Klaasohm-Skandal auf Borkum: Maskierte Männer jagen Frauen ...
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Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich am Abend (Aufnahme vom 05.12.2011) in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfaßsäule in die Arme der Schaulustigen. Die waghalsige Sprünge in die Menschenmenge waren beim traditionellen Klaasohm-Fest zu sehen. Zuvor hatten die sechs unverheirateten Männer mit ihrem Gefolge die Straßen unsicher gemacht. Foto: Reinhold Grigoleit dpa/lni (zu lni vom 06.12.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Quelle: dpa
Ein Fernsehbericht über den „Klaasohm“-Brauch auf der Nordsee-Insel Borkum sorgt für reichlich Wirbel. Bei einem Umzug am Tag vor Nikolaus werden Frauen von maskierten Männern gejagt. Zum Teil werden sie auch geschlagen. Sprechen will von den Insulanern kaum jemand über das Fest.
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Norddeutsche gelten als dröge. Während Rheinländer beispielsweise beim Karneval auf den Putz hauen, sind den wortkargen Menschen an der Waterkant dergleichen Eskapaden fremd. So das Klischee. Ein Fernsehbericht über das Fest „Klaasohm“, das auf der Nordseeinsel Borkum alljährlich am 5. Dezember gefeiert wird, sät nun Zweifel und sorgt für reichlich Wirbel.
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Was ist so skandalös an der Insel-Tradition vor dem Nikolaustag? Kern der Kritik ist die zur Schau gestellte Männlichkeit – und die Frauenverachtung, zu der es bei dem Rummel kommt. Oder besser: kommen soll. Denn viel gesprochen wird über „Klaasohm“ von den Einheimischen nicht – Auswärtige, die sind nicht erwünscht. Entsprechend bleibt vieles im Vagen. Vor laufender Kamera habe sich im Grunde kaum jemand äußern wollen, heißt es beim NDR. Gefilmt haben die Reporter daher vor allem mit versteckter Kamera.
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„Klaasohm“ – konkret handelt es sich dabei um ein Ritual, das angeblich im 18. Jahrhundert entstanden ist. Damals boomte der Walfang. Die Männer waren lange auf See. Anfang Dezember kamen sie heim, und sie übernahmen von den Frauen wieder das Regiment auf Borkum. Davon, so heißt es, zeuge der alte Brauch. In Erinnerung an die Heimkehr der Seeleute werden auch heute noch die Frauen gejagt und gefangen.
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Einige Frauen bekommen dabei auch körperliche Gewalt zu spüren: Schmerzhafte Schläge, Hämatome – das rückt die Reportage in den Fokus. Der Bürgermeister der Insel erklärt dem Sender schriftlich, dass sich die regionale Tradition Auswärtigen nicht ohne Weiteres erschließe. Die allermeisten Borkumerinnen und Borkumer jedoch unterstützten das Fest, so betont er.
Fotos und Filmaufnahmen sind streng verbotenOrganisiert wird der Reigen vom Verein Borkumer Jungens e.V. 1830. In dem Jungmännerbund sind alle gebürtigen Borkumer Mitglied. Bis sie heiraten, dann endet die Mitgliedschaft. Und „Klaasohm“, das ist offenkundig das „Coming of age“-Ritual für die heranwachsenden Insulaner: Hauptakteure dabei sind Halbstarke, um die 16 Jahre alt. In internen Machtkämpfen in der Kleinbahnhalle entscheidet sich, wer Klaasohm wird und wie die anderen Rollen verteilt werden. Davon, was hinter verschlossenen Türen passiert, sind Fotos und Filmaufnahmen verboten.
Es ist ein sehr umstrittener Brauch: Ein Hahn wird kopfüber aufgehängt, sein Kopf soll abgeschlagen werden. Wem das gelingt, der gewinnt. Die Tierschutzorganisation Peta macht gegen das aus ihrer Sicht sinnlose Töten von Tieren zu Brauchtumszwecken mobil. Doch Stadt und Land reagieren nicht eindeutig genug.
Am Ende sind dann Jahr für Jahr sechs junge, ledige, sportliche Borkumer auserwählt. Schaurig verkleidet und mit schweren Masken ausgestattet, jagen sie über die Insel. Hinter „Wiefke“ her, einem Mann in Frauenkostüm und mit Handglocke. Beschrieben wird das Wesen als halb Hund, halb Wildschwein.
Bei diesem Umzug im Laufschritt werden junge Frauen eingefangen. Familien bejohlen das Geschehen, Alkohol fließt, meist in Form von Korn. Zum Teil werden die Frauen mit Kuhhörnern versohlt. Nur einheimische, wie es heißt. Frauen, die man nicht kennt, würden verschont.
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Im Fernsehbericht kommen anonyme Betroffene zu Wort, die Schläge über sich ergehen lassen musste. Sie berichten von aggressiven Übergriffen. Eine beschreibt das Fest als „beklemmend, beschämend, erdrückend“. Auch ist von Teilnehmerinnen die Rede, die freiwillig an dem Treiben teilnehmen. Ein ehemaliger Klaasohm spricht jedoch auch von Gruppenzwang, davon, dass sich niemand auf der Insel dem Fest entziehen könne.
Polizei und Staatsanwaltschaft teilen laut NDR mit, dass es in den zurückliegenden fünf Jahren keine Anzeigen von Frauen gegeben habe. Im offiziellen Veranstaltungskalender Borkums wird das Fest nicht erwähnt. Die Lokalpresse druckt im Nachgang Bilder vom Umzug, einordnende Worte gebe es nicht.
Ethnologen zufolge hat es Feste maskierter Jungmännerbünde in vielen Regionen Deutschlands gegeben. Verwiesen wird unter anderem auf die alemannische Fastnacht oder den Nürnberger Schembartlauf. In Social Media ist längst eine Debatte über die Borkumer Tradition entbrannt. Viele User und Userinnen bringen Bestürzung und Verärgerung über die Behandlung der weiblichen Inseljugend zum Ausdruck.