Tausende Plakate schmücken den Berliner Mauerstreifen zur ...

3 Tage vor
Aktion zum Jahrestag in Berlin 5.000 Plakate erinnern an den Mauerfall

Stand: 09.11.2024 08:51 Uhr

Mauerfall - Figure 1
Foto tagesschau.de

Vor 35 Jahren fiel die Berliner Mauer. Nun haben Tausende Menschen Plakate gemalt, die entlang der ehemaligen Mauer ausgestellt werden. Vielen ist es wichtig, die Erinnerung am Leben zu halten.

Als Tina Brack am 9. November 1989 erfuhr, dass die Mauer auf ist, machte sich die damals 20-jährige Ostdeutsche sofort auf den Weg. Erst mit dem Trabbi zum Grenzübergang Sonnenallee und dann zu Fuß weiter quer durch die Stadt, im rosafarben Jogginganzug - den hatte ihre Oma aus dem Westen mitgebracht. Bis sie schließlich nach rund zwei Stunden Fußmarsch am Ziel ihrer Träume war: am Kurfürstendamm.

Für Brack ist der Tag des Mauerfalls ein Glückstag, jetzt leitet sie das Hotel The Westin Grand Berlin an der Friedrichstraße. Als der Aufruf kam, an einem Workshop zum 35. Jahrestag des Mauerfalls teilzunehmen, war sofort klar: Sie und Ihre Belegschaft machen mit. Im Hotel nahmen sie sich einen Nachmittag Zeit zum Malen und Zeichnen und Austauschen.

Nun steht Bracks Plakat an der Zimmerstraße, Ecke Jerusalemerstraße. Als sie es nun dort stehen sieht, auf einem Metallständer, inmitten der vielen anderen Plakate, wird sie emotional. "Mir kommen gerade die Tränen, das ist meine Geschichte. Es war ein krasses Freiheitsgefühl."

Tina Brack hat ein Plakat zum Gedenken an den Mauerfall gemalt.

Eindrucksvolle Plakataktion

Gemalt hat sie die Sonnenallee und in der oberen Bildecke das Kaffee Kranzler am Kurfürstendamm. Auch Sprüche hat sie hier hinterlassen: "Einmal Ku'damm und zurück", "Wir sind das Volk", "Endlich frei".

Eine kleine Kerze erinnert an Chris Gueffroy. Er war der letzte Mauertote, sie kannten sich und hatten über die Ausreise diskutiert. Zehn Monate vor dem Mauerfall wurde er beim Fluchtversuch getötet.

Tina Brack findet die Plakataktion sehr eindrucksvoll. Ihr ist es wichtig, dass die Erinnerung an die DDR wachgehalten wird. "Ich habe einen 13-jährigen Sohn, wenn ich ihm davon erzähle, ist es so, als wenn Oma von Kriegszeiten erzählt. Es ist wichtig, das weiter zu tragen, an die jungen Leute, an die Azubis."

Rund 5.000 Plakate entlang der ehemaligen Mauer

Den Veranstaltern von "Kulturprojekte Berlin" war es wichtig, möglichst viele Bezüge herzustellen zwischen der Zeit rund um den Mauerfall und der Erinnerung daran heute. "Wir wollen zeigen, dass sich ja schon vor dem Mauerfall sehr viele Menschen für Demokratie und Freiheit engagierten, in der ehemaligen DDR und in den osteuropäischen Ländern. An die mutigen Menschen von damals soll erinnert werden, sie sollen ein Vorbild sein", so die Projektverantwortliche Simone Leimbach.

Die Protestierenden schrieben, malten, zeichneten ihre Forderungen ganz einfach auf Transparente oder Plakate, die sie auf den Demonstrationen zeigten. Es waren viele, und es fand draußen statt - darum die Idee heute: Tausende Plakate, präsentiert draußen in einer Open-Air-Installation.

Die rund 5.000 Plakate entlang der ehemaligen Mauer sind das Ergebnis von fast 400 Workshops, veranstaltet von Firmen wie den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), von Verbänden wie dem Soziokulturellen Zentrum für vietnamesische Frauen, von Kirchen, Sportvereinen, Schulen, Senioreneinrichtungen, NGOs und vielen mehr.

Tausende Plakate stehen in Berlin als Symbol der Hoffnung, dass das Unmögliche möglich sein kann.

"Demokratische Gesellschaften weltweit unter Druck"

Manche Plakate sind geradezu künstlerisch, viele aber eher schlicht gehalten, schnell gestaltet mit Botschaften. "Liebe" und "Frieden" steht auf einem Plakat, verbunden mit einem Herzen. Auf einem anderen steht nur der Spruch "Kein Frieden ohne Freiheit". Wiederum woanders eher keck: "Kaffee, Nylon, Zigaretten" oder auch "Berlin ist wirklich nicht mehr das, was es mal war, zum Glück".

Es finden sich zahlreiche Herzen, zerrissen oder ganz, genauso wie Mauern, Regenbogen, das Peace-Zeichen. Ein Smiley mit der Aufschrift: "Frieden fängt mit einem Lächeln an" findet sich ebenso wie ein Schwein, das "No more walls" fordert.

"Die Plakataktion soll eine Verbindung schaffen von damals und jetzt, und daran erinnern, dass die Werte, für die damals gekämpft wurde, heute wichtiger sind denn je", sagt die Projektverantwortliche Leimbach. "Demokratische Gesellschaften sind weltweit unter Druck geraten, der Populismus nimmt zu. Deshalb ist das Motto: 'Haltet die Freiheit hoch' so wichtig."

Von Klitschko bis Friedländer - alle malten mit

Auch Prominente mischen sich unter die Plakatmalerinnen und -maler. So die Holocaustüberlebende Margot Friedländer. Sie schreibt: "Seid Menschen" in hellblau und rosa.

Das Plakat von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hängt in der Nähe des Brandenburger Tors. Er erinnert daran, dass auch in der Ukraine Menschen gerade verzweifelt für ihre Freiheit kämpfen.

Der chinesische Menschenrechtsaktivist Zhou Fengsuo fordert auf seinem Plakat "Free China". Und die Fantastischen Vier erinnern daran, dass die Band sich in dem Jahr gründete, als die Mauer fiel.

Menschenrechtsaktivistinnen aus Belarus und Afghanistan malten ebenfalls mit. Genau wie Ercan Yasaroglu, ein Kreuzberger Gastronom, der sich für ein Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzt.

Verschiedenste Botschaften sind auf den Plakaten zu finden.

Gegen die Verklärung der DDR

Doreen Trittel, jetzt 51 Jahre alt, hatte den Mauerfall im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Sie hörte am nächsten Morgen davon. Das hielt die damals 16-Jährige nicht davon ab, ganz brav zur Schule zu gehen, erinnert sie sich. Auf ihrem Plakat steht: "Erinnern und verändern". Es ist gegenüber der US-Botschaft aufgestellt, ebenfalls in der Nähe des Brandenburger Tors.

Trittel ist Künstlerin, sie hatte am Workshop des Bundesverbands Mittelständischer Unternehmen teilgenommen. Lauter Selbstständige aus unterschiedlichsten Bereichen hätten mit Hingabe Plakate gemalt und sich über den Mauerfall ausgetauscht, erzählt sie.

Für Trittel ist die DDR zum Lebensthema geworden. Ihr Vater war hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. Der Mauerfall bedeutete für sie "Verunsicherung und Existenzangst", erinnert sie sich.

Die Freude über den Mauerfall setzte bei ihr viel später ein, und jetzt ist sie über Social Media damit beschäftigt, das Ostdeutsche aus der braunen Schublade zu holen, wie sie erzählt. "Es sind auf Social Media einfach zu viele, die die DDR verherrlichen", kritisiert sie.

Als sie die ganzen Plakate entlang geht, ist sie gerührt: "Ich finde die Installation großartig, weil sie Vielfalt zeigt und die Kraft, für Freiheit einzustehen."

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