FDP: Christian Lindner will jetzt Mut beweisen – aber wie?

4 Tage vor
Lindner
Zukunft der Ampel Christian Lindner will jetzt Mut beweisen – aber wie?

Der Herbst bringt Entscheidungen. Das hat FDP-Chef Christian Lindner versprochen. Nur welche? Was die Liberalen in der Ampel hält – und was nicht.

Es ist fast ein Jahrzehnt her, die FDP war nicht einmal im Bundestag vertreten, da wurde Christian Lindner gefragt, was eigentlich das Mutigste sei, das er jemals getan habe. Lindners Antwort: „Mit 18 Jahren auszuziehen und noch nicht einmal zu wissen, wovon ich die Tankfüllung fürs Auto zahlen soll.“

Ausziehen und nicht wissen, wie es weitergeht? Es könnte gut sein, dass Lindner, inzwischen 45 Jahre alt, als FDP-Chef in den kommenden Wochen vor einer ähnlichen Mutprobe steht.

Am Sonntag verpassten die Liberalen erneut den Einzug in den Brandenburger Landtag. Klar, sie hatten mit wenig gerechnet. Aber 0,8 Prozent? Das ist weniger als wenig. In Sachsen reichte es kürzlich für 0,9 Prozent, in Thüringen für 1,1 Prozent. Und in einer aktuellen Allensbach-Umfrage liegt die Partei bundesweit nur noch bei 4 Prozent. Das ist die Todeszone. Kein Wunder also, dass die üblichen liberalen Verdächtigen sich nicht lange bitten ließen, mal wieder mit dem Austritt der FDP aus der Ampel zu kokettieren.

Er glaube nicht, sagte Parteivize Wolfgang Kubicki, „dass die Ampel-Koalition Weihnachten noch erreicht.“

Die Ampel-Koalition habe „nur noch ein kurzes Zeitfenster, um voranzukommen“, sagte Ex-Euro-Rebell Frank Schäffler bei „Welt TV“: „Wenn nicht, scheuen wir auch keine Neuwahlen.“

Und Lindner? Will mutig sein. So oder so. Er hat einen „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen.

Entweder, Option eins, bedeute Mut jetzt, in „einer kontroversen Koalition Arbeit zu leisten, wenn Gutes fürs Land bewegt werden kann“. Oder aber, Option zwei, wenn man den Erwartungen des Landes nicht mehr gerecht werde: „Dann ist Mut, eine neue Dynamik zu entfachen.“

Das soll dann wohl heißen: Raus aus dieser Koalition.

Auf welche Variante von Mut es hinausläuft, entscheidet sich laut Lindner bei drei Themen: Migration, Wirtschaftswende, Haushalt. Er sei engagiert und wolle „gute Ergebnisse erzielen“, sagte der Finanzminister. Aber was heißt das bei diesen drei Themen konkret: Was sind gute Ergebnisse? Und wann wäre aus Sicht der FDP der Punkt erreicht, an dem es besser ist, zu gehen statt zu bleiben?

Echte schwarz-gelbe Liebe?

An der Migrationspolitik allein wird Lindner die Ampel nicht scheitern lassen. Davon sind führende FDP-Politiker in Berlin überzeugt. Warum auch? Nicht nur SPD und Grüne wirkten dann vollends wie Getriebene der Union. Auch die FDP liefe Gefahr, in uralte Rollenmuster zu fallen. Als Wirtschaftsanhängsel der CDU wollten sie schließlich nie wieder wahrgenommen werden, erst recht nicht als Kanzlermacher für Friedrich Merz.

Denn genau das wäre es ja: Ein Geschenk für den CDU-Chef. Und obwohl in der FDP-Fraktion die Sehnsucht nach echter schwarz-gelber Liebe wächst, so frisch sollte die Erinnerung an 2013 schon noch sein: Wer auf christliche Nächstenliebe von der Union hofft, dem ist nicht mehr zu helfen.

Lindner pocht auf eine gemeinsame Lösung von Ampel und Union. Er forderte erneut, dass nun der Bundeskanzler und die Parteichefs miteinander sprechen müssten, nicht die Innenpolitiker. Und er betonte, dass sich doch beide Seiten in der Frage von Zurückweisungen an der Grenze bereits aufeinander zu bewegt hätten. Der FDP-Chef erhöht sehr bewusst den Druck bei einem Thema, von dem er weiß, dass die Koalition hier im Zweifel nie an seiner Partei scheitern würde – sondern an den Grünen.

Die Wirtschaftswende hingegen ist Lindners ureigene Baustelle, sein Profilierungsterrain. Im Frühjahr hat er den Begriff in der deutschen Debatte etabliert, ihn wochenlang in jedem Interview untergebracht – und schon damals die Zukunft der Koalition mit ihm verknüpft. Bis zur Sommerpause einigte sich die FDP mit SPD und Grünen auf 49 Maßnahmen für ein Wachstumspaket. Weniger Bürokratie, mehr Pflichten für Bürgergeld-Bezieher, steuer- und abgabenfreie Überstunden – all das muss nun konkretisiert und umgesetzt werden.

Christian Lindner und der neue „Ambitionsgrad“

Sollte der SPD oder den Grünen im parlamentarischen Verfahren nun Zweifel kommen, ob sie wirklich alles mittragen wollen, was der FDP am Herzen liegt, hätte Lindner einen guten Grund, seinen Mut im Ampel-Aus zu beweisen. Und wenn alles so durchläuft?

Der „Ambitionsgrad“ müsse erhöht werden, sagte Lindner am Montag. Das klang doch stark nach: Da muss noch mehr gehen. Man kann sich gut vorstellen, wie er das in den kommenden Wochen begründen wird. Krise bei Volkswagen. Krise bei BMW. Krise bei etlichen Zuliefer-Firmen. Was tun? Klar: Rahmenbedingungen verbessern, Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Und doch kann man sich nur schwer vorstellen, dass jemand politisch gestärkt aus einer Koalition hervorgeht, die er nur deshalb verlässt, weil ihm heute nicht reicht, was vor drei Monaten noch genug war. Das gilt auch für das dritte Thema im „Herbst der Entscheidungen“, für den Haushalt. Schließlich ist der Finanzminister da eigentlich fein raus. Lindner hat den Etat ins Parlament eingebracht, jetzt sind die Haushälter dran, die kleinen Könige des Parlaments.

Ende November soll der Haushalt im Bundestag beschlossen werden. Also Ampel-Aus vor Nikolaus? Muss nicht sein. Diese wichtige Hürde liegt noch mitten im „Herbst der Ereignisse“, dessen Ende Lindner meteorologisch bewandert auf den 21. Dezember festgelegt hat. Die Haushälter könnten also mal wieder in die Verlängerung gehen.

Scheitert die Ampel-Koalition an Peanuts?

Bereits auf dem Weg zur abschließenden Bereinigungssitzung wartet vor allem ein planmäßiger Termin, der neue Dynamik entfachen könnte: die Steuerschätzung. Fällt sie schlechter aus als gedacht, sollte sich dadurch die Zwölf-Milliarden-Lücke im Haushalt noch einmal vergrößern, könnte Lindner auf Nachbesserungen bestehen, die für SPD und Grüne schmerzhaft würden. Schon jetzt streiten Lindner und Vizekanzler Robert Habeck – Ausgang völlig offen. 

Ein Scheitern beim Haushalt bliebe allerdings ein Scheitern wegen einiger Milliarden Euro – bei einem Haushalt von insgesamt knapp 490 Milliarden Euro. Ampel-Aus wegen Peanuts? Eher unwahrscheinlich.

Und so wäre es wohl eher eine Kombination von Kleinigkeiten, die Lindner und die FDP dazu bringen könnte, politischen Mut auf ganz neue Weise zu wagen. Und nicht der große Knall.

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