Malaika Mihambo: "Im Idealfall ist der Kopf leer"

13 Jun 2024

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Mihambo - Figure 1
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Malaika Mihambo hat bei der Leichtathletik-EM Gold geholt. Den Erfolg verdankt sie ihrer mentalen Stärke. Woraus sie die zieht und was ihre größte Niederlage war.

13. Juni 2024, 17:03 Uhr

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Malaika Mihambo bei den Europameisterschaften in Rom: So weit wie sie sprang keine andere Frau. © Silvia Lore/​Getty Images

7,22 Meter sprang Malaika Mihambo in dieser Woche bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Rom – und gewann damit Gold. Weiter sprang sie nur ein einziges Mal: Ihre persönliche Bestleistung liegt bei 7,30 Metern. Im Interview verrät sie, wie es ihr gelingt, im entscheidenden Moment alle Kräfte zu mobilisieren, und wie sie mit Niederlagen umgeht.

ZEIT ONLINE: Frau Mihambo, herzlichen Glückwunsch zur Goldmedaille im Weitsprung bei der Europameisterschaft! Wie schaffen Sie es, bei dem ganzen Trubel und Lärm im Stadion fokussiert zu bleiben? 

Malaika Mihambo: Vielen Dank! Ich gehe regelmäßig in die Meditation und Selbstreflexion. Dabei lerne ich, mich mit meinen Ängsten auseinanderzusetzen und den Fokus zu halten. Nur durch die stetige Übung gelingt das dann auch im Wettkampf.

ZEIT ONLINE: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf der Tartanbahn stehen und zum Anlauf ansetzen? 

Mihambo: Im Idealfall ist alles Wichtige zu Ende gedacht und der Kopf leer. Vor dem Anlauf geht es dann nur noch darum, im Flow zu sein. Sich quasi auf Autopilot zu stellen und einen guten Sprung geschehen zu lassen.

ZEIT ONLINE: Ihrem persönlichen Weitsprungrekord bei der Leichtathletik-WM in Doha 2019 ging ein sportlicher Krimi voraus. Im Finale sind Sie beim ersten Versuch weit vor dem Brett abgesprungen und bei 6,52 Metern gelandet. Der zweite Sprung war ungültig. Es kam alles auf den dritten Versuch an. Wie haben Sie die Situation in Erinnerung?   

Mihambo: Der Moment war besonders schwierig für mich, weil ich in der Saison als ungeschlagene Favoritin dastand. Ich hatte jeden Wettkampf gewonnen und auch das Finale der WM mit einem einzigen Sprung in der Qualifikation locker erreicht. Und nun war ich kurz davor, auszuscheiden. 

ZEIT ONLINE: Wie haben Sie es geschafft, die Nerven zu behalten und dann 7,30 Meter zu springen? 

Mihambo: Ich habe mich vor dem dritten Sprung hingesetzt und meditiert. Ich musste die Vergangenheit ruhen lassen und die Zukunftssorgen abschalten. Danach habe ich mich hingestellt und war frei. Es war wirklich so, als würde es nur das Jetzt geben, kein Gestern und kein Morgen. Diesen Moment habe ich genutzt für den Sprung meines Lebens. 

ZEIT ONLINE: Um Sie herum wuselten die Konkurrentinnen, im Stadion saßen Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer, es war laut und heiß. Und Sie sitzen da und meditieren?  

Mihambo: Ich habe mich seit 2018 intensiv mit Meditation und Selbstreflexion beschäftigt. Und dadurch gelernt, mich auch in absoluten Drucksituationen darauf einzulassen.

ZEIT ONLINE: Wie ist das genau abgelaufen vor dem dritten Sprung in Doha?

Mihambo: Ich hatte vielleicht zwei Minuten, höchstens drei, weil ich mich noch mit dem Trainer besprochen hatte. Ich habe dann noch einen Moment gebraucht, um in mich hineinzuhören. Mein Atem war sehr flach, ich war nervös. 

ZEIT ONLINE: Welche Meditation half Ihnen?

Mihambo: Ich praktiziere verschiedene Formen und habe inzwischen eine Art Werkzeugkasten. Ich kann situativ entscheiden, was gerade passt. In Doha war das eine Atemmeditation. Ruhig und immer länger ein- und ausatmen, bis der Körper dann langsam zur Ruhe kommt und die Gedanken auch ruhiger werden. Das ist wie ein Reset.

ZEIT ONLINE: Wo haben Sie das gelernt?

Mihambo: Ich habe verschiedene Meditationsformen ausprobiert, auch systemisches Coaching, habe mit Sportpädagogen gearbeitet, Bücher gelesen, Podcasts gehört und viel gelernt über Selbstreflexion, Meditation, Visualisierung. Es gibt nicht das eine Schlüsselkonzept, das bei jedem funktioniert. Jeder muss für sich selbst auf die Suche gehen und sich einen eigenen Werkzeugkasten zusammenstellen. 

ZEIT ONLINE: Was raten Sie Menschen, die damit anfangen wollen? 

Mihambo: Sich einen Mentor oder eine Mentorin zu suchen. Was ich anfangs auch hilfreich fand: sich jeden Tag bestimmte Fragen zu stellen. Als ich an meinem Selbstwertgefühl arbeiten wollte, habe ich mich gefragt: Wie habe ich heute auf mich achtgegeben? Wie habe ich mich heute selbst wertgeschätzt? Wie habe ich über mich gedacht? Allein sich jeden Tag zu beobachten und sich dasselbe Thema anzuschauen, führt dazu, dass man achtsamer und bewusster wird. Dann kann man Dinge auch leichter ändern.

ZEIT ONLINE: Wie viel Zeit verbringen Sie am Tag mit Meditation? 

Mihambo: Unterschiedlich. Ich hatte eine intensive Phase, in der ich für einen Vipassana-Kurs in Indien trainiert habe. Da ging es darum, eine Stunde ununterbrochen zu meditieren, ohne sich auch nur einmal zu bewegen. Und dann mit Pausen elf Stunden am Tag. Heute habe ich in diesem Sinne keinen Trainingsplan. Ich meditiere, wie es sich für mich richtig anfühlt. Es geht nicht darum, dass man eine halbe oder ganze Stunde am Tag meditiert und den Rest des Tages am Rad dreht. Sondern es geht darum, unterm Tag immer wieder zu sich zu kommen und sich klarzumachen: Wie geht es mir gerade, was fühle ich, wie fühlt sich mein Körper an? Aus dem Zenbuddhismus habe ich mitgenommen, dass man im Idealfall sein ganzes Leben in einem meditativen Zustand verbringt, in dem man jede Handlung achtsam und bewusst macht. 

ZEIT ONLINE: Sind Sie in dieser Richtung religiös? 

Mihambo: Ich bin auf jeden Fall spirituell, aber einer bestimmten Religion fühle ich mich nicht zugehörig. 

"Ich habe für mich alles erreicht, wovon ich früher nicht zu träumen gewagt hätte." © BEAUTIFUL SPORTS/​R. Schmitt/​imago images

ZEIT ONLINE: Welche Strategien haben Sie, um mit Niederlagen umzugehen?

Mihambo: Ich habe für mich gelernt, mein Selbstwertgefühl und meine Selbstidentifikation nicht von Erfolg und Misserfolg abhängig zu machen. Mir geht es gleich gut, egal ob ich einen Wettkampf gewinne oder verliere. Natürlich bin ich auch mal traurig. Das ist in Ordnung. Vielleicht hängt mir eine Niederlage auch mal drei Tage nach. Aber dann versuche ich, so schnell wie möglich einen konstruktiven Umgang damit zu finden. Woran lag es, dass ich verloren habe? Was muss ich das nächste Mal besser machen? Dann wird aus einer Niederlage eine Lernerfahrung und damit etwas Positives.

ZEIT ONLINE: An welche große Niederlage erinnern Sie sich?

Mihambo: Die erste U18-Weltmeisterschaft, an der ich teilgenommen habe. Während der Qualifikation waren kaum Zuschauer anwesend, aber im Finale war es auf einmal sehr laut. Die Leute haben durcheinandergeklatscht, diesen Lärm und die erhöhte Aufmerksamkeit war ich nicht gewohnt. Ich konnte mein Potenzial nicht abrufen und bin Neunte geworden. Zwei Wochen später bin ich meine persönliche Bestleistung gesprungen und war ganz oben auf der Jahresbestenliste in meiner Altersklasse. Es war also klar, dass ich bei der U18-WM einfach zu nervös war – und daran arbeiten musste.

ZEIT ONLINE: Sie fahren als Gold-Favoritin zu den Olympischen Spielen in Paris. Wie gehen Sie mit dem hohen Erwartungsdruck um? 

Mihambo: Ich spüre keinen großen Druck. Ich habe für mich alles erreicht, wovon ich früher nicht zu träumen gewagt hätte. Ich weiß, dass ich eine außerordentlich erfolgreiche Karriere hatte, und dafür bin ich einfach dankbar. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, nicht mir selbst und auch nicht anderen. Aus dieser Leichtigkeit heraus versuche ich, noch mehr Energie zu generieren, weil ich einfach aus Freude an der Bewegung, aus Freude am Sport Leistung bringen kann. Ich kann nur gewinnen. Das macht mich stark.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie im Sport fürs Leben gelernt, das Sie uns Nicht-Olympioniken mitgeben können? 

Mihambo: Das Gespräch mit sich selbst ist enorm wichtig – die Art und Weise, wie man mit sich umgeht. Ich war früher meine härteste Kritikerin. Aber im Laufe der Jahre bin ich mir meine beste Freundin geworden. Ich habe gelernt, mir selbst Fehler zu verzeihen, und kann gleichzeitig mehr Verantwortung für Fehler übernehmen. Ich gehe achtsam mit mir um und respektiere meine Grenzen. In unserer Gesellschaft geht es immer sehr stark darum, zu performen. Man soll etwas leisten, soll zu den Besten gehören. Es wird uns beigebracht, dass wir alles sehr ernst nehmen müssen. Müssen wir das wirklich? Wir sollten uns mehr Leichtigkeit erlauben und gleichzeitig diesen sich dadurch öffnenden Raum nutzen, um Leistungen zu erbringen. Dabei steht die persönliche Weiterentwicklung jedoch immer über jeder erbrachten Leistung. 

ZEIT ONLINE: Wie denken Sie über die Zukunft nach, wenn Sie einmal nicht mehr Leistungssportlerin sein werden?  

Mihambo: Ich bin sehr im Hier und Jetzt verankert. Mein Karriereende ist vielleicht in vier Jahren, bis dahin gibt es noch viele Trainingseinheiten, Wettkämpfe und Erfahrungen. Deshalb denke ich darüber nicht so viel nach. Die Weichen sind gestellt – ich absolviere gerade mein Masterstudium in Umweltwissenschaften –, und ich habe viele Ideen, wie ich einen Beitrag leisten kann, dass wir als Gesellschaft besser miteinander leben können. Wenn ich keinen Leistungssport mehr mache, dann werde ich andere Wege finden und ebenfalls glücklich sein.

Im neuen ZEIT-WISSEN-Magazin, das am 21. Juni erscheint, verraten Olympionikinnen und Sportpsychologen, was wir vom Spitzensport für den Alltag lernen können.

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