Moldau, Transnistrien und der Druck aus Moskau: Es ist kompliziert

28 Feb 2024

Russische Aggression Moldau, Transnistrien und der Druck aus Moskau: Es ist kompliziert

Moldau - Figure 1
Foto GEO.de

In der Hauptstadt Tiraspol ragt seine Statue vor dem Sitz der Volksvertretung Transnistriens auf

© Evgeny Makarov für GEO

Erst die Ukraine, bald Moldau? Seit Jahren wird das kleine Land von Russland unter Druck gesetzt. Jetzt scheint das abtrünnige Gebiet Transnistrien an der Abspaltung zu arbeiten. Laut russischen Medien bitten Separatisten den Kreml um "Schutz". Wie zerrissen die Region ist, erfuhr ein GEO-Team, das Moldau und Transnistrien 2022 bereist hat

von Nik Afanasjew

Sinnbildlich für das Dilemma von Moldau steht das Hotel "National" in der Hauptstadt Chișinău. Zu sowjetischen Zeiten hieß der markante Betonbau "Intourist", heute steht er leer. Nach Kriegsbeginn in der Ukraine tünchten Unbekannte die zwölf oberen Stockwerke im ukrainischen Blau-Gelb. Kurz darauf übermalten andere Unbekannte die obersten fünf Stockwerke: drei in Schwarz, zwei in Orange – so sieht das Georgsband des russischen Militärs aus.

Groß war die Aufregung in Moldau, bis das Georgsbändchen eines Morgens verschwunden war und alle oberen fünf Stockwerke geschwärzt erschienen. Nun erstrahlen, von unten betrachtet, sechs gelbe Stockwerke, ein blaues und fünf schwarze – ein Barometer der moldauischen Unterstützung für die Ukraine.

Als eine Frau vorbeikommt, die unser Interesse am Hotel "National" bemerkt, poltert sie drauflos. "Es ist eine Schande, dass sie hier russische Symbole verbieten!" Erst kürzlich habe die moldawische Präsidentin Maia Sandu gesagt, dass das Georgsbändchen auf den Müllhaufen der Geschichte gehöre. "Wen wollen sie hier auf dem Müllhaufen entsorgen?", ruft die Frau mit hochrotem Kopf so laut, dass Passanten zur Seite springen. Sie beherberge ja selbst Geflüchtete aus der Ukraine, behauptet die Frau, aber was hier vor sich gehe, gehe wirklich gar nicht. Alle sollten ihre Symbole zeigen dürfen, findet sie. "Und Europa soll sich raushalten!"

Der kleine Staat Moldau verfügt mit seinen etwa 2,6 Millionen Einwohnern über keine nennenswerte Armee. Mit dem abtrünnigen Gebiet Transnistrien im Osten, das von Russland kontrolliert und von russischen Truppen bewacht wird, leidet er stattdessen unter dem gleichen Problem, das die Ukraine vor Kriegsbeginn mit den prorussischen Separatistenrepubliken im Donbas hatte. Nicht zuletzt konstante Drohungen aus dem Kreml lassen die Menschen in Moldau befürchten, dass die ukrainische Geschichte sich bei ihnen wiederholen könnte.

Moldau - Figure 2
Foto GEO.de

Wie kompliziert die Angelegenheiten in Moldau oft geraten, weiß Mathias von Tucher zu berichten. Der Münchner lebt seit Jahren im Land und ist Hafenchef beim Internationalen Freihafen Giurgiulești, gelegen an den gerade einmal 460 Metern Donauufer, die der Binnenstaat Moldau bieten kann. Von Tucher empfängt in seinem Büro im Freihafen, eilt zum Fenster, betrachtet eine dichte Rauchwolke in der Ferne und fragt in den langen Raum hinter sich: "Brennt es dort?" Er zückt sein Telefon, erkundigt sich. Nein, beruhigt er sogleich, "das ist nur eine alte Diesellokomotive". Nie weiß man in Moldau, wo der nächste Rauch aufsteigt.

Der Internationalen Freihafen Giurgiulești liegt am nur am 460 Meter langen Donauzugang der Republik Moldau 

© Evgeny Makarov für GEO

Der Hafenchef hält eine Tasse seiner Heimatstadt, umklammert den Chinesischen Turm des Englischen Gartens und weist nach draußen zum Dreiländereck zwischen Moldau, Rumänien und der Ukraine. "Dieses Stück Donau hat Moldau durch einen Gebietstausch von der Ukraine bekommen", erklärt von Tucher.

Vier Terminals werden bereits von Schiffen angelaufen, ein fünftes lasse er gerade bauen. 1,4 Millionen Tonnen Güter habe der Hafen im vergangenen Jahr umgesetzt. Der Krieg in der Ukraine sorge nun dafür, dass er häufiger ukrainischen Weizen exportiere. "Hier ist viel los", sagt von Tucher und zeigt dann nach draußen, zum grauen Grenzort, der den Hafen umschließt. Das Städtchen habe zehnmal so hohe Steuereinnahmen wie andere Gemeinden in der Gegend, "aber man sieht es ihm nicht an."

Er macht nun einen Kontrollbesuch im Hafen, grüßt Arbeiter, inspiziert Verladerampen und erklärt dabei: "Wer in diesem Land Lehrer oder Arzt werden will, zahlt oft Tausende Euro, allein um die Stelle zu bekommen. Die will er sich zurückholen."

So entstehe eine Korruptionsspirale, die auch seinen Hafen fast in Schieflage gebracht hätte, weil Richter den absurden Forderungen ehemaliger Investoren nachgeben wollten. Der Hafen an sich gehöre aber der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). "Moldau beteiligt sich nicht an den europäischen Sanktionen gegen Russland", erklärt von Tucher, "aber wir wollen auch nicht zu ihrer Umgehung genutzt werden." Alles muss nach allen Seiten abgewogen werden in einem Land wie Moldau, das schon geografisch zwischen allen Stühlen hockt. Und während von Tucher erzählt, beobachtet ihn keine 50 Meter entfernt ein ukrainischer Soldat durchs Fernglas. Man kann sogar seine mürrische Miene erkennen, mutmaßlich nerven ihn die Zivilisten am Grenzzaun.

Wie groß das Dilemma Moldaus ist, zeigt sich bei einer Fahrt ins Separatistengebiet Transnistrien. Der zwischen dem übrigen Moldau und der Ukraine eingequetschte Landstreifen ist ein klassisches De-facto-Regime, mit eigener Währung, Verwaltung und Armee – aber von der Welt nicht anerkannt.

Hammer und Sichel in seiner Flagge geben die Richtung vor, über die Hauptstadt Tiraspol wacht Lenin, es sind kaum Menschen zu sehen. So ordentlich und still ist es in Transnistrien, als habe jemand alle Luft aus der Atmosphäre gesogen, als würden hier weder historische Entwicklungen noch physikalische Gesetze zählen. Vielleicht nicht zufällig behauptet ein Museum in der Festung der transnistrischen Stadt Bender, dass der Baron von Münchhausen seinen berühmten Ritt auf der Kanonenkugel von dort startete. In dieser Festungsanlage befindet sich ein Waffenmuseum, in dem unter einem überdimensionalen Georgsband den russischen "Soldaten und Befreiern" gedankt wird. Der Wachmann des Museums fragt vieldeutig, ob man beim Besuch auch "gut aufgepasst" und "viel gelernt" habe.

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