Lamine Yamal: Zwischen "Geniestreich" und Demut

10 Jul 2024

Ein Schlenzer für die Ewigkeit und eine einmal mehr starke Leistung: Lamine Yamal sticht bei Spaniens Finaleinzug aus dem iberischen Kollektiv heraus.

Lamine Yamal - Figure 1
Foto kicker

Ein feiner Schlenzer: Lamine Yamal (re.) trifft für Spanien zum Ausgleich gegen  Frankreich. IMAGO/Xinhua

Da saß er also nun, der junge Mann, der um diese Uhrzeit normalerweise ins Bett gehört. Aber das ist ja ein Treppenwitz dieser EURO, die Sache mit dem möglichen Ordnungsgeld, weil Lamine Yamal eigentlich schon im Land der Träume sein sollte gegen halb eins in der Nacht. Stattdessen lebt dieser 16-Jährige halt seinen Traum.

Nein, er lebt ihn nicht nur, er schraubt ziemlich aktiv selbst mit daran. Am Dienstagabend beim 2:1-Halbfinalsieg seiner Spanier mit einem formidablen Schlenzer zum Ausgleich, den selbst ein wieder einmal starker Mike Maignan im Tor der Franzosen nicht parieren konnte. "Da haben wir einen Geniestreich gesehen", lobte sein Trainer Luis de la Fuente den Mann des Abends, um gleich auf die Euphoriebremse zu drücken: "Ich möchte, dass er demütig und mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt, sich weiter verbessern will."

"Ich versuche, mir keinen großen Kopf zu machen"

Nun ist es aber so, dass Lamine Yamal meistens einen Fuß in der Luft hat, weil er ja irgendwie fintieren muss, um seine Abschlüsse, Pässe oder Soli vorzubereiten. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass de la Fuente dies fälschlicherweise als Ungehorsam interpretiert, sondern dass der Coach dies auch in einem Finale gegen wen auch immer ausdrücklich begrüßen würde. Lamine Yamal jedenfalls machte in der Nacht zum Mittwoch nicht den Eindruck, zeitnah die Bodenhaftung zu verlieren: "Ich versuche, mir keinen großen Kopf zu machen. Ich weiß nicht, ob ich das Aushängeschild bin, ich versuche meinen Mitspielern auf dem Platz zu helfen."

Das sind natürlich Standardfloskeln, aber das ist völlig in Ordnung, schließlich demonstriert das Talent des FC Barcelona bei diesem Turnier, dass es eben alles andere ist als Standard auf dem Platz. Das gilt für die Iberer im Allgemeinen. Trotz des frühen 0:1 durch den Ex-Frankfurter Randal Kolo Muani kam in München kaum das Gefühl auf, dass die Equipe Tricolore hier der Triumphator werden könnte.

Dani Olmo: Heimlich, still und leise an die Spitze der Scorerliste

Vor allem die Tatsache, dass es dem EM-Gastgeber von 2016 nur vereinzelt gelang, den Zehnerraum vor seiner Viererkette zu schließen, in dem sowohl Lamine Yamal als auch Dani Olmo wiederholt gefährlich auftauchten, sollte über nahezu die gesamte Spielzeit ein Malus sein. Überhaupt Dani Olmo. Der Leipziger bestach wie schon im Viertelfinale gegen das DFB-Team mit seinen Drehungen in den engen Räumen. "Er überrascht mich überhaupt nicht", gab de la Fuentes zu Protokoll. "Ich kenne ihn und sein Potenzial sehr gut. Er hat einfach nur Zeit nach seiner Verletzung gebraucht. Ich kann nur dankbar sein, wie viel er uns bringt."

Das sind ja nun immerhin schon drei Turniertore und zwei Vorlagen, was den Leipziger heimlich, still und leise an die Spitze der Scorerliste dieser EM gespült hat. Dass er in der Nacht zum Mittwoch dennoch im Schatten von Kunstschütze Lamine Yamal stand, wird Dani Olmo verschmerzen können. Zumal bei den Spaniern niemand im Ansatz den Glauben aufkommen lässt, dass das Kollektiv nicht im Vordergrund steht.

Schwarmverhalten der Spanier im wahrsten Sinne des Wortes

Dafür spricht das sehr gemeinschaftliche Verschiebeverhalten auf dem Feld. Es gab durchaus Szenen in Hälfte zwei, als nach einem französischen Ballverlust Räume zum Umschalten aufgingen. Bei nicht ausgereiften Teams wäre womöglich der Effekt aufgetreten, dass ein Teil der Mannschaft voll in die Tiefe geht, während ein anderer lediglich auf Neu-Formation aus ist, was dem Kontrahenten wiederum Räume bieten würde. Derartiges war beim Weltmeister von 2010 aber nie zu sehen, die Elf legte im wahrsten Sinne des Wortes ein Schwarmverhalten an den Tag respektive Abend.

Dass es dann die Individualisten sind, die für die entscheidenden Momente sorgen, liegt in der Natur des Spiels. "Ich weiß nicht, ob es das beste Tor des Turniers war", sinnierte Lamine Yamal, nicht protzend, sondern eben weil er nach der Qualität seines Treffers gefragt wurde. "Aber es war das Besonderste für mich." Historisch zugleich als jüngster EM-Torschütze der Geschichte. Zu toppen wäre das gefühlsmäßig gewiss mit einem Treffer und - respektive oder - einem Finaltriumph. Egal wie es ausgeht, spät wird es so oder so wieder am Sonntagabend für Lamine Yamal, der dann jedoch schon 17 ist.

Benni Hofmann

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten