Das Rätsel um Krankheit X in der Demokratischen Republik Kongo
Ist es nur eine Grippe oder womöglich eine ganz neue Krankheit, gar der Beginn einer neuen Pandemie? In der Demokratischen Republik Kongo sind in den vergangenen Wochen mehr als 130 Menschen an einer Krankheit gestorben, die bisher nicht identifiziert ist und deshalb vorerst nur „Krankheit X“ genannt wird. Eigentlich hätte am vergangenen Samstag die Analyse von Patientenproben bekannt gemacht werden sollen, doch bis Sonntagabend blieb diese ohne weitere Begründung aus.
Angesichts der zunehmenden Ausbreitung von „Krankheit X“ hat die Gesundheitsorganisation Action Plus die Bevölkerung aufgerufen, nicht in Panik zu verfallen. Gesundheitsbehörden in der betroffenen Provinz Kwango im Südwesten des Landes arbeiteten zusammen mit entsandten Experten hart daran, „die wahre Natur dieser Krankheit herauszufinden“, sagte Jude Tshangata von Action Plus im Rundfunksender Radio Okapi. Er rief dazu auf, sich strikt an die Hygieneregeln zu halten, die aus der Corona-Pandemie bekannt sind: Abstand halten, in die Ellenbeuge niesen, regelmäßig Hände waschen.
Das Gesundheitsministerium bereitet sich auf verschiedene Szenarien vorDie Erkrankung war bereits Ende Oktober in der entlegenen Region Panzi erstmals aufgetreten. Erkrankte entwickeln grippeähnliche Symptome wie Husten, Fieber, Schnupfen, Atembeschwerden, Kopf- und Gliederschmerzen. Da Ende Oktober in Kongo die Grippesaison beginnt, schließt der Gesundheitsminister des Landes, Roger Kamba, nicht aus, dass es sich um eine saisonale Grippe mit besonders schwerem Verlauf handeln könnte. Seine Behörde bereite sich jedoch auf verschiedenste Szenarien vor und sei in höchster Alarmbereitschaft, betonte der Minister.
Großbritannien legt Vorräte von Impfstoffen gegen den Erreger an. Deutschland plant dies bislang nicht. Und nun?
So starben mindestens zehn Erkrankte nach offiziellen Angaben an Anämie. Ob die Blutarmut ein Symptom der Krankheit oder Ursache eines schweren Verlaufs ist, ist ebenso unbekannt wie die Frage nach dem Auslöser von „Krankheit X“. „Die Erwähnung der Anämie lässt mich an Mycoplasma pneumoniae denken“, sagte der britische Infektionsepidemiologe Paul Hunter von der University of East Anglia dem Science Media Center. Das ist der Erreger der atypischen Lungenentzündung, der in den zurückliegenden Monaten viele Kinder in Deutschland schwer erkranken ließ. „Aber es ist zu früh, um eine definitive Diagnose zu stellen“, so Hunter.
Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge werden als mögliche Ursache von „Krankheit X“ derzeit Krankheitserreger der Atemwege wie Influenza oder ein Coronavirus untersucht, es kämen aber durchaus auch andere Erkrankungen wie Malaria oder Masern infrage. Die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC Africa sprach von ersten Hinweisen, dass die Krankheit durch die Luft übertragen werden könne.
In den vergangenen Tagen stieg die Zahl der offiziell gemeldeten Erkrankten jedenfalls immer stärker an. Mittlerweile wird von fast 400 Fällen ausgegangen. Betroffen sind vor allem Kinder: Unter den 382 Patienten, die die Merkmale der „Krankheit X“ aufwiesen, waren 198 Kinder im Alter unter fünf Jahren. 17 Kinder sind gestorben.
Zur Zahl der Toten gibt es insgesamt allerdings stark schwankende Angaben. Während die Gesundheitsbehörden der Provinz Kwango schon vor Tagen von mehr als 130 Verstorbenen sprachen, war im Bericht des staatlichen Krisenzentrums nur von 30 Todesfällen die Rede. Offenbar wurden einige Dörfer mit Dutzenden verstorbenen Patienten erst nach und nach ausfindig gemacht. Das führte zu einem sprungartigen Anstieg der veröffentlichten Todeszahlen.
Wäre die Krankheit in Europa auch so tödlich?Unklar ist jedoch, ob die Krankheit auch außerhalb von Panzi so viele Todesopfer fordern würde. Die Gesundheitsversorgung ist dort insgesamt ungenügend. Zudem sollen etwa 40 Prozent der Menschen in der Region unterernährt sein, bei den Kindern wird der Anteil sogar auf 60 Prozent geschätzt. Auch aus einem anderen Grund sei die Mortalitätsrate ungewiss, betonte Paul Hunter: „Angesichts der Schwierigkeiten, in Zentralafrika milde Infektionen zu registrieren“, geht er davon aus, dass die Todesrate wahrscheinlich deutlich geringer sei als es die bisher bekannten Zahlen erscheinen lassen.
Obwohl in Panzi schon Ende Oktober erste Erkrankungsfälle bekannt geworden waren, hatten die lokalen Behörden das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Kinshasa erst Anfang Dezember davon in Kenntnis gesetzt. Die Lage in der Region bleibe besorgniserregend, hieß es in einem in kongolesischen Medien veröffentlichten Bericht. Hinzu kämen die logistischen Probleme für die entsandten Gesundheitsteams und das medizinische Personal in dem entlegenen Gebiet mit seinem schlechten Straßennetz. Das erste dorthin entsandte Helferteam brauchte zwei Tage für eine 400 Kilometer lange Strecke.
In der Region mangelt es zudem an Notfallmedikamenten und einem Frühwarnsystem. Zunächst waren nur zwei Epidemiologen vor Ort. Inzwischen hat auch die WHO angekündigt, Expertenteams zur Unterstützung zu entsenden. „Wir unternehmen alles, um die Ursache der Krankheit zu ermitteln, ihre Übertragungswege zu verstehen und so schnell wie möglich eine angemessene Reaktion sicherzustellen“, sagte Matshidiso Moeti, WHO-Regionaldirektorin für Afrika. Sie betonte aber auch: Man müsse derzeit von einer nicht diagnostizierten Krankheit sprechen, nicht von einer unbekannten. So sieht das auch Paul Hunter. Es sei gut möglich, dass der Spuk bald wieder vorbei sei, sagte er: „Berichte über Ausbrüche mit Todesfällen treten mehrmals pro Jahr irgendwo in der Welt auf.“ Am Ende erwiesen sich fast alle „als gut bekannte Infektionen mit limitierten globalen Folgen“.
Mit Material von dpa und Reuters