Kommentar zum Sensationswechsel von Lewis Hamilton zu Ferrari ...
"Jeder ist ein Ferrari-Fan. Selbst wenn sie sagen, dass sie keine Ferrari-Fans sind, sind sie Ferrari-Fans. Selbst wenn du zu den Mercedes-Jungs gehst und die sagen: 'Mercedes ist die beste Marke der Welt.' Auch sie sind Ferrari-Fans." Dieser Satz von Sebastian Vettel nach seinem Wechsel im Jahr 2015 beschreibt den Mythos der Scuderia recht treffend. Egal wie sehr du dich dagegen wehrst, egal wie sehr du es auch nicht möchtest, irgendwann erliegt jeder dem Charme des italienischen Traditionsrennstalls.
Einmal im Leben im Cockpit eines roten Boliden zu sitzen. Das ist für jeden Fahrer in der Formel 1 ein Lebensziel - ganz unabhängig davon, ob die Scuderia an der Spitze um Weltmeistertitel kämpft oder irgendwo im grauen Niemandsland des Mittelfeldes herumdümpelt. In gewisser Weise ist der Mythos Ferrari auch im Zeichen von Rückschlägen, Niederlagen und Blamagen unverwüstlich. Im Vergleich zu Mercedes, McLaren oder auch Red Bull hat er mehr Strahlkraft. Und wem bei den Roten der ganz große Wurf vergönnt ist, wer Poles, Siege oder gar Weltmeistertitel einfährt, der ist noch mehr Legende als anderswo.
Und als hätte es Vettel mit seiner Aussage damals schon gewusst, ist nun also auch Lewis Hamilton diesem Mythos erlegen. Aus dem ewigen Flirt zwischen dem siebenfachen Weltmeister und Ferrari wird zur Überraschung vieler doch noch etwas Festes. Nach der bevorstehenden Saison wird sich der Engländer nach zwölf Jahren bei den Silberpfeilen einer neuen Herausforderung widmen und dann im roten Auto auf Punktejagd gehen. Dem Vernehmen nach unterschreibt er in Maranello einen Vertrag über mehrere Jahre.
Für viele stellt sich bei all dieser F1-Romantik jedoch berechtigterweise die Frage, warum Hamilton sich überhaupt zu diesen Entschluss durchgerungen hat.
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Klar, der Wechsel zur Scuderia ist ohne Zweifel einer der spektakulärsten der gesamten F1-Geschichte - in den letzten 20 Jahren eigentlich nur mit dem Comeback von Michael Schumacher in Jahr 2009 vergleichbar. Doch will man im Spätherbst seiner Karriere tatsächlich das gemachte Nest verlassen und sich die seit Jahren chronisch erfolglose und völlig vom Kurs abgekommene Scuderia antun? Welches Ziel verfolgt Hamilton mit diesem Wechsel?
Zunächst einmal ist davon auszugehen, dass bei der Entscheidung des Briten sportliche Beweggründe zumindest mitentscheidend waren. Es ist kein Geheimnis, dass Hamilton um jeden Preis seinen achten Weltmeistertitel gewinnen möchte, um endgültig als erfolgreichster Fahrer der Königsklasse in die Geschichte einzugehen. Geht man diesen Gedankengang etwas weiter, so ist davon auszugehen, dass sich Hamilton dieses Kunststück im Cockpit eines Silberpfeils zumindest nicht mehr vollumfänglich zugetraut hat. Ob Hamilton diesbezüglich mehr weiß als wir? Ob er die Performance des neuen Mercedes-Boliden schon mit eigenen Augen begutachten konnte und diese ihn wenig zuversichtlich auf die kommenden Jahre gestimmt hat? All das ist Spekulation. Tatsache ist aber, dass es - vor allem in Anbetracht des Zeitpunktes des Wechsels unmittelbar vor einer neuen Saison - nicht unbedingt das beste Licht auf die Silberpfeile wirft.
Gleichzeitig aber dürfte dahinter aber ein gut durchdachter und ausgeklügelter Masterplan stecken. So sehr das auf den ersten Blick vielleicht anders aussehen mag, aber Hamilton hat mit seinem Wechsel zu Ferrari absolut nichts zu verlieren. Im Gegenteil: Sollte seine Strategie aufgehen, so steht seinem Ziel, der unumstrittene GOAT des F1-Sports zu werden, eigentlich nichts mehr im Weg. Als Niki Lauda Hamilton im Jahr 2014 von einem Wechsel von McLaren zu Mercedes überzeugen wollte, soll er dies mit den Worten "Du kannst schaffen, was Schumacher nicht geschafft hat" getan haben. Hamilton wurde im Gegensatz zu Schumacher letztlich Weltmeister im Silberpfeil, um aber eine Stufe über dem Deutschen zu stehen, müsste er es auch im roten Boliden packen.
Und genau da liegt der Reiz des Ferrari-Engagements. Stand heute traut wohl niemand der Scuderia zu, dem übermächtigen Max Verstappen und dem Red-Bull-Kosmos Paroli bieten zu können. Sollte das Hamilton wider Erwarten aber tatsächlich gelingen, wäre die Bedeutung dieser Errungenschaft umso größer. In Schumachers Wohnzimmer Ferrari zurück zu altem Glanz verholfen zu haben - es wäre die ultimative Krönung einer ohnehin schon außergewöhnlichen Karriere.
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Leicht wird es aber natürlich keinesfalls werden. Schon andere große F1-Piloten wie Sebastian Vettel, Fernando Alonso, Alain Prost oder Nigel Mansell setzten sich mit großen Hoffnungen in das rote Cockpit, blieben dann jedoch weit hinter den Erwartungen zurück und suchten am Ende sang und klanglos wieder das Weite. Ohnehin wird Ferrari wohl erst 2026, also im zweiten Vertragsjahr Hamiltons, ernsthafte Ansprüche auf den Weltmeistertitel stellen können, wenn ein neues Motorenreglement an den Start geht und das gesamte Feld wieder durcheinandergewürfelt werden könnte. Bis dahin müssten Hamilton und vor allem Teamchef Frédéric Vasseur das Team nach ihren Vorstellungen umbauen und auf die Erfolgsspur zurückbringen.
Jetzt schon Gewinner sind in jedem Fall aber die Fans. In einer Zeit, in der die Königklasse immer stärker dem Kommerz verfällt, Rennen in Staaten mit fragwürdiger Menschenrechtslage austrägt oder äußerst peinliche Event-ähnliche Veranstaltungen in den USA hochpusht, ist es umso schöner, wieder ein Stück F1-Romantik vorgesetzt zu bekommen. Eine Geschichte, für die man brennt und die nur darauf wartet, zu Ende erzählt zu werden.
Lewis Hamilton: Steckbrief