Erster Prozesstag gegen "Querdenken"-Gründer Ballweg beendet
Stand: 02.10.2024 15:49 Uhr
Michael Ballweg, Kopf der "Querdenken"-Bewegung, steht seit heute vor Gericht. Dort soll unter anderem geklärt werden, ob er versucht hat, Geldgeber zu täuschen. Die Verteidiger kündigten an, dass sich ihr Mandant zunächst nicht äußern werde.
Vor der Wirtschaftskammer des Stuttgarter Landgerichts ist am Mittwochmorgen der erste Prozesstag gegen den Gründer der "Querdenken"-Initiative Michael Ballweg zu Ende gegangen. Die erste Sitzung mit der Verlesung der Anklageschrift war bereits nach knapp 45 Minuten beendet. Ursprünglich hatte Ballwegs Verteidigerteam ein Statement nach der Anklageverlesung im Gerichtssaal abgeben wollen. Dort wollten sich Ballweg und seine Anwälte dann aber doch nicht weiter zur Sache und zur Person äußern. Die Verteidiger kündigten weiter an, dass ihr Mandant sich auch an den kommenden Verhandlungstagen nicht dazu äußern werde.
Prozess gegen "Querdenken"-Initiator Ballweg gestartet: Statement außerhalb der GerichtssaalsNach dem Ende des ersten Prozesstags gab es dann aber außerhalb des Gerichtssaals doch noch ein Statement von Ballweg und seinem Team für die Presse. Ballweg kritisierte dabei beispielsweise "Repressionen" gegen sich und kündigte an, dass "Querdenken" weitergehe. Außerdem gab er zu verstehen, dass er sich im Prozess als politisch Verfolgter sehe.
Vor Prozessbeginn hatte sich Ballweg positiv gestimmt gezeigt. Er erschien in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Freiheit wird aus Mut gemacht". Er sagte, dass er mit einem "sehr guten Gefühl" in den Gerichtssaal gehe. Ballweg wird versuchte Steuerhinterziehung, vollendete Steuerhinterziehung sowie versuchter Betrug in 9.450 Fällen vorgeworfen. Zuvor waren sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Landgericht über die Zulässigkeit einiger Anklagepunkte uneinig gewesen.
Michael Ballweg wurde 2022 festgenommen und kam zunächst in Untersuchungshaft. Da laut Behörden zunächst Fluchtgefahr bestand, saß er neun Monate in Untersuchungshaft. Ballwegs Verteidiger sagen, dass die Vorwürfe "jeglicher Grundlage entbehren".
So analysiert SWR Rechtsexperte Kolja Schwartz den Prozessauftakt:
Tatvorwurf gegen Michael Ballweg: Versuchter Betrug in 9.450 FällenDer Punkt, der bei der Verlesung der Anklage im Vordergrund stand, war der Vorwurf des "versuchten Betrugs im besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen". Dieser Vorwurf der Staatsanwaltschaft Stuttgart war vom Landgericht zunächst nicht zugelassen worden. "Hinsichtlich der Betrugs- und Geldwäschevorwürfe lehnte sie (die Wirtschaftskammer des Landgerichts Stuttgart; Anm. d. Redaktion) die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, da nach Auffassung der Strafkammer kein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich dieser Tatvorwürfe bestand."
Das Oberlandesgericht Stuttgart gab aber einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtzulassung statt. Das Oberlandesgericht hatte, anders als das Landgericht, im Januar auch hinsichtlich des versuchten Betruges einen hinreichenden Tatverdacht gesehen, der für eine Anklage nötig ist.
Die Staatsanwaltschaft hatte darüber hinaus ursprünglich auch den Vorwurf der Geldwäsche angebracht. Dieser Vorwurf wurde aber sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht abgelehnt. Beide Instanzen sahen keinen hinreichenden Tatverdacht, weswegen dieser Anklagepunkt fallen gelassen wurde. Ab Mittwoch wird an der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart verhandelt. Es wird ein umfangreiches Verfahren erwartet: Laut Gerichtssprecher Timur Lutfullin sind 33 Verhandlungstage bis zum 24. April 2025 angesetzt.
Prozess gegen Ballweg gestartet: Wie lief der mutmaßliche Betrug ab?Der mutmaßliche Betrug soll sich so abgespielt haben: Ballweg hatte viel Geld seiner Firma und aus seinem Privatvermögen für "Querdenken 711" ausgegeben. Als Ballweg das Geld ausgegangen sei, habe er seine Unterstützer um Hilfe gebeten. Laut Staatsanwaltschaft habe Ballweg spätestens seit Mai 2020 öffentlich um Geld gebeten.
Die Unterstützer hätten ihm insgesamt mehr als eine Million Euro überwiesen. Auf der Website von "Querdenken 711" hatte es lange Zeit die Möglichkeit gegeben, Geld über verschiedene Kryptowährungen sowie über PayPal zu schicken - bei den Aktionen sollte nur unbedingt das Wort "Schenkung" im Betreff verwendet werden und nicht "Spende".
Sowohl laut Staatsanwaltschaft als auch laut Verteidigung haben 9.450 Personen dem "Querdenken"-Gründer Geld überwiesen. Von diesem Geld soll Ballweg dann, so die Staatsanwaltschaft, rund eine halbe Million Euro in sein Privatvermögen umgeleitet haben. Juristisch gesehen sei es versuchter Betrug, weil den Geldgebern vorgegaukelt worden sei, Ballweg habe sich darum bemüht, dass "Querdenken 711" als gemeinnützig anerkannt wird. Zudem habe er sich nicht um den Aufbau einer gemeinnützigen Stiftung oder eines Vereins bemüht.
Unterschied zwischen Spenden und Schenkungen
Spenden sind rechtlich gesehen nur an Körperschaften, die einen steuerbegünstigten Zweck haben, möglich. Dazu zählen gemeinnützige Zwecke. Auch dann erst bekommt die Person, die Geld spendet, eine Spendenquittung und kann die Spende bei der Einkommenssteuererklärung geltend machen. Gemeinnützige Institutionen haben wiederum einen Vorteil, da sie von Körperschaftsteuer und gegebenenfalls Gewerbesteuer befreit sind. Schenkungen sind hingegen steuerlich bis zu einem Betrag von mehreren tausend Euro nicht relevant. Laut Definition des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt eine "Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert" als Schenkung.
Die Staatsanwaltschaft erklärte dem SWR vor Prozessbeginn, dass sie Ballweg konkret vorwirft, "hierbei die Zuwendenden darüber getäuscht zu haben, dass er das Geld nicht nur für 'Querdenken 711', sondern in erheblichem Umfang für eigene Zwecke verwenden wollte." Laut Experten dürfte daher während des Prozesses die Frage im Fokus stehen, ob Michael Ballweg versucht hatte, die Geldgeber vorsätzlich zu täuschen. Also ob zum Beispiel suggeriert wurde, dass die Gelder ausschließlich in die "Querdenken"-Bewegung fließen würden und die Tatsache, dass die Gelder auch für private Zwecke ausgegeben werden, verschwiegen wurde.
Dass es bei dem Vorwurf eines "versuchten Betrugs" bleibt, könnte laut Experten daran liegen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die von ihm für private Zwecke verwendeten Gelder von gerade denjenigen Geldgebern stammten, die auch damit einverstanden gewesen sind. Was jedoch an den Vorwürfen dran ist, wird erst das Hauptverfahren vor dem Landgericht zeigen.
Der IT-Unternehmer aus Stuttgart organisierte ab dem Frühjahr 2020 Proteste gegen Corona-Maßnahmen - zunächst in Stuttgart, später bundesweit:
Tatvorwurf: SteuerhinterziehungBeim Anklagepunkt der versuchten und vollendeten Steuerhinterziehung ist zum Umfang des Vorwurfes bisher wenig bekannt, da wegen des Steuergeheimnisses keine Details veröffentlicht werden dürfen. Im Jahr 2023 erklärte aber die Verteidigung von Michael Ballweg, dass es um die Steuererklärungen des Privatmanns Ballweg und seines Unternehmens gehe. Diese seien für das Jahr 2020, die im August 2022 fällig waren, nicht fristgerecht eingereicht worden. Die Verteidigung argumentiert, dass diese Erklärungen gar nicht fristgerecht eingereicht werden konnten, da Ballweg schon vor Ablauf der Frist in Untersuchungshaft gelandet sei.
Kurz vor Prozessbeginn bekräftigte das Verteidigungsteam um Michael Ballweg gegenüber dem SWR, dass "sowohl der Vorwurf des versuchten untauglichen Betruges wie auch der zweite Vorwurf der versuchten Steuerhinterziehung jeglicher Grundlage entbehren." Ein Urteil wird voraussichtlich erst im kommenden Jahr gefällt.
Hintergrund: die "Querdenken"-Bewegung
Seit März 2020 hatte der Stuttgarter Unternehmer Michael Ballweg Proteste gegen die Maßnahmen von Bundes- und Landesregierung gegen Corona organisiert, ab April 2020 unter dem Namen "Querdenken 711". Von Stuttgart aus bildeten sich überall in Deutschland Regionalgruppierungen der "Querdenken"-Bewegung. Sie riefen mit Protesten zum Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen auf, weil sie sie als Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit sehen. Für Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragten Michael Blume ist "Querdenken" eng mit "QAnon" verbunden. Viele Demonstrantinnen und Demonstranten wollten die Bundesregierung stürzen, sagt Blume. Sie glaubten, sie würden von allen demokratischen Politikern, von Medien und Wissenschaftlern belogen. Die Organisationsstrukturen und Hauptakteure von "Querdenken 711" und seiner regionalen Ableger werden seit Ende 2020 vom baden-württembergischen Verfassungsschutz beobachtet. Das Landesamt für Verfassungsschutz hatte Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung festgestellt.
Am 29. Juni 2022 hatte die Polizei Michael Ballweg verhaftet. Bei einer Durchsuchung hatten sich laut Behörden-Angaben konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Ballweg sich ins Ausland absetzen wollte. Insgesamt neun Monate saß Ballweg in Untersuchungshaft.
Die Gerichte sahen eine mögliche Fluchtgefahr, Ballweg und seine Verteidiger warfen den Gerichten Unverhältnismäßigkeit vor. Das Oberlandesgericht erklärte, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen "durchweg mit der gebotenen Beschleunigung zügig geführt" habe. Ballwegs Anwälte hatten mehrfach auf ein Ende der Untersuchungshaft gepocht. Vor allem, als die Haft nach sechs Monaten um weitere drei Monate verlängert wurde.
Was bedeutet Untersuchungshaft?
Wann kommen Beschuldigte in Untersuchungshaft? Welche Vorgaben müssen dafür erfüllt sein? Und wie lange darf eine Untersuchungshaft dauern? Diese Fragen beantwortet die SWR Redaktion Recht und Justiz: Nicht jeder Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren kommt automatisch in Haft. Die Untersuchungshaft dient allein dazu, das Strafverfahren zu sichern - also dafür zu sorgen, dass die Beschuldigten sich einem späteren Gerichtsprozess nicht entziehen und dass bis dahin keine Beweismittel vernichtet oder manipuliert werden. Die U-Haft ist keine vorgezogene Strafe. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gelten die Beschuldigten als unschuldig. Deswegen gibt es hohe gesetzliche Hürden für die Untersuchungshaft. Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft Voraussetzung Nummer eins ist ein "dringender Tatverdacht". Das ist eine recht hohe Verdachtsstufe. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Beschuldigte in einem späteren Strafverfahren verurteilt wird. Weil die U-Haft aber gerade keine vorgezogene Strafe ist, reicht das allein noch nicht aus. Voraussetzung Nummer zwei ist ein so genannter Haftgrund. Wenn die Gefahr besteht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entzieht, sich also zum Beispiel ins Ausland absetzt, liegt der Haftgrund der "Fluchtgefahr" vor. Besteht die Gefahr, dass Beweismittel vernichtet werden, Beschuldigte sich absprechen oder Zeugen manipulieren, liegt der Haftgrund "Verdunkelungsgefahr" vor. Auch die Wiederholungsgefahr ist bei bestimmten Straftaten ein Haftgrund. Ermittlungen müssen zügig geführt werden Wenn Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzen, gilt der so genannte Beschleunigungsgrundsatz. Das heißt: Es muss besonders schnell gehen. Länger als sechs Monate darf die U-Haft deshalb nur andauern, wenn die Ermittlungen zum Beispiel besonders kompliziert sind. Doch auch in diesen Verfahren müssen die Ermittlungen zügig geführt und so schnell wie möglich zu einem Abschluss gebracht werden. Auch die Hauptverhandlung darf sich nicht zu lange hinziehen, das Gericht muss also ausreichend Verhandlungstermine ansetzen.
Nach neun Monaten, als regulär die Untersuchungshaft erneut geprüft werden musste, sah das Oberlandesgericht keinen ausreichenden Grund, die Untersuchungshaft erneut zu verlängern. Ballweg kam unter Auflagen auf freien Fuß. Der Grund: Weil die Untersuchungshaft auf eine eventuelle Strafhaft angerechnet wird, habe sich die Straferwartung reduziert. Darum habe sich die Fluchtgefahr verringert.
Die Untersuchungshaft wurde ausgesetzt, im April 2023 wurde Michael Ballweg entlassen. Während der Untersuchungshaft hatten bei Kundgebungen vor dem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim Hunderte Menschen immer wieder die Freilassung Ballwegs gefordert.
Sendung am Di., 1.10.2024 6:00 Uhr, SWR4 BW am Morgen, SWR4
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