RTL-Krimi „Miss Merkel“: Die Altkanzlerin als schrullige Alte

Miss Merkel

In Alan Bennetts Novelle „Die souveräne Leserin“ wandelt sich die britische Monarchin durch die erst aufkeimende, dann blühende Liebe zur Literatur von einer zurückhaltenden Figur zur enthusiastischen Entdeckerin, zu einer Persönlichkeit, der das Repräsentieren schnurz wird. Ihre Majestät dankt ab.

Selten ist die Leidenschaft für Bücher eine passendere Verbindung von Humor und Wahrheit eingegangen als in „Die souveräne Leserin“ des Dramatikers und Satirikers, der das britische Fernsehen in vergangenen Jahrzehnten mitgestaltet hat. Das schmale Buch von Bennett war geradezu unheimlich erfolgreich, ob es mehr Menschen zur Literatur gebracht hat, sei dahingestellt.

Auch die Kunstfigur Angela Merkel ist in David Safiers komischem Roman über die Kanzlerin in Rente – „Miss Merkel – Mord in der Uckermark“ – eine begeisterte Leserin. Ihre Lektüre ist nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft zunächst wenig souverän: Sie liest eine Biographie Konrad Adenauers, um auf Ideen zu kommen. Was tun im Alter? Rosenzüchten dauert zu lange, Geduld mit männlichen Egos musste sie lange genug haben. Vorträge halten findet sie so langweilig wie früher Staatsbankette und Kabinettssitzungen.

Ein neues Hobby muss her. Eines, das ihrem Leserinnen-Doppelleben entspricht. Sobald der Gatte die Handtasche weggelegt hat und schläft, legt Miss Merkel, die ja mit außerordentlich wenig Nachtruhe auskommt, den Adenauer beiseite und zieht Unterhaltungskrimis unter der Bettdecke hervor.

Merkel als Hobbydetektivin

Auch in der Drehbuchvorlage des RTL-Films „Miss Merkel – Ein Uckermark-Krimi“ von Stefan Cantz (der zum Erfinderteam des Ulk-„Tatorts“ aus Münster zählt) liest die Kanzlerin im Ruhestand am liebsten Krimis. Wenn sie in ihrer bescheidenen Uckermark-Residenz – man fährt ein schwach motorisiertes Elektroauto und geht umweltfreundlich zu Fuß – nicht für Ehemann „Puffel“, auch Achim genannt (Thorsten Merten) und den Personenschützer Mike (Tim Kalkhof) Kartoffelsuppe kocht oder Kuchen backt. Diese einst mächtigste Frau der Welt, so machen Safier und Cantz so liebe- wie respektvoll deutlich, leidet im Ruhestand nicht unter narzisstischem Bedeutungsverlust.

Die Idee, Angela Merkel im Ruhestand als neue Miss Marple Verbrechen aufklären zu lassen, hat unterhaltendes Potential. Zumal Katharina Thalbach sie ansehnlich verkörpert. Weil sie trotz Exaltationen, bei denen sie etwa kreischend und von Pfeilen verfolgt durchs Unterholz rast, nicht so überziehen muss wie in der unsäglichen ZDF-Komödie „Extraklasse – On Tour“ mit Axel Prahl. In der Guttenberg-Satire „Der Minister“ hatte Thalbach als „Angela Murkel“ schon einmal die Lacher auf ihrer Seite. Aber wo „Die souveräne Leserin“ tiefsinnig ist und „Der Minister“ ihr die besten Pointen gönnt, bietet „Miss Merkel“ Flachwitze auf (Regie Christoph Schnee, Kamera Sonja Rom). Und die Handlung sieht aus wie „Inspector Barnaby“ im Boulevardtheater.

Kein Kalauer wird ausgelassen

Als im Schloss bei einem Laien-Ritterspiel der Herr über die maroden Uckermark-Grundfesten mit dem Schierlingsbecher vergiftet wird, ist „Miss Merkel“ zur Stelle. Nicht nur entpuppt sie sich als Agatha-Christie-Kennerin, sondern trägt fortan auch ein Margaret-Rutherford-Gedächtnis-Cape und ermittelt sich – der Gatte ist auf einem Kongress – mit Mops Helmut (der bei Safier noch Putin heißt) durch Ehedramen und Schweigevereinbarungen, heimliche Zeugungen und Jagdunfälle, peinliche Social-Media-Auftritte und Schüsseln mit aufgeschlecktem Kuchenteig.

Von plumpen Sex-Witzen („Zeig mir deine Rakete“) über Ex-Kanzlerinnen-Pieseln im Wald und Flatulenzen des Hundes bis zu Kalauern der billigen Sorte („Lieber Influencer als Influenza“) ist jeglicher Unsinns-Humor aus der unteren Schublade dabei. Mitspieler sind neben Thalbach und Merten, die durchaus ihre Momente haben, Tim Kalkhof, Thomas Heinze, Judith Engel, Judith Neumann, Svenja Liesau, Sascha Nathan und Tane­shia Abt.

Es ist eine vornehme Aufgabe der Satire, die Mächtigen menschlich zu machen und aus der privaten Perspektive zu betrachten. Aber was soll daran lustig sein, Miss Merkel höchstselbst Hundehaufen (in Nahaufnahme) entfernen zu lassen („Ich habe so oft den Mist von anderen weggeräumt“)? Satire kann politisch beißend sein oder augenzwinkernd. Diese ist eine der peinlichen Sorte.

Miss Merkel läuft an diesem Dienstag um 20.15 Uhr bei RTL, verfügbar auch bei RTL+.

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