"GNX" von Kendrick Lamar: Stolz, Ego und Rachsucht

2 Stunden vor

Kaum ein Künstler vereint Hybris und Selbstzweifel, Narzissmus und Selbstlosigkeit so gekonnt wie Kendrick Lamar. Nun hat er überraschend ein neues Album veröffentlicht.

Kendrick Lamar - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

23. November 2024, 17:22 Uhr

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Kendrick Lamar vor dem titelgebenden Buick GNX © pgLand

Dieser Mann ist wütend. Dabei hätte er einiges zu feiern: Seine Auseinandersetzung mit dem kanadischen Kollegen Drake, ausgetragen über mehrere Singles und Musikvideos, beendete er mit dem Song Not Like Us, der nicht nur zu einem der größten Erfolge seiner Karriere werden sollte, sondern sogar die Nominierung von Kamala Harris beim Parteitag der Demokraten in einem kurzen Moment der Hoffnung begleitete. Für den Disstrack erhielt er nicht eine, nicht zwei, nein, gleich sieben Grammy-Nominierungen. Im Februar wird er als Einzelkünstler die Halbzeitshow des Superbowls bespielen, kein Ritterschlag, vielmehr eine Krönungsmesse in der US-amerikanischen Popkultur. Allein die Liste seiner Preise und Auszeichnungen, darunter ein Pulitzer, Weltrekorde und 17 Grammys, füllt einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

Trotzdem ist Kendrick Lamar wütend: Er bellt, er knurrt, er lässt seine Stimme in höchste Höhen aufschwingen und zieht sie hinunter in die Untiefen seiner Psyche, er kündigt an, sogar zu seiner Großmutter den Kontakt abzubrechen, wenn sie Dinge anders sehe als er. Es geht um mangelnden Respekt, um die Hip-Hop-Industrie, darum, dass er weiß, dass er der größte Rapper aller Zeiten ist und dass wir, das Publikum, die Industrie, die Kolleginnen und Kollegen, ihn alle nicht verdienen. "Fuck being rational", rappt er auf der Hälfte des Albums, "Scheiß auf die Vernunft", er werde der Masse geben, was sie verdiene.

Das mag reichlich, nun ja, selbstbesoffen klingen. Und dieser Tage fehlt es auch in den Nachrichten nicht an Männern, die mit ähnlichen Selbsteinschätzungen Schlagzeilen machen. Doch im Gegensatz zu vielen dieser Personen schafft es Lamar, diese Behauptung und diese Pose mit hypnotischen, explosiven Texten zu unterfüttern, jeder davon voller lyrischer Dichte, Adrenalin und Verletzlichkeit, dargeboten wie ein präziser Schlag ans Kinn. 

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Der Pulitzer-Preis-Gewinner weiß weiterhin, wies geht – und scheint es nicht einmal nötig zu haben, die Songs, mit denen er diesen Sommer die größten kommerziellen Erfolge seiner Karriere feierte, hier erneut zu veröffentlichen. Nein, bis auf wenige Strophen und Beats, die hier und da, zum Beispiel im Video zu Not Like Us, auftauchten und im Rückblick als subtile "Teaser" für das Album dienten, ist alles bislang ungehört. Sogar das Label Interscope habe, so die Gerüchte auf X, das Album erst am Tag seines Erscheinens erhalten.

Die Beats, die Kendrick Lamars Kadenzen einrahmen, kommen diesmal nicht nur von seinem Hausproduzenten Sounwave, sondern auch von Jack Antonoff, Sänger der Band The Bleachers und vor allem bekannt als Produzent von Lana Del Rey und Taylor Swift. Antonoff hat den Sound des Gegenwart-Pops in den letzten zehn Jahren wie kaum ein anderer geprägt und zeichnet vermutlich für die üppigen Soundelemente und Instrumentierungen auf GNX verantwortlich.

Den Namen zum Album liefert ein Automodell von Buick aus dem Jahr 1986, das einst Ferraris und Porsches überholte, und auch GNX schafft es in wenigen Sekunden, von null auf 100 zu beschleunigen. Zugleich verzichtet Lamar auch diesmal, wie schon auf seinem vorigen Album Mr. Morale & the Big Steppers oder seinen Liveshows, nicht auf wohldosierte Theatralik. 

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