Karin Baal gestorben: Man dreht nur zweimal
Bis zuletzt blieb sie im Visier der Boulevardpresse. „Total verarmt“ sei sie, meldete „Bild“ schon vor zwölf Jahren, und regelmäßig wurde über ihre Einsamkeit, ihre Alkoholsucht, ihre Depressionen nach dem Tod ihres dritten Ehemanns berichtet. Auf die Aufmerksamkeit eines Publikums, das viele ihrer Filme noch als Kinopremiere gesehen hatte, konnten sich die Regenbogenreporter dabei verlassen, denn Karin Baal war das gewesen, was man in Deutschland einen Leinwandstar nannte – ein Begriff, der heute wie aus der Zeit gefallen wirkt, sei es, dass die Leinwände so viel kleiner, sei es, dass die Stars viel weniger strahlend erscheinen als damals.
Karin Baal hat die beiden großen Zeiten des deutschen Nachkriegsfilms miterlebt, die Fünfziger- und die frühen Achtzigerjahre. Und sie hat den Abstieg des Produzentenkinos bis in die Siebzigerjahre begleitet, als die Versatzstücke der Edgar-Wallace-Krimis in Klamotten wie „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ so lange ausgereizt wurden, bis nichts mehr zusammenpasste. In keinem dieser Filme, in keiner ihrer Rollen ging je etwas von der Ausstrahlung verloren, die ihre Auftritte vor der Kamera von Anfang an begleitete – eine Mischung aus Stolz und Verletzlichkeit, Zartheit und Härte, wie sie keine andere Schauspielerin ihrer Generation besaß.
Kino-Inbild einer neuen Generation
Ihre Entdeckung hat sie in ihrer 2012 erschienenen Autobiographie geschildert. Georg Tressler suchte für sein Jugenddrama „Die Halbstarken“ ein Gesicht, das dem der französischen Schauspielerin Marina Vlady glich, und die Realschülerin Karin Blauermel aus Berlin-Wedding erschien passend geschminkt und mit frecher Teenager-Pose zum Casting. Die Setfotografen waren begeistert, aber Tressler wollte eine andere Bewerberin, also setzte man eine öffentliche Vorführung mit Probeszenen an. Das Publikum votierte mit überwältigender Mehrheit für die Realschülerin, und die sechzehnjährige Karin Blauermel wurde als Karin Baal an der Seite von Horst Buchholz zum Kino-Inbild einer neuen Generation.
Die Produzenten beeilten sich, diesen Zauber in klingende Münze umzusetzen. Schon während ihrer dreijährigen Schauspielausbildung stand Karin Baal neben Heinz Erhardt („Der müde Theodor“), Hans Albers („Das Herz von St. Pauli“) und Heinz Rühmann („Der eiserne Gustav“) und als Konkurrentin von Nadja Tiller in Rolf Thieles Gesellschaftsparabel „Das Mädchen Rosemarie“ vor der Kamera, und von 1960 an spielte sie praktisch nur noch Hauptrollen. Dabei führen die reißerischen Verleihtitel der Filme – „Der Jugendrichter“, „Die junge Sünderin“, „Vertauschtes Leben“, „Straße der Verheißung“, „Und sowas nennt sich Leben“ – oft in die Irre. In vielen der Geschichten geht es um weibliche Selbstbestimmung, Aufhebung von Klassengrenzen, sozialen Aufstieg, und in fast allen ist Baals Figur die treibende Kraft der Veränderung. Ihre Schönheit wird durch die Entschlossenheit, mit der sie ihre sogenannten Reize einsetzt, gleichsam scharfgestellt, und auf einmal sehen die Mannsbilder der Fünfziger neben ihr allesamt ziemlich alt aus.
Die reine Spielfreude
In den Krimis, die sie zur gleichen Zeit drehte, von „Die toten Augen von London“ bis „Der Hund von Blackwood Castle“, herrscht dagegen die reine Spielfreude, schon weil die Kulissen, mit denen etwa die Edgar-Wallace-Welt beschworen wird, immer abstrakter und lebloser wirken. Als ihren Lieblingsfilm jener Jahre hat Baal Wolfgang Staudtes Gaunerkomödie „Ganovenehre“ bezeichnet, vielleicht, weil sie zwischen den Routiniers Gert Fröbe, Curt Bois und Mario Adorf völlig unbeschwert chargieren konnte. Aber bleiben wird von ihren damaligen Filmrollen womöglich vor allem die, in der sie fast nur zuhört: als Nenne in „Wir Kellerkinder“, der Wolfgang Neuss seine Lebensgeschichte und die Geschichte von Deutschlands Höllensturz erzählt.
Der neue deutsche Film hat die ins Fernsehen abgestürzte Karin Baal gerade noch rechtzeitig wiederentdeckt. Rainer Werner Fassbinder besetzte sie als Franz Biberkopfs Schwägerin in „Berlin Alexanderplatz“, als Widerstandskämpferin in „Lili Marleen“ und als Mutter von Barbara Sukowa in „Lola“, Wim Wenders gab ihr eine Rolle in seiner Salzburger Inszenierung von Handkes „Über die Dörfer“, Thomas Brasch holte sie für „Engel aus Eisen“ und „Der Passagier“, Vadim Glowna und Hans-Christoph Blumenberg verschafften ihr Auftritte in ihren Debütfilmen „Desperado City“ und „Tausend Augen“. Die Frauen, die sie spielte, teilten nicht mehr nach allen Seiten aus, mussten im Gegenteil oft mehr einstecken, als sie ertragen konnten. Aber in der Art, wie sie auf die Schläge des Lebens reagierten, blitzte noch einmal der alte Stolz der Nachkriegsjugend auf: als trotzige Weigerung, sich von der Ordnung der Väter kleinkriegen zu lassen.
Danach war es mit den Kinorollen vorbei, so wie es mit dem neuen deutschen Film vorbei war, und Karin Baal tingelte wieder durch die Arzt- und Krimiserien des Fernsehens. 2006 stand sie als Filmdiva in einer Theaterversion von François Ozons „Acht Frauen“ noch einmal auf der Bühne, und wenn es einen Auftritt aus ihren späten Jahren gibt, den man gerne gesehen hätte, ist es dieser. Mit ihrem Tod am vergangenen Dienstag ist das Kapitel von Papas Kino, wie man das Kino der Fünfziger im Rückblick spöttisch nannte, endgültig geschlossen. Bei ihr war es die Geschichte einer Rebellion. Sie dauerte nicht lange. Aber sie war groß.