"Letzte Generation": Lob und Kritik nach bundesweiter Razzia

25 Mai 2023

Stand: 24.05.2023 22:15 Uhr

Beamte von Polizei und Staatsanwaltschaft sind am Morgen gegen Mitglieder der "Letzten Generation" vorgegangen. In sieben Bundesländern durchsuchten sie Räume der Klima-Aktivisten - darunter war jeweils ein Objekt in Hamburg und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Gruppierung bestritt, kriminell zu sein, und rief zu Protesten auf.

Ab etwa 7 Uhr wurden insgesamt bundesweit 15 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft und das Bayerische Landeskriminalamt heute früh mitteilten. In Hamburg trugen Polizisten Kartons aus einem Bürogebäude am Neuen Jungfernstieg, in dem sich mehrere Kanzleien befinden. Hintergrund sind den Behörden zufolge zahlreiche Strafanzeigen gegen die "Letzte Generation" seit Mitte des vergangenen Jahres. Der Tatvorwurf gegen die insgesamt sieben Beschuldigten zwischen 22 und 38 Jahren lautet Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Festnahmen gab es bei der Aktion den Angaben zufolge keine.

1,4 Millionen Euro bei Spendenkampagne eingesammelt?

Zentraler Vorwurf gegen die Beschuldigten ist, dass sie eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die "Letzte Generation" organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Das Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen "überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten" eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, teilte die Polizei nicht mit. Ziel der Durchsuchungen sei auch "das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur" gewesen.

Zwei der Verdächtigen sollen zudem im April 2022 versucht haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

AUDIO: ARD Experte: "Justiz uneinig bei Beurteilung der Letzten Generation" (4 Min)

Scharfe Kritik von Klima-Aktivisten
Aimee van Baalen (rechts), Sprecherin der Letzten Generation, und Marion Fabian, Aktivistin der Letzten Generation, sprechen auf einer Pressekonferenz. © Christoph Soeder/dpa

Die Hausdurchsuchungen hätten die Unterstützer der "Letzten Generation" hart getroffen, sagte Sprecherin Aimée van Baalen auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Klimaschutzaktivisten reagierten mit scharfer Kritik. Die Gruppe "Ende Gelände" kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, "die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind". Die "Letzte Generation" selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und "fossile Gelder der Regierung" beschlagnahmt würden.

Zum Vorwurf der kriminellen Vereinigung sagte "Letzte Generation"-Sprecherin Aimée van Baalen: "Wir bereichern uns nicht." Die gesamten Aktionen, Strukturen, Namen, und Spendeneingänge seien öffentlich. "Wir haben keine Angst vor einem Prozess. Wir glauben an den Rechtsstaat." Kriminell sei die fehlende politische Führung in dieser Krise. Die Gruppe wolle solange weitermachen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Bundesregierung ihre eigenen Klimagesetze brechen würden, so van Baalen.

Proteste gegen die Razzia in Hamburg und Berlin

Auch nach den Durchsuchungen wolle die Gruppe ihre Blockadeaktionen und Protestmärsche fortsetzen. Van Baalen rief alle Unterstützer zu Protestmärschen in den großen deutschen Städten auf. In Hamburg versammelten sich bereits heute mehr als 100 Sympathisantinnen und Sympathisanten der Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten am Jungfernstieg, um gegen die Razzia zu protestieren. "Klimaschutz ist kein Verbrechen" stand auf einem der Transparente. In Berlin protestierten am Nachmittag mehrere Hundert Menschen. Für Donnerstag ist ein großer Protestmarsch in München geplant.

Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten bei einer Demo in der Hamburger Innenstadt. Sie protestieren gegen eine Razzia gegen die "Letzte Generation". © NDR Foto: Ingmar Schmidt

Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten kritisierten bei einer Demo in der Hamburger Innenstadt die bundesweite Razzia.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die bundesweite Razzia gegen die Klimaschutzgruppe: "Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln - so wie es ihre Pflicht ist", sagte Faeser der Funke-Mediengruppe. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. "Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln", sagte Faeser.

Polizeigewerkschaft: "Signal eines wehrhaften Rechtsstaates"

Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte die Durchsuchungen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich ähnlich. Der Rechtsstaat setze ein klares Zeichen gegen diejenigen, die die Demokratie diskreditieren und die Gesellschaft spalten wollten, hieß es in einer Mitteilung. "Aus unserer Sicht erfüllt die 'Letzte Generation' längst die Charakteristika einer kriminellen Vereinigung". Es sei konsequent, genau hinzuschauen, "wo das Geld zur Finanzierung der Straftaten herkommt", schrieb die GdP.

Wer ist die "Letzte Generation"?

Die "Letzte Generation" ist ein Bündnis von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung. Die Gruppe entstand nach einem Klima-Hungerstreik in Berlin im Jahr 2021 und setzt sich vor allem durch Mittel des zivilen Ungehorsams für ein entschiedeneres Vorgehen gegen den Klimawandel ein. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr. Bei ihren Protestaktionen blockieren die Aktivisten Straßen und Autobahnen, besetzen Pipelines oder beeinträchtigen den Betrieb von Museen und Sportveranstaltungen. Der Name der Gruppierung soll verdeutlichen, dass die Aktivisten die letzte Generation sei, die entscheidende Maßnahmen gegen einen drohenden Klimakollaps vornehmen könnte. Der Gruppe wird von Kritikern vorgeworfen, mit ihren Protestformen ihrem Anliegen zu schaden und teilweise auch Menschenleben zu gefährden.

170 Beamte durchsuchen insgesamt 15 Objekte
Ein Polizist stellt bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg eine Tasche in ein Fahrzeug. © Christoph Soeder/dpa Foto: Christoph Soeder

Neben den zwei Räumlichkeiten in Hamburg und Schleswig-Holstein wurden unter anderem auch vier Objekte in Berlin durchsucht.

Neben den zwei Räumlichkeiten in Hamburg und Schleswig-Holstein waren weitere Objekte in Hessen (3), Sachsen-Anhalt (1), Sachsen (2), Bayern (3), Berlin (4) durchsucht worden. Außerdem wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Generalstaatsanwaltschaft München räumte anschließend ein, bei der Beschlagnahmung der Domain der "Letzten Generation" einen Fehler gemacht zu haben. Zudem wurden Konten beschlagnahmt und Vermögenswerte gesichert.

Laut Polizei waren bundesweit bei den Razzien etwa 170 Beamte im Einsatz. Die Durchsuchungen verliefen ersten Informationen nach friedlich.

Kanzler Scholz: Aktionen der Gruppe "völlig bekloppt"

Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte, dass die heutige Razzia nicht bedeute, dass man die "Letzte Generation" als extremistisch oder terroristisch einstufe. "Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt", sagte der Sprecher. Das wolle man gerichtlich prüfen lassen. Das Landgericht Potsdam hatte zuletzt bereits einen Anfangsverdacht gesehen, dass es sich bei der Gruppe um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte.

In dieser Woche äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz extrem kritisch, die Anklebe-Aktionen der "Letzten Generation" nannte er "völlig bekloppt". Für diese Äußerung wurde der SPD-Politiker von Klimaschützerinnen und Klimaschützern scharf kritisiert.

Innenministerium in SH und Hamburger Innenbehörde äußern sich nicht

Das schleswig-holsteinische Innenministerium sowie die Hamburger Innenbehörde wollten sich auf Anfrage nicht zu den Durchsuchungen äußern. Der Hamburger CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte, es sei gut, "dass endlich entschieden gegen die Klima-Kleber" vorgegangen werde. "Für die CDU bleibt klar, dass auf die Straftaten der 'Letzten Generation' nur mit der vollen Härte des Rechtsstaates reagiert werden kann." AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann nannte die Razzia notwendig und längst überfällig.

Entgegengesetzt argumentierte die justizpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir: "Ziviler Ungehorsam ist nicht kriminell, sondern gehört seit jeher zu den friedlichen Protestformen unserer Demokratie. Die Aktionen der 'Letzten Generation' mögen nicht allen gefallen - eine Demokratie kann und muss solchen Protest aber aushalten können." Die Kriminalisierung der Gruppe stelle einen erheblichen Angriff auf das demokratische Gemeinwesen und die Versammlungsfreiheit dar.

Weitere Informationen

Ermittlungen gegen die Gruppe "Letzte Generation": Polizisten tragen in Hamburg Kartons in ein Auto. © Screenshot

2 Min

Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten bei einer Demo in der Hamburger Innenstadt. Sie protestieren gegen eine Razzia gegen die "Letzte Generation". © NDR Foto: Ingmar Schmidt
Ein Mann liest im Rahmen einer bundesweiten Kunstperformace der Aktivistengruppe "Letzte Generation" im Foyer der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle Texte über gewaltfreien Widerstand. © dpa Foto: Markus Scholz
Polizisten und Teilnehmer einer Kundgebung der Gruppe "Letzte Generation" vor dem Michel in Hamburg. © NDR Foto: Finn Kessler
Zwei Aktivist:innen der Letzten Generation, eine noch festgeklebt am Asphalt, der andere wird von einem Polizisten hochgehoben. © picture alliance Foto: Vladimir Menck

35 Min

Ein Angeklagter sitzt im Gericht. © NDR/Elke Spanner Foto: Elke Spanner
Eine Klimaaktivistin wird von Polizeibeamten während einer Blockade weggetragen. © NDR Foto: Anna Schlieter
Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" haben ihre Hände zusammengeklebt, um eine Straße  zu blockieren. © Bernd Thissen/dpa

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NDR Info | Nachrichten | 24.05.2023 | 19:15 Uhr

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