Regierungskrise: Scholz feuert Lindner - Lob von Weil und Schwesig
Stand: 07.11.2024 06:13 Uhr
Nach dem Bruch der Ampelkoalition hat Kanzler Scholz am Mittwochabend angekündigt, im Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um Neuwahlen zu ermöglichen. Scholz bat den Bundespräsidenten, Finanzminister Lindner zu entlassen. Aus Norddeutschland kommen unterschiedliche Reaktionen.
Zur Begründung seines Vorgehens sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), das Vertrauensverhältnis zu FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sei zerrüttet. Ernsthafte Regierungsarbeit sei so nicht möglich. Lindner gehe es um die eigene Klientel und um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Die Unternehmen im Land bräuchten Unterstützung, sagte Scholz mit Blick auf die schwache Konjunktur und hohe Energiepreise. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine. Scholz wollte mit Blick auch auf die Folgen des Ukraine-Kriegs ein Aussetzen der Schuldenbremse. Das lehnte die FDP ab. "Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden."
Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. Ein solches Verhalten wolle er dem Land nicht weiter zumuten.
Lindner gibt Kanzler die Schuld am Ampel-AusFinanzminister Lindner wiederum gab dem Kanzler die Schuld. Dieser habe einen kalkulierten Bruch der Koalition herbeigeführt. Scholz habe von ihm ultimativ verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen - damit aber hätte er seinen Amtseid als Finanzminister verletzt. "Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt. Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost", sagte Lindner. Scholz habe nicht die Kraft, Deutschland einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.
AUDIO: Lindner: "Scholz ging es um kalkulierten Bruch der Koalition" (4 Min)
Die FDP kündigte an, auch ihre anderen Ministerinnen und Minister aus der Bundesregierung abzuziehen. SPD und Grüne hingegen bleiben nach eigenem Bekunden Koalitionspartner - sie wollen bis Weihnachten noch mehrere Gesetze im Bundestag zur Abstimmung stellen. Scholz sagte, er wolle darüber mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprechen. Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bedauerte den Bruch der Ampelkoalition.
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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) äußerte sich in einer schriftlichen Mitteilung am späten Mittwochabend. "Das ist mit Sicherheit eine äußerst schwierige, aber am Ende richtige Entscheidung. Es gehört zur Verantwortung eines Bundeskanzlers nüchtern festzustellen, ob eine Koalition dem Land hilft oder nicht. In diesen Zeiten ist eine Koalition, die sich nur streitet, eher eine Belastung als eine Unterstützung." Weiter schreibt Weil, eigentlich benötige man gerade überhaupt keinen Wahlkampf, aber: "Regierungen sind kein Selbstzweck, sie müssen dem Land und den Menschen helfen." Scholz' Entscheidung sei für ihn konsequent und er habe größten Respekt und größte Hochachtung vor einem Bundeskanzler, der in dieser Weise zu seiner Verantwortung stehe, so Niedersachsens Regierungschef.
Schwesig: Entscheidung des Bundeskanzlers ist richtigMecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Manuela Schwesig hält den Bruch der Ampel-Koalition im Bund für richtig. "Die Entscheidung des Bundeskanzlers ist richtig. Er hat für Klarheit gesorgt und Klartext gesprochen. Der Dauerstreit musste ein Ende haben", sagte die SPD-Politikerin in einer Mitteilung am Abend. "Wir müssen über Strompreissenkungen und Investitionen die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze sichern. Der soziale Zusammenhalt darf nicht verloren gehen. Steuersenkungen für Reiche und Rentenkürzungen sind der falsche Weg. Wir brauchen stabile Renten", so Schwesig weiter.
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Der CDU-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Daniel Peters, sagte, das Ampel-Aus dürfe die Krise in Deutschland nicht verschärfen, auch deshalb müsse es schnell Neuwahlen geben. Allerdings, so Peters, werde sich die Union bis dahin einzelne, schon geplante Vorhaben "sicher genau anschauen".
FDP in MV verteidigt Lindners VorgehenRené Domke, FDP-Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern, verteidigte das Vorgehen seiner Parteifreunde in Berlin. Eine Koalition, in der Finanzminister Lindner vom SPD-Kanzler aufgefordert worden sei, "verfassungswidrig gegen die Schuldenbremse zu verstoßen, kann keinen Bestand haben". Domke hatte bereits vor Wochen ein Ende Ampel prognostiziert. Der Weg für Neuwahlen sei jetzt nur konsequent, da die Koalition wichtige Fragen einer Wiederbelebung der Wirtschaft, der Ordnung der Migration oder der Verteidigungsbereitschaft nicht gelöst habe. Die FDP, so Domke, sei in all diesen Fragen bis an die Grenze des Zumutbaren gegangen.
Streit um Haushaltspolitik führt zu Koalitions-AusIn dem Richtungsstreit in der rot-grün-gelben Bundesregierung ging es zuletzt vor allem um den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Konkreter Auslöser für das Aus in dieser Woche ist das jüngste Wirtschaftspapier von FDP-Chef Lindner, in dem dieser Forderungen aufgestellt hatte, die bei SPD und Grünen als Kampfansage aufgefasst wurden. Ein Verschieben der Klimaziele, Einschränkungen bei Sozialausgaben - "das musste man als Provokation sehen", sagt dazu am Abend Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Das Ampel-Aus halte er dennoch für falsch: Es sei tragisch, zumal an einem Tag, an dem Deutschland angesichts der Wahl Donald Trumps in den USA eigentlich Handlungsstärke beweisen müsste.
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NDR Info | Aktuell | 07.11.2024 | 06:00 UhrSchlagwörter zu diesem Artikel SPDBundestagswahlCDUFDPGrüneHaushaltspolitik
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