»Operation Overload«: Russische Kampagne flutet Faktenchecker ...

2 Stunden vor

Vermeintlich stammten die vielen E-Mails von besorgten Bürgern, tatsächlich wohl von Russen: Mit Lügen über Kamala Harris haben sie offenbar versucht, Faktenprüfer in den vergangenen Wochen zu überlasten.

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06.11.2024, 12.06 Uhr

Die Desinformation wurde auch über X (ehemals Twitter) verbreitet: »Viele Anti-Harris-Inhalte erstellt«

Foto: Mauro Pimentel / AFP

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Die Inhalte sind altbekannt, aber die Taktik ist relativ neu: Seit mehreren Monaten erhalten Faktenchecker von spezialisierten Organisationen, aber auch von TV-Sendern und anderen Medien E-Mails, in denen irreführende oder falsche Informationen über westliche Unterstützer der Ukraine, zum Klimawandel oder zu Kamala Harris verbreitet werden. Die Absender der Nachrichten geben sich als besorgte Bürger oder interessierte Leser aus, die den Faktencheckern einen Hinweis geben wollen. Dazu schicken sie ihnen einen Link zu Postings auf Plattformen wie X und bitten, die Beiträge zu überprüfen.

Laut Analysten von der Organisation Check First steckt hinter den E-Mails eine koordinierte russische Kampagne, die die Experten auf den Namen »Operation Overload« (auf Deutsch »Operation Überlastung«) getauft haben. Demnach stecken sie nicht nur hinter den E-Mails, sondern sind auch für die Postings verantwortlich, auf die sie selbst hinweisen. Um sich einen überzeugenden Anschein zu geben, imitieren die Postings zum Beispiel etablierte Medienmarken. Deshalb wird die Kampagne von anderen Analysten auch »Operation Matrjoschka« getauft, benannt nach den berühmten russischen Holzpuppen.

Die zahlreichen Anfragen gehen dabei laut einer Zielliste, die Check First veröffentlicht hat, an Organisationen wie »Correctiv«, aber auch Medien wie das »Wall Street Journal«.

Viele Anti-Harris-Beiträge

»In letzter Zeit haben sie viele Anti-Harris-Inhalte erstellt, aber es gab noch nie einen Inhalt, der sich explizit gegen Donald Trump richtete«, sagt Guillaume Kuster, Mitbegründer der Organisation Check First. Das finnische Unternehmen führt nicht selber Faktenchecks durch, sondern verfolgt Desinformationskampagnen nach und entwickelt dafür Analysesoftware.

Die Macher der Kampagnen nutzten laut Kuster geschickt aktuelle Ereignisse für sich. So verschickten sie laut Check First nach Hurrikan Milton ein Posting mit der Überschrift: »Kamala Harris weigert sich, den Menschen in Florida zu helfen«. In dem Beitrag hieß es demnach, dass Harris Geld für die Ukraine verschwende, das eigentlich nach Florida gehen solle.

»Es ist bemerkenswert, dass die Operation Overload nicht primär auf die breite Öffentlichkeit abzielt. Stattdessen wird versucht, die Aufmerksamkeit von Faktenprüfern und Journalisten zu gewinnen«, so Kuster. Das Ziel der Hinterleute ist es demnach zum einen, Faktenchecker-Organisationen mit ihren E-Mails zu überlasten und ihre Arbeitskraft zu binden.

Zum anderen zielt die Kampagne darauf ab, durch eine mögliche Widerlegung ein größeres Publikum zu erreichen, als es die Postings im Netz allein schaffen. Denn Forscher gehen davon aus, dass unter bestimmten Umständen selbst eine Widerlegung von Fake News dafür sorgen kann, dass bei Leserinnen und Lesern hängenbleibt, hinter den Fehlinformationen könnte auch ein Körnchen Wahrheit stecken.

Die Kampagne habe über den Sommer noch einmal an Fahrt aufgenommen, so Kuster. In einem Bericht Anfang September  hatte seine Organisation die Hinterleute bis nach Russland zurückverfolgt – etwa aufgrund eines den Analysten vorliegenden Datensatzes und einer IP-Adresse, von der E-Mails verschickt wurden.

Desinformation über Deutsche

Bei Check First hat man beobachtet, dass kürzlich auch der »Bild«-Reporter Paul Ronzheimer, der Politikwissenschaftler Carlo Masala und FDP-Politiker Marcus Faber ins Visier der Operation gerieten. Über den Verteidigungspolitiker Faber, der wiederholt für Waffenlieferungen an die Ukraine warb, wurde etwa in einem Posting und einem Videobeitrag behauptet, dass ihm 18 besonders wertvolle Grundstücke in den USA gehörten. »Ich würde nach dem Video gerne wissen, welche Grundstücke ich angeblich besitze«, sagte Faber dem Onlinemedium »T-Online«  dazu.

Man gehe mit einem hohen Maß an Sicherheit davon aus, dass auch diese Videos Teil von »Operation Overload« seien, so Kuster zum SPIEGEL. Die Plattform X hat inzwischen auf das Video über den FDP-Politiker reagiert und das Konto gesperrt, auf dem es verbreitet wurde.

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