Neuer Regierungschef: Michel Barnier ist nicht Everybody's Darling

Mit der Ernennung von Michel Barnier könnte Marine Le Pen zur stillen Teilhaberin der Macht werden

Emmanuel Macron hat sich unter Druck von links und rechts für einen konservativen Regierungschef entschieden. Er muss nun auf die Gunst von Marine Le Pen hoffen. Aber Frankreichs Präsident hat nicht vergessen, wer sein gefährlichster politischer Gegner ist.

Michel Barnier - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Der ehemalige Premierminister Gabriel Attal übergibt die Geschäfte am Donnerstagabend an Michel Barnier.

Sarah Meyssonnier / Reuters

Der Rekord ist schon längst gesetzt, nun ist der Zähler vorerst gestoppt. 51 Tage lang hatte Frankreich nur eine geschäftsführende Regierung, ein aussergewöhnlicher Zustand, der die Polit- und Medienblase allerdings deutlich mehr umtrieb als den grossen Rest der Bürger und Bürgerinnen. Fast täglich wurden neue Namen von potenziellen Regierungschefs herumgeboten, diskutiert und wieder verworfen, vermeintliche Fristen genannt und wieder gebrochen. Der Präsident konsultierte und beriet – und hat sich nun für Michel Barnier entschieden.

Der Name des auch auf europäischer Ebene bekannten Politikers taucht spät auf, und er gehörte nicht zu den heiss gehandelten Favoriten. Aber je länger Macrons Beratungen andauerten, desto ambitionierter wirkte sein Ziel, einen Premierminister zu finden, der nicht gleich einem Misstrauensvotum zum Opfer fällt.

Eine Wahl zwischen links und rechts

Denn das Ende Juni neu gewählte Parlament hat entgegen der Hoffnung des Präsidenten keine klaren Mehrheiten hervorgebracht. Es ist in drei Blöcke gespalten, wobei die Mitte nach der Linkskoalition und den Rechtsnationalisten das kleinste Gewicht hat. Die Suche nach einem Regierungschef gab einen Vorgeschmack auf die bevorstehenden Debatten. Kandidaten mit linker Neigung wurden sogleich von rechts angefeindet und umgekehrt. Und als der Name eines politisch unbelasteten Technokraten die Runde machte, stänkerten viele. Ein Kandidat der Mitte fiel ausserdem weg, weil Macron sich verpflichtet hatte, niemanden aus seinem Lager vorzuschlagen.

Ausgerechnet der Präsident, der einst mit dem Credo angetreten war, das Links-rechts-Schema in der französischen Politik sei überholt, sah sich also gezwungen, zwischen diesen zwei Lagern zu entscheiden. Mit dem Konservativen Barnier setzt Macron auf die Rechte. Implizit heisst das: Der Präsident muss auf die Unterstützung von Marine Le Pen hoffen. Deren Partei, das Rassemblement national (RN), stellt die grösste Fraktion im rechten Teil des Parlaments, während Barniers Républicains allenfalls als Mehrheitsbeschaffer dienen können. Le Pen hat verlauten lassen, man werde Barniers Regierungserklärung abwarten, bevor man entscheide, ob er das Vertrauen verdiene.

Macrons Wahl ist also noch keine Garantie für stabile Verhältnisse. Auch ein signifikanter Teil des Mitte-Lagers müsste sich hinter Barnier stellen, damit dieser mit stabilen Mehrheiten rechnen kann. Manch einem Zentristen ist der ehemalige EU-Kommissar aber zu konservativ.

Eine harte Linie in Einwanderungsfragen

Warum also Barnier? Die vereinigte Linke des Nouveau Front populaire hat sich in den letzten Wochen als alles andere denn als Garantin für Stabilität empfohlen. Die Suche nach einem von allen vier Bündnispartnern akzeptierten Kandidatin dauerte Wochen; auch in Bezug auf mögliche Alternativen fiel das Bündnis vor allem durch Kakofonie auf. Die Rechte verhielt sich konsistenter.

Macron dürfte zudem kaum vergessen haben, wer sein gefährlichster Gegner ist. Er rief die Neuwahl wegen des Erfolgs der Rechtsnationalisten aus, die inzwischen Frankreichs wählerstärkste Partei sind. Mit Barnier hofft er zumindest einen Teil der rechtskonservativen Wählerschaft abzuholen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Barnier ist in der Vergangenheit als Kritiker Macrons aufgefallen und hat sich unter anderem mit einer harten Linie in der Einwanderungspolitik hervorgetan – Positionen, die auch das RN vertritt. Trägt Le Pen Barnier mit, wird sie indirekt in die Verantwortung genommen, ohne dass sie zu grossen Schaden anrichten kann.

Barnier ist trotz seinem internationalen Renommee alles andere als Everybody’s Darling. Eines halten ihm aber Freund wie Feind zugute: sein Talent, selbst die unterschiedlichsten Politiker an einen Tisch zu bringen, sie bei Stange zu halten und lösungsorientiert zu verhandeln. Das ist vorerst das wichtigste Werkzeug in seiner neuen Position. Die Auswahl seines Kabinetts wird ein erster Balanceakt – Absturz nicht ausgeschlossen.

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