"From Zero" von Linkin Park: Alle mal die Schnauze halten

17 Stunden vor

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Linkin Park - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

Mit neuer Sängerin und alten Themen sanieren Linkin Park einen eigentlich abrissbedürftigen Sound. Nu Metal ist zurück und klingt auf "From Zero" gar nicht so schlecht.

15. November 2024, 14:56 Uhr

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Aus der Zeit gefallen. Und offenbar auch aus dem Frontline-Katalog: Linkin Park mit ihrer neuen Sängerin Emily Armstrong © James Minchin

Jetzt mal Ruhe im Karton: Emily Armstrong muss nachdenken. Und wer könnte es ihr verübeln? Erst im September wurde verkündet, dass sie als neue Sängerin bei Linkin Park einsteigen wird. Nun steht Armstrong, zuvor Gründerin der mäßig bekannten Band Dead Sarah, im Video zur Linkin-Park-Single Two Faced parat und erbittet sich von der skeptischen Welt ein bisschen Ruhe vor dem Karrieresturm.

"Stop yelling at me, I can't hear myself think", flüstert sie erst, steigert sich dann hinein in großes Gebrüll. Neben ihr verrichtet der DJ Joe Hahn Dinge, die man früher wohl mit "rockt an den Turntables" beschrieben hätte. Man sieht die Band aus einem unmöglichen Winkel in die Kamera wüten, als filme ein staunendes Kleinkind die Szenerie, alle tragen Anzug und Krawatte, es wird gar allen Ernstes mit den Händen gefuchtelt (Yo, yo, yo!). So, liebe Vertreter der Generation Z, die ihr die Moden der Nullerjahre so begeistert nachkauft, sahen die Nullerjahre übrigens wirklich aus.

Alle möglichen Trends aus diesem Jahrzehnt haben uns in der jüngeren Vergangenheit wieder heimgesucht: Hüftjeans, Size Zero und, bei Musikern wie Machine Gun Kelly, sogar Emorock. Dem sogenannten Nu Metal allerdings, diesem Genre, das auf dem neuen Album von Linkin Park so mustergültig aus dem Totenreich zurückdefibrilliert wird, wollte bisher niemand ein Comeback im großen Stil bescheren. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn wenige Stile sind so schlecht gealtert wie diese Musik der rockenden Turntables und harten, tiefhängenden Gitarren.   

Nichts an der Musik von heute völlig zu Recht despektierlich behandelten Bands wie Limp Bizkit oder Korn klingt zeitlos, weil sie ihrer Zeit gnadenlos verhaftet war. Die Gruppen griffen auf keine Rocktradition zurück, außer auf die seit den frühen Neunzigerjahren virulente Idee, zu harter Gitarrenmusik zu rappen, und spritzten dazu den wichtigtuerischen Maschinensound von Bands wie Tool fit für die Heavy Rotation im damals noch sehr lebendigen Musikfernsehen. 

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Womit man bei Linkin Park wäre, dieser einst wohl größten Rockband der Welt, die kaum ein Millennial erwähnen kann, ohne im nächsten Atemzug über Weltschmerz im Schulbus zu erzählen, und der nach dem Suizid ihres Sängers Chester Bennington im Jahr 2017 etwas Tragisches, Gravitätisches anhaftete. 

Immer klang diese Band überwältigender als ihre Genrekonkurrenten, undoofer auch, und das, obwohl sich ihre berühmtesten Songs fast ausschließlich auf eine schlichte Formel bringen lassen: Ein Synthesizer spielt jene Art Melodie, zu der Helden in Endzeitfilmen fassungslos über die verwaiste Welt gucken. Ein aufgepeitschter Rapper rappt, ein melancholischer Sänger singt, und dann plötzlich knallt ein Refrain tonnenschwer in die Apokalypsenlandschaft. Heiliger Ernst, große Materialschlacht. Für viele Menschen war dies der perfekte Sound, um sich zugleich klein und riesengroß zu fühlen in diesem 21. Jahrhundert, das sich gerade vor den Augen aller formierte.

Kurze Werbeunterbrechung für die neue Kampagne von Zara. Kleiner Scherz, sind doch Mike Shinoda und Emily Armstrong! © James Minchin

An die Sehnsucht nach vermeintlich leichteren Zeiten, die sich aus dem Jugendzimmer natürlich maximal schwer anfühlten, knüpfen die Schmerzens- und Geschäftsmänner von Linkin Park mit ihrer neuen Sängerin knallhart an, wenn sie ihr neues Album From Zero nennen. Fans wissen, dass die Band vor ihren großen Erfolgen unter dem Namen Xero unterwegs war. 

Überhaupt ist From Zero eine Platte der Selbstzitate: Da sind Songs wie die Singles The Emptiness Machine oder eben Two Faced, die so – bemühen wir doch mal das blöde Wort – authentisch nach den frühen Erfolgsalben von Linkin Park klingen, als habe sich die Welt nicht weitergedreht. Da sind Popversionen des markanten Sounds der Band, an die man sich schon auf den letzten Alben mit Chester Bennington gewöhnen konnte. Da sind gut gekeifte Refrains, die sich anhören, als seien sie geschrieben worden, um auf der kommenden Riesentournee der Band von den Massen mitgesungen zu werden.

Klugerweise versucht Emily Armstrong bei alledem gar nicht erst, Chester Bennington zu imitieren. Während der sich an den Schreiparts seiner Songs abzumühen schien wie eine Raupe, die über scharfkantigen Grund kriecht, klingt Armstrongs Grollen ganz anders, fies und nach Grab. Sie grollt sich ein paar unterhaltsame Hardcoresongs aus dem Leib, wie man sie so von der Band tatsächlich noch nicht gehört hat (von anderen Bands allerdings schon). Der ewige Mike Shinoda rappt dazu wie immer, er singt und schreit auch ein bisschen. Rob Bourdon, der frühere Schlagzeuger, wurde ersetzt durch den Musiker und Produzenten Colin Brittain, der zu Linkin Parks frühen Hochzeiten selbst noch Teenager war. 

Erst mal ein kleines PR-Desaster

Wie die Argonauten, die laut der Sage ihr Schiff auf ihrer Reise beständig Teil um Teil erneuerten, haben sich Linkin Park durchrenoviert, um ihren eigenen Mythos noch einmal aufzuführen. Bemerkenswert ist das alles zum einen, weil der Hightech-Dampfer Linkin Park im Grunde unrenovierbar ist, unrettbar abgestellt in irgendeiner Nullerjahre-Werft. Und zum anderen, weil das Ganze längst nicht so grottenschlecht ist, wie manche Kollegen aus dem Feuilleton schreiben (so gut, wie Teile der klassischen Rockpresse finden, ist es allerdings auch nicht). Vielmehr ist From Zero auf eine Art rührend, die einen nicht zu Herablassung veranlassen muss, dabei selbstbewusst reaktionär. In der Welt des Musikjournalismus nennt man so eine aufmerksam kuratierte halbe Stunde: Fan-Service.

Das klingt billiger, als es ist, wenn das Bandmitglied mit den wahrscheinlich meisten Fans nicht mehr am Leben ist und ersetzt wurde von einer Künstlerin, die noch vor Veröffentlichung des Albums ein kleines PR-Desaster verursacht hat: Armstrong setzte sich für den Schauspieler und Scientologen Danny Masterson ein, als dieser sich wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung vor Gericht verantworten musste. (Masterson wurde inzwischen verurteilt und sitzt im Gefängnis, Armstrong hat sich von ihm distanziert.) Zudem wird der Musikerin vorgeworfen, der Sekte selbst mindestens nahezustehen.

Auf die Angst vor der ungewissen Zukunft hat die Sängerin also womöglich ganz eigene Antworten. Ihre neue Band macht derweil einen guten Job, indem sie ihre alten Fragen einfach noch mal stellt.

"From Zero" von Linkin Park ist bei Machine Shop/Warner erschienen.

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