Kamala Harris hat große Chancen im TV-Duell mit Trump – aber sie ...

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Stand: 09.09.2024, 10:10 Uhr

Von: James Warren Davis

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Wem wird das TV-Duell nutzen: Kamala Harris oder Donald Trump? Experte und Kolumnist James Warren Davis analysiert vorab die komplexe Lage.

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Foto Frankfurter Rundschau

Kaum jemanden kann die USA, ihre Politik und die kommenden Präsidentschaftswahlen besser analysieren als er: der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis. Er ist ausgewiesener Experte für US-Politik und Internationale Beziehungen, lehrt seit Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum. Für IPPEN.MEDIA schreibt er regelmäßig über die Lage der USA und die kommende Präsidentschaftswahl.

Zehn Wochen. So lange ist es her, seit die erste Präsidentschaftsdebatte in diesem Wahlzyklus stattgefunden hat. Für die meisten von uns fühlt es sich eher wie zehn Monate an. Nie zuvor war eine Präsidentschaftsdebatte so folgenreich. Bidens desaströser Auftritt am 27. Juni setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die normalerweise Jahre gedauert hätten.

Vom Fern- zum TV-Duell: Kamala Harris und Donald Trump. © Charles Rex Arbogast/picture-alliance/dpa/AP

Normalerweise braucht ein Anwärter auf das höchste Amt des Landes Jahre, um eine Kampagne zu planen, Spenden einzuwerben, einen Mitarbeiterstab und eine nationale Organisation aufzubauen, in den Vorwahlen der Parteien zu gewinnen und schließlich gegen den Kandidaten der anderen Partei anzutreten. Doch wie ich in jenen herzzerreißenden Tagen Ende Juni und Anfang Juli andeutete, wurden die Demokraten aus ihrer Lethargie aufgerüttelt und ließen sich auf eine komplizierte Choreografie ein, die zur Ablösung des Spitzenkandidaten und zur Nominierung eines bis dahin unbekannten, aber offensichtlich talentierten und volksnahen Gouverneurs aus dem Mittleren Westen als Vizepräsidentschaftskandidat führte.

Harris und Walz ändern die Lage vor der US-Wahl: Die Demokraten träumen vom Sieg – nicht nur über Trump

Wo die Demokraten zuvor verzagt waren, sind sie jetzt voller Tatendrang. Nach einem elektrisierenden Parteitag hat die Harris-Walz-Kampagne Rekorde bei der Spendensammlung gebrochen. Im August waren es 361 Millionen Dollar, das Dreifache der Summe, die Donald Trump und sein Kandidat J.D. Vance gesammelt hatten. Die Jugend ist in einem Maße mobilisiert, wie es seit der ersten Obama-Kampagne nicht mehr der Fall war.

Die landesweit größte Organisation zur Mobilisierung junger Menschen, NextGen America, meldet einen Anstieg der Anmeldungen von Freiwilligen um 200 Prozent, seit Vizepräsidentin Harris zur Kandidatin der Demokraten gekürt wurde. Und wo Biden sowohl in den nationalen Umfragen als auch in den Umfragen in den entscheidenden Bundesstaaten monatelang zurücklag, liegt Harris nun landesweit in Führung und verzeichnet in den wichtigen „Swing States“ Michigan, Wisconsin und Pennsylvania einen positiven Trend.

All dies sind gute Nachrichten für die Demokraten, die nun nicht nur davon träumen, das Weiße Haus zu gewinnen, sondern auch ihre hauchdünne Mehrheit im Senat zu verteidigen und die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückzuerobern. Wenn sie die Kontrolle über die Exekutive und die Legislative ergattern könnten, wären sie vielleicht in der Lage, weitere Fortschritte beim Wiederaufbau der Mittelschicht, bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft und bei der Kontrolle der Entscheidungen des nach Meinung vieler radikal konservativen Obersten Gerichtshofs zu erzielen. So zumindest deren Hoffnungen.

Trumps führt „erratischen Wahlkampf“ – und dennoch ist er nicht abzuschreiben

Aber wir waren schon einmal hier! Während wir uns auf die zweite Präsidentschaftsdebatte an diesem Dienstag (10. September) vorbereiten – die erste zwischen Harris und Trump – lohnt es sich, sich daran zu erinnern, wo wir 2016 in dieser Phase der Wahl standen.

Am Vorabend der ersten Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump lag Clinton in den nationalen Umfragen mit 45,9 zu 43,8 Prozent etwa 2 Prozentpunkte vor Trump. Heute liegt Harris laut der Meinungsforschungsplattform „538“ 3 Prozent vor Trump, 47,3 zu 44,2.

Es ist kaum zu glauben, aber nach vier Jahren chaotischer Präsidentschaft von Trump und einem zunehmend erratischen Wahlkampf in diesem Sommer hat Trump seine Basis weiterhin fest im Griff. Die Demokraten haben die Energie und das Momentum auf ihrer Seite, aber es wäre töricht, Donald Trump abzuschreiben.

► James W. Davis, US-Amerikaner, ist einer der renommiertesten Experten für US-Politik und internationale Beziehungen.

► Er studierte Internationale Beziehungen an der Michigan State University, promovierte 1995 in Politikwissenschaft an der Columbia University und habilitierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis 2005 lehrte.

► Seit 2005 ist er Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen.

►Davis ist Autor mehrerer Bücher und hat zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen erhalten, darunter Gastprofessuren und Fellowships an renommierten Institutionen.

Um diese Wahl zu gewinnen, muss Kamala Harris noch die rund 15 Prozent der Wähler und Wählerinnen überzeugen, die noch nicht entschieden haben, für wen sie ihre Stimme abgeben wollen. Sicherlich haben sich die meisten eine Meinung über Trump gebildet. Aber viele, die ihn als Person ablehnen, sagen den Meinungsforschern, dass sie trotzdem für ihn stimmen könnten, wenn sie glauben, dass er ehe in der Lage wäre, ihren persönlichen Lebensstandard zu verbessern.

Harris hat Vorteile im Ringen mit Trump, die Hillary Clinton fehlten

Die Wirtschaft ist nach wie vor das wichtigste Thema für die amerikanische Wählerschaft. Doch Harris geht mit zahlreichen Vorteilen in die Debatte, die Hillary Clinton fehlten. Zum einen konnte sie analysieren, wie Trump in den Debatten mit Clinton und später Joe Biden aufgetreten ist.

Sie kennt sein Spielbuch und wird bereit sein, darauf zu reagieren. Als ehemalige Staatsanwältin und Senatorin ist Harris eine geübte Rhetorikerin. Sie hat auch ein Thema, bei dem Trump leicht angreifbar ist und bei dem sie in die Offensive gehen kann. Schließlich waren es die drei von Trump ernannten Richter des Obersten Gerichtshofs, die dafür stimmten, einen früheren Präzedenzfall außer Kraft zu setzen, der Frauen ein verfassungsmäßiges Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch garantiert hatte.

Umfragen zeigen, dass der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch für die meisten Wähler das zweitwichtigste Thema ist. Im Vorfeld der Debatte hat Trump einige strategische Fehler gemacht, die Harris helfen werden. Zum einen hat er dem Publikum im ganzen Land wiederholt erzählt, dass die Vizepräsidentin nicht sehr klug sei und dass sie keine schwierigen Fragen beantworten könne.

Trump ändert den Kurs bei der Abtreibungsfrage – eine Chance für Kamala Harris?

Damit hat er die Messlatte für sie ziemlich niedrig gelegt. Jeder, der sich an Harris‘ Leistung in den Vorwahlen 2020 oder im Senat erinnert, weiß, dass sie diese bei weitem übertreffen wird. Indem er in den letzten Tagen seine eigene Position in entscheidenden Fragen änderte, zum Beispiel, ob es ein nationales Verbot aller Abtreibungen geben sollte oder nicht, hat Trump eine Angriffslinie gegen Harris verloren.

Viele Republikaner werfen ihr vor, dass sie lang vertretene Positionen schnell geändert hat, nur um ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Sollte er sie deswegen jetzt angreifen, zum Beispiel, weil sie ihre Position zum Fracking geändert hat, wird sie ihn mit einer Frage, ob Opfer von Vergewaltigung oder Inzest gezwungen werden sollten, eine daraus resultierende Schwangerschaft auszutragen, in Verlegenheit bringen.

Denn obwohl Trump seine Position in dieser Frage abzumildern versucht, verlangt seine Basis einen Beibehalt seines harten Kurses. Wenn man zu diesen spezifischen Vorteilen noch die Tatsache hinzufügt, dass Trump häufig unehrlich und weitschweifig ist und sich zu oft auf seine persönlichen Beschwerden statt auf politische Positionen konzentriert, muss man zu dem Schluss kommen, dass Harris die Debatte nach Punkten gewinnen wird. Die wichtigere Frage ist jedoch, ob sie die visuellen Aspekte für sich entscheiden wird.

Harris darf in der TV-Debatte nicht „bedrohlich“ intelligent wirken

Schließlich leben wir im Zeitalter von TikTok, Instagram, Facebook und X. So wie Memes von Joe Biden, der auf dem G-7-Gipfel scheinbar in die falsche Richtung lief, zu dem Bild eines verwirrten, alten Mannes beitrugen, welches sich dann am 27. Juni für viele bestätigte, werden Bilder von Harris‘ Wahlkampfauftritt von ihren Befürwortern und Gegnern gleichermaßen immer wieder zerschnitten, bearbeitet und gepostet.

Da die unentschlossene Wählerschaft immer noch versucht, sich eine Meinung über sie zu bilden, wird Harris‘ Auftritt mehr unter die Lupe genommen werden als jener von Donald Trump.

Für eine Frau besteht die Herausforderung einer Präsidentschaftsdebatte nicht nur darin, die Fakten zu kennen und aus den Schwächen des Gegners Kapital zu schlagen. Es ist eine ungerechte Tatsache, aber eine Frau, die als zu stark herüberkommt, wir oft als „schrill“ oder „noch schlimmer“ kritisiert.

Harris muss also souverän, freundlich, intelligent, aber nicht bedrohlich auf die vielen Männer und Frauen wirken, die erkennen werden, dass Harris nicht nur gebildeter, sondern offensichtlich auch intelligenter ist als sie selbst sind. Ich denke, dass Harris und ihre Mitarbeiter über all dies nachgedacht haben. Ich denke daher, dass sie mit der Chance auf einen großen Sieg in die Debatte geht. Aber ja: sie kann auch verlieren.

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