Entsetzen nach Messerattacke in Zug von Kiel nach Hamburg

26 Jan 2023

Stand: 26.01.2023 16:50 Uhr

Am Mittwoch hat ein Mann in einem Zug von Kiel nach Hamburg mit einem Messer andere Fahrgäste attackiert. Eine 17-Jährige und ihr 19-jähriger Bekannter kamen dabei ums Leben. Gegen den mutmaßlichen Täter wurde jetzt Haftbefehl erlassen.

Am Donnerstagnachmittag ist der 33-Jährige Ibrahim A. dem Haftrichter vor dem Amtsgericht Itzehoe (Kreis Steinburg) vorgeführt worden. "Wir führen ein Verfahren wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vier Fällen des versuchten Totschlags", bestätigte Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rackow. Wegen der Schwere des Vorwurfs und der nicht-ausschließbaren Fluchtgefahr des mutmaßlichen Täters, wurde vom Amtsgericht Itzehoe Haftbefehl erlassen. Laut Müller-Rackow kommt der Mann nun in die Justizvollzugsanstalt Itzehoe in Untersuchungshaft.

Zwei Todesopfer und fünf Verletzte
Blumen und Kerzen liegen auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt. © +++dpa/Bildfunk+++ Foto: Marcus Brandt

Auf dem Bahnsteig des Borkstedter Bahnhofs legen Trauernde Blumen nieder und zünden Kerzen an.

Von insgesamt fünf verletzten Personen ist mittlerweile die Rede - eine 17-jährige Frau und ihr 19-jähriger Bekannter starben bei dem Angriff. Die beiden Todesopfer sind laut Bildungsministerin Karin Prien (CDU) in Neumünster zur Schule gegangen. "Zwei junge Menschen haben ihr Leben verloren, fünf weitere Personen sind verletzt worden. Das macht mich zutiefst betroffen", sagte Innenministerin Sütterlin-Waack (CDU) am Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Kiel. Zwei der Verletzten, so die Ministerin, wurden lebensgefährlich verletzt, die anderen drei Menschen schwer. Aktuell befänden sich noch drei Personen im Krankenhaus.

Demnach war auch der Täter leicht verletzt, als ihn die Polizei am Mittwoch verhaftete. Widerstand soll der Mann dabei nicht geleistet haben. Er sei behandelt worden und befinde sich aktuell in Polizeigewahrsam. "Ergebnisse einer Vernehmung gibt es noch nicht", sagte die Innenministerin. Daher könne man noch keine Aussage über mögliche Motive machen.

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Eine Pressekonferenz im Landeshaus. In der Mitte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). © NDR

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Täter war vorbestraft - aber nicht "vollziehbar ausreisepflichtig"

Nach aktuellen Angaben der Innenministerin lautet der Name des Täters Ibrahim A. "Er ist ein 33 Jahre alter, staatenloser Palästinenser", so Sütterlin-Waack weiter. Von Juli bis November 2021 soll Ibrahim A. in Kiel gemeldet gewesen sein, weshalb er auch bei der Ausländerbehörde in Kiel geführt werde. "In Schleswig-Holstein gibt es zu ihm keine polizeiliche Kriminalakte", sagte die Ministerin. Der Polizei lägen jedoch zwei Einsatzberichte vor - einer wegen einer Streitigkeit, einer wegen Ladendiebstahls.

Allerdings sei der Messerangreifer seit seiner Einreise in 2014 bereits in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg straffällig geworden - unter anderem wegen Gewalttaten. Erst am 19. Januar 2023 sei er aus der Hamburger JVA Billwerder entlassen worden. Dort habe er wegen gefährlicher Körperverletzung eingesessen, so die Ministerin.

Eine Abschiebung des Mannes kam laut Katja Ralfs von der Zuwanderungsabteilung des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums nicht in Frage - hierfür hätte der Betroffene "vollziehbar ausreisepflichtig" sein müssen. Dies sei nach aktuellem Stand jedoch nicht der Fall gewesen, so Ralfs weiter.

Messerattacke auf Wohnungslosen

Nach Informationen des Spiegels soll es sich bei der vorherigen Tat ebenfalls um einen Messerangriff gehandelt haben. Der Mann habe im Januar 2022 vor einer Essensausgabe für Wohnungslose einen anderen Mann mit einem Messer schwer verletzt. Sein Urteil sei noch nicht rechtskräftig gewesen, da der Mann aber bereits ein Jahr in Haft saß, entschied das Landgericht Hamburg, ihn zu entlassen. Es war die erste Verurteilung.

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Spurensicherung am Brokstedter Bahnhof nach Messerangriff in Regionalzug © Danfoto/ Daniel Friederichs Foto: Daniel Friederichs

Der Mann war nach dpa-Informationen mehrere Jahre lang im nordrhein-westfälischen Euskirchen gemeldet und wurde in der Zeit mehrfach wegen verschiedener Straftaten auffällig. Laut Oberstaatsanwalt Carsten Ohlrogge handelte es sich unter anderem um ein Betäubungsmitteldelikt, eine Körperverletzung und die genannte schwere Körperverletzung, dennoch sei er kein Intensivtäter. Sexualstraftäter, wie verschiedene Medien berichteten, sei er nicht gewesen, so Ohlrogge. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um einen staatenlosen Palästinenser handeln.

Trauerbeflaggung in Schleswig-Holstein angeordnet

Nach der tödlichen Messerattacke in der Regionalbahn von Kiel nach Hamburg hat die schleswig-holsteinische Landesregierung Trauerbeflaggung angeordnet. "Schleswig-Holstein trauert. Es ist ein furchtbarer Tag. Es ist schrecklich, was dort an dieser Stelle passiert ist", sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Der Ministerpräsident sprach gestern Abend den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. "Ich bin in Gedanken und in Gebeten bei den Menschen, bei den Angehörigen in dieser wirklich schweren Situation", sagte er. Nun solle so zügig wie möglich aufgeklärt werden.

VIDEO: Sütterlin-Waack äußert sich zu Opfern des Messerangriffs (1 Min)

Die heutige Landtagssitzung stand im Zeichen der Attacke. Eka von Kalben (Grüne), Vizepräsidentin des Landtags, hielt eine Ansprache, anschließend gab es eine Schweigeminute. Von Kalben betonte ebenfalls, die Gedanken gelten den Opfern und ihren Angehörigen. Außerdem sprach sie den Ersthelferinnen und Ersthelfern, die sich dem Täter entgegengestellt hatten, ihre Hochachtung aus. "Ihr Mut und ihre Entschlossenheit, ihre Selbstlosigkeit und ihre Besonnenheit verdienen den allergrößten Respekt", sagte sie. Auch Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) dankte allen Helfenden und Einsatzkräften. In Brokstedt war die Hilfsbereitschaft groß: Helfer hatten schnell im Bürgerhaus einen Raum hergerichtet. Dort bekamen Menschen, die in dem Zug gesessen hatten, Decken und warme Getränke

Täter wird heute dem Haftrichter vorgeführt

Der mutmaßliche Täter war nach der Festnahme in Brokstedt zunächst in ein Krankenhaus gebracht worden, befindet sich laut Polizei mittlerweile aber nicht mehr in ärztlicher Behandlung, sondern in Gewahrsam. Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rackow sagte am Morgen, der Mann werde heute dem Haftrichter vor dem Amtsgericht Itzehoe vorgeführt. Über das Motiv für die Tat ist noch nichts bekannt, ein terroristischer Hintergrund kann laut Staatsanwaltschaft aber ausgeschlossen werden.

120 Reisende während Messerangriff im Zug

Im Zug saßen während der Attacke 120 Menschen, einer von ihnen war Christoph B. "Ich war in der ersten Klasse und die Leute, die bei mir saßen, die rannten alle raus. Dann bin ich rausgerannt. Und da waren überall Blutspuren, den ganzen Zug entlang", sagte er am Mittwoch NDR Schleswig-Holstein. Michael K. wurde von seiner Tochter angerufen, die in dem Zug saß. "Meine Tochter hat mich angerufen zu Hause und hat geschrieben, dass sie aus dem Zug raus mussten, weil da jemand Amok gelaufen ist, der wahllos auf Menschen eingestochen hat", berichtete er.

AUDIO: Zuginsasse: "Überall waren Blutspuren" (3 Min)

Ermittlungen laufen - Zeugen- und Hilfetelefon eingerichtet

Einige Fahrgäste alarmierten mit ihren Handys die Polizei, andere Mitreisende hielten den mutmaßlichen Angreifer noch im Zug fest. Später wurde er dann von der Polizei in Brokstedt festgenommen. In dem Regionalzug gab es nach Polizeiangaben keine Videoüberwachung. Die Polizei bittet deshalb alle Mitfahrenden, die noch nicht mit den Ermittlern gesprochen haben, sowie weitere Zeugen, sich unter der Telefonnummer 04821 / 602 2002 zu melden. Außerdem ist unter der 0800 / 000 75 54 ein Hilfetelefon eingerichtet.

Auf die Frage, ob man die Tat nicht hätte verhindern können, sagte Schleswig-Holsteins Innenministerin: "Das ist natürlich auch eine Frage, die im Rahmen der Justiz entschieden wird. Und da gibt es sehr fachkundige Menschen, die sich genau darüber Gedanken machen, ob es noch eine Betreuung nach der Haft geben muss. Und offensichtlich hat man hier in diesem Fall gesagt: Er hat seine Strafe verbüßt. Das ist so vorgesehen in unserem Rechtssystem."

Weitere Informationen

Ein Tatort am Bahnhof Brokstedt (Kreis Steinburg). © Daniel Friederichs

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 26.01.2023 | 17:00 Uhr

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