiwillig komische Sprachbilder erschaffen oder absurde Assoziationen. Sprache ist in Songs Material, sie wird gedehnt, zerpflückt, manipuliert. Behrendt hat selbst viele Songs zerpflückt, Schlager und Hits aus Zeiten, in denen Sänger Costa und Bata hießen, aber auch einige für die Jukebox, „Horse With No Name“ zum Beispiel, den Song, aus dem der legendäre Satz „The heat was hot“ stammt. Und eine, wie Behrendt liebevoll schreibt, aufreizend unpräzise Szenerie: „There were plants and birds and rocks and things.“ Wird da pedantisch die Entpoetisierung der Sprache vorangetrieben?

Ich glaube nicht. Behrendt gibt zu, wie viel wir verzeihen, wenn Harmonien und Melodien stimmen. Bei Nina Chuba ist alles Assoziation: die Straße mit den Häusern für die Freunde, die Kanapees, ein gestrichener Himmel. Darum geht’s in einer rauchverhangenen Kneipe: den verpassten Chancen nachzusehen und sich für neue inspirieren zu lassen. Und anderswo auch.

Elena Witzeck schreibt hier alle vier Wochen über Pop. Stellen Sie Ihre Fragen unter [email protected]

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