Loriot: Wie war er als Kind? Spaziergang durch Vicco von Bülows ...
Keine zwölf Minuten in Brandenburg – und schon kommt es zu einer dieser szenischen Kuriositäten, denen längst das Etikett „wie bei Loriot“ anhaftet: Da führt eine Spaziergängerin ein mopsähnliches Tierwesen durch den grünen Humboldthain an der Niederhavel. Ob das wohl, frage ich, ahnungslos in Hundedingen, ein Mops sei? „Nein“, sagt die Frau in jenem nüchternen Schonton, den Fachmenschen Laien gegenüber anzuschlagen pflegen, „das ist eine französische Bulldogge. Möpse haben anliegende Ohren, Bulldoggen hingegen stets stehende.“
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Ach was? In seiner prachtvollen Nüchternheit hätte dieser Satz, so darf man annehmen, zweifellos auch Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow gefallen. Man kennt sich aus mit Hunden in Brandenburg. Erst recht mit dem Mops, dem Haus- und Hoftier von Loriot, dem berühmtesten Sohn der Stadt. Seit der hiesigen Bundesgartenschau 2015 bevölkern nicht weniger als 28 „Waldmöpse“ die Stadt – bronzene Mopsstatuen mit kleinen Elchgeweihen, geschaffen von der Künstlerin Clara Walter, gespendet von Wohltätern zu 4500 Euro das Stück. Nur zwei wurden bisher geklaut.
Das ist natürlich ein Waldmops und keine französische Bulldogge: Bronzefigur am Humboldthain in Brandenburg an der Havel – einer von bisher 28 Waldmöpsen zur Erinnerung an den bekanntesten Sohn der Stadt: Vicco von Bülow.
© Quelle: Imre Grimm
Es ist ein brillantes, multistationäres Denkmal. Die Vorlage entstammt Loriots Parodie „Der wilde Waldmops“ von 1972. Ein Mops pinkelt, einer döst, einer bellt. Einmal im Jahr trifft man sich zum „Brandenburger Mopslauf“: sieben Kilometer durch die Stadt für 7 Euro als Spende für den Mopserhalt. Sie lieben ihre Möpse.
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Mopsalarm, überall. „Die möchte man am liebsten knuddeln“, sagt Christian Heise (53), studierter Chemiker, heute Stadtführer und passionierter Spezialist für Loriot-Fragen. Wieder ein Mops. Wieder ein Foto. „Machen sie ruhig“, sagt Heise. „Es ist so schönes Licht.“ Natürlich hat die Tierschutzorganisation Peta schon protestiert. Der Mops leide Qualen bei der Zucht und solle nicht glorifiziert werden. „Die sind da ziemlich bissig“, sagt Heise.
Hier wurde die Saat gesätWie sehr haben die Brandenburger Jahre den kleinen Vicco geprägt? Gewiss, es wird ihm auf den Pflasterstraßen kein Urtyp des Lottogewinners Erwin Lindemann begegnet sein. Kein Brandenburger Café hatte einen „Kosakenzipfel“ im Angebot, kein Herr Lohse wird gerufen haben: „Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein!“ Aber natürlich sind die ersten Jahre immer prägend, füllen das kindliche Unterbewusstsein mit Bildern in Lebensfarben. Hier wird die Saat gesät für den Boden, auf dem später die Assoziationen blühen.
Das Geburtshaus in einem alten Kasernengebäude an der Magdeburger Straße 51 in Brandenburg: „In meiner Erinnerung verschwimmen altväterliche Kasernenbauten und die mütterliche Brust zu einem harmonischen Ganzen.“
© Quelle: Imre Grimm
Wir erreichen die Magdeburger Straße 51. „Das ist sein Geburtshaus“, sagt Heise. Ein Kaserneneckhaus aus rotem Klinker, einst eine prachtvolle Militäranlage, im Krieg heftig zerbombt. Aber es ist noch etwas zu ahnen vom zackigen Gehorsamsgeist der Füsiliere, die hier im Kaiserreich gedrillt wurden. Der Vater Johann-Albrecht Wilhelm von Bülow, Polizeileutnant aus einem stolzen preußisch-mecklenburgischen Adelsgeschlecht, bildete in den Zwanzigerjahren hier Polizisten aus. In Wahrheit aber war die „Polizeikaserne Groß-Berlin“ längst wieder eine paramilitärische Kaderschule, in der man heimlich die Remilitarisierung vorantrieb.
Eine „überwältigende Strampelhose“ für den kleinen ViccoDie von Bülows lebten hier in einer Dienstwohnung. Hier also (oder im benachbarten Krankenhaus) kam am 12. November 1923 um 21.50 Uhr der kleine Vicco von Bülow zur Welt, hineingeboren in eine fragile Weimarer Republik in der Hyperinflation. „Ich wog 6 3⁄4 Pfund und war 50 Zentimeter lang“, schrieb er später. Für seine Strampelhose hätten seine Eltern „480 Milliarden Mark in bar auf den Tisch“ gelegt. „Das muss schon eine überwältigende Strampelhose gewesen sein.“ Eine Woche später kam die Rentenmark, und Strumpfhosen kosteten wieder 3,50 Mark.
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Riemchenschuhe auf dem Pflaster: Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow mit etwa drei Jahren an der Wand der Kaserne in Brandenburg an der Havel, in der der spätere Ehrenbürger ab 1923 aufwuchs.
© Quelle: picture alliance / Eventpress Herrmann
Ein Foto zeigt Vicco und seinen ein Jahr jüngeren Bruder Johann-Albrecht an den Eisengittern der Kasernenfenster stehend, in kurzer Hose mit Riemchenschuhen, vielleicht zwei und drei Jahre alt. Es ist ein seltsamer Ort. Aufwachsen in einer Kaserne. Stiefel auf dem Pflaster, soldatisches Gebell, donnernde Marschmusik. Das war der Soundtrack seiner Kindheit. „Garantiert haben sie hier auch den Helenenmarsch gespielt“, sagt Heise. Es ist jenes zackige Militärstück von 1857, zu dem Loriot alias Opa Hoppenstedt im Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ 55 Jahre später seinen unsichtbaren Tambourstab schmissig in die Höhe schleudern wird.
Loriot selbst schrieb: „In meiner Erinnerung verschwimmen altväterliche Kasernenbauten und die mütterliche Brust zu einem harmonischen Ganzen.“ Im Kinderwagen in Hörweite zum Kasernenhof habe er erlebt, wie „die magische Verbindung von Stimme und Sprache 50 Männer ihres freien Willens beraubte, um sie in gleichförmige rhythmische Bewegung zu versetzen“ – ein „Beweis für die Macht des Wortes“, aber auch „ein Rückfall in die Blökphase des Homo erectus“.
Aufwachsen in Rufweite des KasernenhofsWo genau die Wohnung im Gebäude lag, ist unklar. Ein Loriot-Museum, eine „Geburtswohnung“ gar, für Touristinnen und Touristen eingerichtet im Stil der Zeit, gibt es nicht. Loriots Tochter Susanne von Bülow sei da „ein bisschen eigen“, sagt Heise. „Sie möchte keinen Kommerz. Es gibt zum Beispiel keine Minimöpse zu kaufen. Nur ein Stullenbrett und einen Kühlschrankmagneten.“ Mehr ist nicht drin. Auch Mops-Stifter bekommen keine Dankesplakette. Brandenburg soll nicht zum Weimar des deutschen Humors werden. Zur Loriot-Stadt also mit Themenhotels und Souvenirshops voller Knollennasenmännchen. „Melusinen“ für Millionen? Bloß nicht.
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Es ist eine Gratwanderung. Eine Vicco-von-Bülow-Straße oder einen Loriot-Platz gibt es nicht in Brandenburg. Aber natürlich gehört Loriot zum kulturellen Erbe der Nation. Sein Humor ist nationales Kulturgut. Doch die Familie habe nach seinem Tod nicht einmal eine Büste erlaubt, sagt Heise, geschweige denn eine ganze Statue. Bloß kein großes Krawehl.
Der Kompromiss ist nun ein sachlicher Gedenksockel neben der Johanniskirche. Es ist eine schöne, kleine Oase. Auf der oberen Fläche der Stele: die Schuhabdrücke des Meisters. Bettina von Bülow, die zweite Tochter, spendierte die Schuhe für den Abdruck. Loriot trug Lloyd.
Keine Statue – nur zwei Schuhabdrücke: Christian Heise, studierter Chemiker, heute Stadtführer und passionierter Spezialist für Loriot-Fragen, am schlichten Denkmal für Vicco von Bülow neben der Johanniskirche in Brandenburg an der Havel.
© Quelle: Imre Grimm
Entworfen hat die Stele der Berliner Bildhauer Raphael Danke. Er hat dann – so klein ist die Welt – die Waldmopsschöpferin Clara Walter geheiratet. Beide leben heute in Brandenburg. Loriot hat also posthum eine Liebe gestiftet. (Die zulässige Reaktion darauf ist natürlich ein trockenes „Ach was?“.)
Ein sportlicher, agiler junger Kerl soll er gewesen sein, pumperlgesund und mit stabilem Humor. Dem späteren Feingeist müssen als Kleinkind die Ohren gedröhnt haben. „Brandenburg war eine Schwerindustriestadt, als er hier lebte“, erzählt Heise. Die Brennerbor-Werke, damals eine der größten Autofabriken Deutschlands, brummten, in der DDR war die Stadt der größte Stahlproduzent. „Brandenburg hatte immer den Ruf einer verschlafenen, hässlichen Industriestadt“, sagt er. Jetzt aber entdeckten die Berliner die „Perle an der Havel“. Heises Loriot-Führungen: bestens besucht.
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Christian Heise,
Stadtführer und Loriot-Experte in Brandenburg an der Havel
Wir laufen zur evangelischen Kirche St. Gotthard. Hier wurde Vicco am „saukalten“ 30. Dezember 1923 getauft. Es ist ein idyllisch gelegenes (und von einem weiteren Waldmops aufmerksam beäugtes) Gotteshaus. Sein Taufkleid sei damals „selbstverständlich bei Flakowski erstanden worden“, berichtete Loriot später, dem größten Kaufhaus der Stadt. Dessen Besitzer war so vernarrt in den kleinen Vicco, dass er ihm einen enormen weißen Steiff-Teddybären schenkte. Als jüdischer Unternehmer wurde Alfred Flakowski im Dritten Reich enteignet – und nach dem Krieg durch die DDR gleich noch einmal. Heute befinden sich eine Woolworth-Filiale und eine Targobank in dem Gebäude an der Hauptstraße.
Mit seiner „ersten Liebe“ im KinderwagenMit Vicco am gleichen Tag getauft wurde Luise Dietz, Tochter eines Fotografen von nebenan. „Kirchlicherseits war man auf diesen Andrang offensichtlich weder räumlich noch moralisch vorbereitet“, schrieb Loriot. Man musste warten. Familie Dietz hatte einen Brennabor-Kinderwagen mit wärmender Decke dabei. Die von Bülows fragten vorsichtig, ob sie den jungen Täufling zu Luise in den Wagen legen dürften. Kein Problem. So wärmten sich die Babys aneinander. Nach der Wende forschte er nach der Identität seiner „ersten Liebe“, auch im Taufregister. Luise Dietz jedoch war schon 1977 verstorben.
28 Möpse und ein Plan: Ein Stadtplan zeigt auf, in welchen Revieren Waldmops-Skulpturen in Loriots Geburtsstadt Brandenburg an der Havel „ausgewildert“ wurden.
© Quelle: Monika Wendel/dpa
Knapp vier Jahre verbrachte Vicco an der Havel, bis sich die Eltern trennten und die Brüder für sieben Jahre bei Großmutter und Urgroßmutter in Berlin untergebracht wurden. Die lebten als Wilmersdorfer Witwen-WG in der Pariser Straße 55. Schräg gegenüber wohnte Familie von Weizsäcker inklusive Richard („sie sind uns seinerzeit nicht aufgefallen, wohl weil der Bundespräsident damals erst etwa zehn Jahre alt war“). Die plüschige, pseudoprotzige Einrichtung der älteren Damen wird zur Blaupause für das möblierte Neobiedermeier von Loriots Filmen. Die Mutter Charlotte Mathilde Luise von Bülow, die an einer bis heute mysteriösen Krankheit litt, starb schon 1929. Vicco war fünf. In „Ödipussi“ wird er Jahrzehnte später präzise und hochkomisch sezieren, was er selbst nie erlebte: die komplexe Beziehung eines erwachsenen Sohnes zu seiner Mutter.
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Mit dem Vater und dessen neuer Frau zieht er nach Süddeutschland. Volksschule, Notabitur, als Oberleutnant an der Ostfront. Auf die Frage, ob er ein guter Soldat gewesen sei, antwortete er in seinem letzten Interview 2011: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.“
Gut 60 Jahre blieb er seiner Geburtsstadt fernDer Bruder fällt am 21. März 1945 im Oderbruch. Kapitulation. „Aber Vicco kehrt nicht nach Brandenburg zurück“, erzählt Heise. Er arbeitet als Holzfäller im Solling, holt das Abitur nach, studiert Malerei und Grafik in Hamburg. Der Schalk hat die Familie nicht verlassen: Vom ersten D‑Mark-Gehalt kauft sich der Vater einen Zauberkasten. In der Premiere geht alles schief. Der Sohn lacht sich kaputt. Er arbeitet als Werbegrafiker, nennt sich jetzt Loriot, nach dem Pirol, dem Wappenvogel seiner Familie. Und wird erst bekannt, dann berühmt.
1963 zieht er nach Ammerland am Starnberger See. Er erfindet „Wum und Wendelin“, wird Fernsehstar bei Radio Bremen, gefeierter Buchautor. Die Heimatstadt hinter dem Eisernen Vorhang verblasst in seiner Erinnerung. „Es verstrichen Jahre fern von Brandenburg und Teddybär“, resümierte er selbst. Doch dann, nach gut 60 Jahren, „eröffnete sich ein neuer Weg“.
„Die Leute standen an manchen Tagen bis zum Ausgang des Doms“: Im Brandenburger Dom fand 1985 die erste Ausstellung von Loriot in der DDR statt – ein hochemotionales Ereignis für Loriot wie für die Bürger.
© Quelle: Imre Grimm
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Die Sonne wirft späte Abendstrahlen auf die ziegelrote Fassade des Brandenburger Doms. Wasser murmelt. Wir nähern uns dem Ort, an dem sich Brandenburg und Loriot 1985 wechselseitig wieder ins Herz schlossen. „Die Brandenburger lieben Loriot“, sagt Heise. „Sie mussten ihn aber erst wiederentdecken.“
Auftritt Gerda Arndt. Die heute 81-Jährige leitete bis 2005 das Dommuseum. Sie war maßgeblich daran beteiligt, den verlorenen Sohn zurückzuholen. „Es gab im Westfernsehen die Sendung ‚Cartoon‘ mit Loriot“, erzählt die freundliche ältere Dame am Telefon. „Die haben wir immer gesehen. Und wir wussten, dass er hier in Brandenburg geboren ist. Also haben wir ihn 1982 angeschrieben, und er hat auch sehr nett geantwortet.“
Brandenburg entdeckt Loriot wiederArndts Idee: eine Loriot-Ausstellung im Dommuseum. Die erste in der DDR. Unter dem Radar des Staates. Wie aber sollten die Zeichnungen vom Starnberger See nach Brandenburg kommen? Es folgt eine kunsthistorische Räuberpistole: Der Brandenburger Altbischof Albrecht Schönherr reist nach Süddeutschland, sucht mit Loriot rund 60 Exponate aus und schmuggelt sie, in handliche Taschen verpackt, in die DDR, denn Bischöfe wurden an der Grenze nicht gefilzt.
„Es war fantastisch“: Gerda Arndt, Leiterin des Brandenburger Dommuseums und Mitinitiatorin der ersten Loriot-Ausstellung in der DDR, mit Vicco von Bülow 1985 in Brandenburg an der Havel.
© Quelle: privat
Loriots Rückkehr in seine Heimat ist also ein fröhlicher Akt der Subversion. „Wir haben die Bilder rahmen lassen und ausgestellt“, erzählt Arndt. „Der Stasi haben wir erzählt, es sei eine innerkirchliche Veranstaltung.“ Werbung ist nicht erlaubt, nur fünf handgemalte Plakate. Auch soll sich der Meister in seiner Rede bitte schön kurz halten: Die SED-Bürgermeisterin gestattet maximal fünf Minuten. Doch die Mundpropaganda siegt über die politische. 1500 Menschen kommen zur Eröffnung am 18. Mai 1985. Eine Sternstunde der Stadtgeschichte. Loriot bleibt fünf Tage und ist tief gerührt: „Das steckt tief hier, im Herzen, drin.“
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„Es war fantastisch“, erinnert sich Arndt. „Die Leute standen an manchen Tagen bis zum Ausgang des Doms. Es war wirklich ein Renner.“ Die Brandenburger hätten ihn alle gekannt, „denn sie guckten ja fast alle Westfernsehen. Nur die Bürgermeisterin und die staatlichen Dienststellen wussten nicht, wer Loriot ist.“ Angeblich, natürlich.
„Der Dom war krachend voll, die Stasi war total überfordert“, erinnert sich Heise. Auch er war dabei. „Mich hat das alles sehr berührt nach dem ganzen Stasi-Mist.“ Der Staat ahnt, dass die Ausstellung kirchennahe Widerständlerinnen und Widerständler ermutigen könnte. In internen Stasi-Vermerken heißt es warnend: „Aus bezirklicher Sicht wird es künftig schwer sein, destruktive Vertreter der Kirche zu veranlassen, auf nicht religiöse Veranstaltungen mit politisch abträglichem Charakter zu verzichten.“ Loriot dagegen spricht später vom „Zauber überraschender Verständigung“. Auf den Fluren des Stadthauses aber, sagt er, habe es „gerochen wie damals bei der Wehrmacht“.
60 Zeichnungen heimlich über die Grenze geschmuggelt: Vicco von Bülow (links) und Altbischof Albrecht Schönherr am 18. Mai 1985 im Brandenburger Dom auf dem Weg ins Dommuseum zur Eröffnung der Loriot-Ausstellung.
© Quelle: Johannes Schönherr
Seine Geburtsstadt lässt ihn bis zu seinem Tod nicht mehr los. 1991 tritt er im Brandenburger Theater in der Grabenstraße bei einer Benefizveranstaltung mit „Peter und der Wolf“ und „Karneval der Tiere“ auf, es ist die Stunde null seiner Vicco-von-Bülow-Stiftung, die bis heute (unter anderem) Brandenburger Kindern Starthilfe ins Leben gibt. „Ich bin hier in Brandenburg geboren“, sagte er bewegt. „Ich gehöre hierher.“
Für die Show wird eigens ein rotes Sofa aus dem Domfundus beschafft und – weil Loriot darin zu versinken drohte – neu bezogen. Hat er das alte Domherrensofa schon als Kind gekannt? War es gar der Urvater des berühmten Sofas von Radio Bremen, auf dem er, sich stets gerade haltend wie die Ohren einer Bulldogge, seine Sendung moderierte? Unwahrscheinlich, aber nicht undenkbar.
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Loriot wird zum stillen Wohltäter seiner Stadt. Wir gehen weiter. „Hier ist das Rathaus“, sagt Heise. Schon acht Jahre nach der Rückkehr, 1993, wird Loriot hier zum Ehrenbürger ernannt.
Vor dem Rathaus sitzt ein Knollennasenmännchen aus Holz. Es blickt auf den ehrwürdigen, knapp 600 Jahre alten Ritter Roland. Zwei Welten begegnen sich. 2005 wurde die Figur von Jugendlichen geschnitzt. Aber „Herr Müller-Lüdenscheid“ darf sie nicht heißen, und Loriot wäre wohl doch gern vorher gefragt worden. Das Urheberrecht. Doch er lässt Gnade vor Recht ergehen, setzt sich daneben und sagt: „Jetzt bin ich auch noch Bankdirektor.“
Ob Sie es glauben oder nicht, dies ist ein Höhepunkt in meinem Leben.Vicco von Bülow
bei der Übergabe der renovierten Taufkirche durch die Brandenburger Bürger zu seinem 85. Geburtstag im Jahr 2009
Die Annäherung nach sechs Jahrzehnten ist auch eine Ost-West-Begegnung. „Wir sollten die Gelegenheit wahrnehmen“, sagt er 1993, „uns daran zu erinnern, dass es im Zusammenleben der Menschen außer den gängigen Forderungen nach Nützlichkeit, Gewinn, Erfolg und Vorteil auch noch den altmodischen Begriff der Liebe gibt. Vielleicht fällt es dann leichter zu begreifen, wie eng wir aus Ost und West zusammengehören.“ Im Übrigen dürfe er nun als Ehrenbürger, scherzt er, „endlich bei Rot über die Kreuzung fahren und ganztägig im Halteverbot parken“. Nach seinem Tod versicherte Bürgermeisterin Dietlind Tiemann, dass diesen Worten keine Taten gefolgt seien.
Eine letzte Rede in der renovierten TaufkircheWir spazieren zurück zur St.-Gotthardt-Kirche. Deren Nordkapelle ist das emotionale Zentrum der Liebesbeziehung zwischen Stadt und Mann. Denn zu seinem 85. Geburtstag 2009 lässt die Stadt seine Taufkapelle sanieren – und die Bürgerinnen und Bürger schenken sie Loriot symbolisch. Die Übergabe des aufgefrischten „himmlischen Kabinetts“ sei „ein Augenblick, für den mir Worte fehlen“, sagt er damals mit hoher Stimme. Es ist seine letzte öffentliche Rede. „Ob Sie es glauben oder nicht, dies ist ein Höhepunkt in meinem Leben.“ Von seinen acht Taufpaten aber, scherzt er bedauernd, sei „heute leider keiner erschienen“.
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„Es dankt der Täufling von St. Gotthardt“: Loriots Witwe Rose-Marie von Bülow mit Tochter Susanne bei der Gedenkfeier zu Ehren von Vicco von Bülow 2011 in seiner Taufkirche St. Gotthardt in der Stadt Brandenburg an der Havel.
© Quelle: picture alliance / Eventpress Herrmann
Auch habe damals im Taufbecken, behauptet er keck, auch eine kleine Plastikente geschwommen, die es „erst 60 Jahre später zu einer gewissen Bedeutung brachte“. Ein Witz, natürlich. „Hier sind wir nun“, sagt er leise. „Lasst uns zusammenbleiben. Es dankt der Täufling von St. Gotthardt.“
Als er zwei Jahre später stirbt, gedenken mehr als eintausend Brandenburger seiner genau an diesem Ort. Die 15-jährige Gymnasiastin Denise Seidel, Stipendiatin seiner Stiftung, trägt ein Gedicht aus eigener Feder vor: „Die große Welt denkt auch an dich / Ich weine nicht, es weint der Himmel / Mit Regentropfen ins Gesicht / Du bleibst in unseren Herzen immer.“
Der Mann, der die Möpse liebte: Waldmops als Denkmal für Loriot im Zentrum von Brandenburg an der Havel.
© Quelle: Imre Grimm
„Er war einer von uns, stolz, ein Brandenburger zu sein, der seine Wurzeln nie vergessen hat“, schrieb die Stadt zu seinem 100. Geburtstag. „So jemanden wie Loriot gibt es ja nicht mehr“, sagt Heise. Wir stehen am Neustädtischen Markt, der letzte Mops liegt hinter uns. „Er war nie beleidigend. Immer freundlich. Und zeitlos.“
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Der Mann, der die Möpse liebte, war zweifellos ein Brandenburger. Jetzt einen kleinen Bronzemops erwerben zu dürfen wäre schon schön. Entweder mit Geweih. Oder mit Ohren. Anliegenden natürlich, sonst wär’s ja kein Mops.
Loriots 100. Geburtstag: Führungen, Ausstellungen und Filme
Die Stadt Brandenburg an der Havel ehrt Vicco von Bülow zum 100. Geburtstag mit der Ausstellung „Heile Welt“ (ab 12. November bis Ende Mai 2024). Loriot-Themenführungen organisiert die Touristinformation Brandenburg an der Havel (Infos, Preise und Zeiten unter erlebnis-brandenburg.de). Eine weitere Loriot-Ausstellung namens „Ach was – Loriot zum Hundertsten“ ist bis Ende Februar 2024 im Caricatura-Museum Frankfurt zu sehen. Zu Loriots Ehren hat das Bundesfinanzministerium zwei Sonderbriefmarken (Nennwert: 85 Cent) veröffentlicht. Der in diesem Jahr erschienene Kinofilm „Loriots große Trickfilmrevue“, präsentiert von seinen Töchtern, ist auf DVD und Blu-Ray erschienen und bei Prime Video und Apple TV abrufbar. Für den Film von Peter Geyer wurden 31 Cartoonklassiker behutsam in „neuer Brillanz“ renoviert. Bei Loriots langjährigem Hausverlag Diogenes ist zu seinem 100. Geburtstag der Cartoon-Sammelband „Seid friedlich mit Loriot“ erschienen (128 Seiten, 14 Euro).