Frühere SPD-Troika: Wofür Schröder, Scharping und Lafontaine ...

Vor 30 Jahren bildeten diese drei das legendäre SPD-Trio, das Kohl-Deutschland von sich überzeugen wollte. Sie scheiterten. Bei der Bundestagswahl vor genau 30 Jahren, am 16. Oktober 1994, holte Scharping als Kanzlerkandidat 36,4 Prozent der Stimmen. Es reichte nicht. Nicht nur deswegen, sondern vor allem wegen der inneren Zerreißkräfte zerfiel die Troika bald darauf.

Lafontaine - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Doch jetzt erlebt sie eine Renaissance. Denn ihre drei Protagonisten wurden keine Polit-Rentner, ganz im Gegenteil. Sie sind abgerückt von ihrer SPD, bei einem von ihnen ist es wohl sogar Hass. Aber alle drei sind aktiver denn je. Sie sind in der Weltgeschichte unterwegs oder dabei, das deutsche Parteiensystem umzukrempeln. Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine stehen mit ihrem Engagement für die aktuellen Herausforderungen des Landes: den Umgang mit Russland, den Umgang mit China und die Zukunft des Parteiensystems.

Lafontaine: Bin ein Brandt-SPDler geblieben

Wobei Oskar Lafontaine vermutlich argumentieren würde, dass er nicht die Zukunft, sondern die gute alte Vergangenheit repräsentiert. „Ich bin immer noch Mitglied der Brandt’schen Sozialdemokratie, aber diese Partei gibt es nicht mehr.“ Das sagte er vor einem Jahr anlässlich seines 80. Geburtstages der „Süddeutschen Zeitung“.

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Und weil es die Brandt-SPD nicht mehr gibt und auch die Linke in Lafontaines Augen nichts mehr taugt, ist er nun Mitglied der Partei seiner Ehefrau, des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Auf dem Gründungsparteitag hielt er die Abschlussrede.

Lafontaine will nicht als Gescheiterter in die Geschichte eingehen, und deswegen muss er vielleicht immer weitermachen. Denn dieser Mann konnte viele Menschen begeistern und hat mit vielen auch gebrochen. Er ist aus zwei Parteien ausgetreten, die er als Vorsitzender geführt hat. Er hat diese Parteien zu großen Siegen geführt und dann in tiefe Krisen gestürzt. Ist das BSW jetzt Lafontaines neues Spielzeug?

Franz Müntefering, der auch mal SPD-Vorsitzender war, nannte Lafontaine mal einen „Besserwisser und Wenigtuer“. Wenn der zwar noch Erster sei, aber nicht mehr die Nummer eins, dann schmeiße er hin. Lafontaines Geschichte spricht tatsächlich nicht dafür, dass er am Aushalten und Kompromissefinden interessiert ist.

Umso größer ist Lafontaines zerstörerische Kraft. 1995 stürzte er auf dem Parteitag von Mannheim Scharping vom SPD-Vorsitz. Das konnte noch als normales, wenn auch hartes politisches Vorgehen durchgehen. Im März 1999, fünf Monate nach dem Regierungsantritt von Rot-Grün, schmiss er alles hin: das Amt als Bundesfinanzminister, den Parteivorsitz, sein Bundestagsmandat. Es begann Lafontaines Feldzug gegen die SPD. 2002 fuhr die dann schon ein deutlich schlechteres Ergebnis bei der Bundestagswahl ein. Die politische Linke war von nun an gespalten und geschwächt.

Lafontaine - Figure 2
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Erbitterter Streit, dann Versöhnung mit Schröder

Lafontaine stieg auf zum Volkstribun der Unzufriedenen, der er bis heute ist. Er wurde zum wichtigsten Politiker der Linkspartei in ihrer Anfangszeit. Nach dem Motto „Die Partei bin ich“ – das dürfte seiner Ehefrau nicht ganz unbekannt sein – verfolgte er weiter seine Alles-oder-nichts-Linie.

Die eigene Partei stärken, die SPD schwächen – das verfolgte er bei der Linken und jetzt beim BSW. Denn irgendwann hatte er sich auch mit der Linkspartei überworfen. Schon vor der Bundestagswahl 2021 riet er davon ab, seine eigene Partei zu wählen. Nur wenige Tage vor der Landtagswahl in seinem Heimatbundesland Saarland trat er dann aus und riss die Partei damit in den Abgrund.

Lafontaine und Wagenknecht im Januar bei der BSW-Gründungdpa

Lafontaine erzählte Ende Januar auf dem BSW-Parteitag, dass er von BSW-Mitgliedern gefragt werde, ob diese dritte denn nun seine letzte Partei sein werde. Lafontaine sagte nicht Ja oder Nein, sondern meinte, wenn Parteien ihre Grundsätze aufgäben, dann müsse man eben Konsequenzen ziehen. Nach Lafontaines Kombination aus dem Bewahren der guten alten Zeit und dem Umwerfen aktueller Verhältnisse gibt es derzeit eine Nachfrage wie vielleicht noch nie.

In seiner neuen Partei kann Lafontaine die Politik vertreten, die er schon lange fordert: Mindestlohn erhöhen, neue Rentenformel, nach Moskau fahren für Verhandlungen. Übrigens hat für solch eine Friedensmission die Frau von Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Gerhard Schröder ins Spiel gebracht. Er solle von der Bundesregierung ein offizielles Verhandlungsmandat im Ukrainekrieg bekommen, forderte sie.

Lafontaine kam wegen seines Rücktritts nicht mehr dazu, Schröders Russlandpolitik mitzugestalten. Doch jetzt schließt sich ein kleiner Kreis. Vor Kurzem versöhnten sie sich, wollten „alte Reibereien Geschichte“ werden lassen.

Vom „guten Populisten“ zum Lobbyist für Russland

Wie um Lafontaine ist es auch um Schröder einsamer geworden. Der ehemalige Bundeskanzler galt in der SPD lange Zeit als der gute Populist. Als einer, der mit knarziger Stimme aussprach, was das Volk dachte. Über sein Engagement für den russischen Machthaber Wladimir Putin schaute man sehr lange sehr gerne hinweg. Man ehrte Schröder stattdessen dafür, dass er Deutschland aus dem Irakkrieg rausgehalten hatte.

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Es war symptomatisch für die Debatte, wie sie lange in Deutschland geführt wurde: Die Beschaffung von Gas und Öl aus dem autokratischen Russland war nie ein Problem, auch nicht nachdem Russland 2014 die Krim überfallen hatte. Schröder füllte mit Realpolitik aus, was in der SPD lange Konsens war: Ein gutes Verhältnis zu Moskau sei notwendig, um den Frieden in Europa zu erhalten.

In der SPD fand man es zwar nicht so toll, dass Schröder sich üppig bezahlen ließ für seine Dienste im russischen Energieimperium und offensiv seine Freundschaft zu Putin pflegte. Aber das sei seine Privatangelegenheit, hieß es. Schröder sei kein Russland-, sondern ein Rubelversteher. Wirklich Schwierigkeiten hatte man mit Schröder nur wegen seiner Agendapolitik.

Schröder bei der Ehrung für 60 Jahre SPD-Mitgliedschaft im Oktober 2023 mit seiner Frau So-yeon Schröder-Kim in HannoverDaniel Pilar

Schröder hatte mit sich selbst nie Schwierigkeiten. Auf den Punkt brachte er das gegenüber der „New York Times“: „Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa.“ Schröder war sich selbst immer Prinzip genug. In seiner langen politischen Laufbahn war er nie Vize oder Stellvertreter, sondern immer der Boss.

Und so ganz kommt die SPD, kommt dieses Land nicht von ihm los. Auch darin spiegelt sich die schwierige Neuausrichtung des Verhältnisses zu Russland wider. Die SPD versuchte, Schröder aus der Partei zu werfen, erfolglos. Die SPD sucht zwar nicht mehr Frieden mit, sondern nun gegen Russland. Aber die Zwischentöne klingen weniger eindeutig, etwa wenn der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich davon spricht, den Ukrainekrieg einzufrieren. Oder in der SPD-Fraktion der Plan kritisiert wird, amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren und sich so – auch gegen Russland – besser zu schützen.

Nicht zuletzt zeigen die Wahlerfolge der AfD und des BSW, dass viele Bürger auch keine eindeutig ablehnende Haltung gegenüber Russland haben. Symbolisch verdeutlicht wurde das am 3. Oktober, als man Gerhard Schröder beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Schwerin wieder in die erste Reihe setzte. Ein Jahr zuvor hatte er noch weiter hinten sitzen müssen, am Gang. Schröder und Lafontaine haben gemeinsam, dass sie die Partei, die nichts mehr mit ihnen zu tun haben will, am meisten damit ärgern, dass sie behaupten, sie seien die wahren Sozialdemokraten in diesem Land und alle anderen nur Leichtgewichte.

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Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Scharping gratuliert chinesischer KP zum Jubiläum

Ein Leichtgewicht – das war auch Rudolf Scharping für Lafontaine. Seit seinem Sturz durch Lafontaine im Jahr 1995 gilt Scharping als tragische Figur der SPD. Aber an Scharpings Lebensweg seither, vor allem seit seinem Ausscheiden aus der Politik 2005, ist nichts Tragisches.

Der Rheinland-Pfälzer ist seit vielen Jahren Präsident des Radsportverbandes. Und er baute eine Beratungsfirma auf, die Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation, kurz RSBK. Auf deren Internetseite wirbt Vorstand Scharping mit seinen früheren politischen Ämtern: Bundesminister der Verteidigung, Vorsitzender der SPD-Fraktion und rheinland-pfälzischer Ministerpräsident. Das Unternehmen berät Firmen, auch bei Geschäften in China.

Das ist nichts Außergewöhnliches. Deutschland ist selbst wirtschaftlich eng mit dem Land verbunden. Aber das Verhältnis ist mindestens ambivalent. In der China-Strategie der Bundesregierung heißt es, das Land sei Partner, Wettbewerber und Systemrivale. Politiker nahezu jeder Couleur betonen deswegen, wie wichtig es sei, sich nicht von China zu abhängig zu machen. Das abschreckende Beispiel Russland, bei aller Unterschiedlichkeit, steht auch vielen Sozialdemokraten vor Augen.

Rudolf Scharping im September in Potsdamdpa

Umso überraschender, dass Rudolf Scharping im Sommer 2021 der Kommunistischen Partei zum 100. Geburtstag im chinesischen Staatsfernsehen gratulierte. Präsentiert wurde er dort als Vorstand der Beratungsfirma, aber auch als Repräsentant der SPD. Scharping spricht davon, dass China „aufgestanden“ sei. In 15 Jahren habe er das Land fast 200-mal besucht, also etwa einmal im Monat, rechnete er vor.

Über China hat Scharping viel Gutes zu sagen. So dürften Chinesen im Internet ungestraft „scharfe Witze“ über „Onkel Xi“ machen, sagte er ebenfalls 2021. Jedes Jahr veranstaltet Scharping eine „Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz“. Scharping weist die Kritik, er gehe zu unkritisch mit dem Land um, klar zurück. Aber er sagt auch: „Wir ­dürfen da nicht als moralischer Oberlehrer auftreten“, so 2013 gegenüber der „Bunten“.

In einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ im Jahr 2021 schreiben die ehemaligen SPD-Chefs Scharping und Sigmar Gabriel in einem gemeinsamen Gastbeitrag, es sei „kaum vorstellbar, dass China sämtliche Erfolge der vergangenen Jahrzehnte durch einen militärischen Angriff auf Taiwan zerstören könnte“. Und weiter: „Wir sollten bereit sein zu Verhandlung und Ausgleich mit Peking.“

In Sachen SPD äußert sich Scharping nur noch selten, wobei er, trotz aller erlittener Verletzungen, weiter zu seiner Partei steht und im Vergleich zu Schröder und Lafontaine ein unkompliziertes Verhältnis zu ihr hat. Aus der SPD hieß es schon immer zur Arbeit von Scharping, privatwirtschaftliche Tätigkeiten von ehemaligen Parteivorsitzenden bewerte man nicht. Das erinnert an die Bewertung, die lange Zeit auch für einen anderen SPD-Parteivorsitzenden und Kanzler galt.

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