Direktor der Berliner Nationalgalerie bei Nan-Goldin-Eröffnung ...

Nan Goldin

Retrospektiven sind Werke der Liebe für geschätzte Künstler. Die amerikanische Fotografin Nan Goldin hat die Neue Nationalgalerie Berlin, die ihr eine große Gesamtschau ausrichtet, bei der Eröffnung vergangenen Freitag in einen Ort des Hasses verwandelt. Die Künstlerin sorgte mit ihrer Eröffnungsrede für einen Eklat und düpierte den gastgebenden Museumsdirektor Klaus Biesenbach, indem propalästinensische Sprechchöre dessen Rede in seinem eigenen Haus niederbrüllten. Wie war es dazu gekommen?

„Antisemitismus als Waffe“

Nach vier Schweigeminuten für die palästinensischen Opfer des Gazakonflikts hielt Goldin eine vierzehnminütige Rede, in der sie das Vorgehen Israels im Gazastreifen als Genozid bezeichnete und die Rolle Deutschlands darin scharf kritisierte. Die deutsche Regierung setze, so Goldin wörtlich, „Antisemitismus als Waffe ein“ („weaponizes anti­semitism“).

Die Künstlerin, die selbst aus ei­ner jüdischen Familie stammt, verstieg sich zu dem geschmacklosen Vergleich des Gazakonfliktes mit den Pogromen gegen Juden in Russland und Deutschland: „Meine Großeltern entkamen den Pogromen in Russland. Ich bin mit dem Wissen über den Naziholocaust aufgewachsen. Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind.“

Ihre durchgängig antiisraelische Rede aber verteidigte Goldin mit der kategorischen Aussage, Antizionismus könne gar nicht antisemitisch sein. Synchronisiert wirkende Aktivisten schwenkten palästinen­sische Fahnen, begleiteten die Rede mit lautstarkem Applaus und Rufen wie „Staatsräson ist Genozid“, „Fuck Israel“ oder „Fuck Germany“ und forderten in Sprechchören un­ter anderem die „Freiheit Palästinas“. Die Gegenrede von Museumsdirektor Klaus Biesenbach wurde von den Demonstranten ununterbrochen niedergeschrien. Biesenbachs an Goldin gewandte Worte „Wie ich bereits in meiner Einleitung erwähnt habe, stimme ich mit Ihrer Meinung nicht überein. Dennoch stehe ich für Ihr Recht ein, sich frei zu äußern“ waren wegen der skandierenden Aktivisten kaum zu hören.

Gerüchte ohne Faktenbasis

Nan Goldin hatte in ihrer Rede zudem die Behauptung aufgestellt, dass seit dem 7. Oktober 2023 in Deutschland 180 Künstler wegen propalästinensischer Äußerungen gecancelt worden seien, ohne auch nur ein konkretes Beispiel zu nennen. Nicht nur scheint Goldin dabei der Widerspruch nicht bewusst geworden zu sein, dass ihre Ausstellung in der Nationalgalerie statt­findet – wie der Namen bereits sagt, nominell das bedeutendste deutsche Ausstellungshaus.

Kann man eine Retrospektive in der Nationalgalerie eines Landes für eine Künstlerin, die seit dem Hamas-Massaker wiederholt in New York mit propalästinensischen Protesten aufgefallen und zuletzt sogar dafür verhaftet worden war, als Canceln verstehen? Auch ansonsten könnte höchstens Goldins Kollegin, die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz mit Wohnsitz in Berlin, ihr eingeflüstert haben, dass aufgrund ihres BDS-Eintretens für Sanktionen gegen Israel eine Ausstellung in Saarbrücken abgesagt worden sei. Die restlichen 179 behaupteten Boykottierten blieben bloßes Gerücht ohne jede Fakten­basis in der von dieser Zeitung überschauten deutschen Ausstellungslandschaft.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte es richtig, dass die Neue Nationalgalerie und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Gol­dins Äußerungen widersprochen hätten. Sie lehne ebenfalls „die unerträglich einseitigen Ansichten der politischen Aktivistin auch zu Israel ab“, betonte die Grünenpolitikerin. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) fügte hinzu: „Ich teile die Position von Nan Goldin nicht und empfinde ihre Statements als kaum hinnehmbar. In unserer Stadt Berlin, in der der Holocaust geplant wurde und die nun für Freiheit steht, ist eine derart geschichtsvergessene Einseitigkeit inakzeptabel.“

Der offene Austausch über Differenzen ist wichtig – der eindimensional parteiische Monolog Nan Goldins jedoch, die politische Indienstnahme einer Vernissage und das wohl einberechnete Niederbrüllen der gegenteiligen Ansicht des Gastgebers hingegen fördern die Entzweiung nur noch mehr.

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