Jürgen Klopp: Warum sein Abschied aus Liverpool für Unruhe ...

26 Jan 2024

Jürgen Klopp verlässt Liverpool zum Saisonende – auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Für einige Trainer in Europa ist das keine gute Nachricht. Auch für Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann nicht. 

Jürgen Klopp - Figure 1
Foto STERN.de

Kaum etwas im Fußball ist so wichtig wie das Gefühl für den richtigen Moment. Wann schießen? Wann besser noch mal passen? Wann zur Grätsche ansetzen, ohne dabei die Beine des Gegners zu treffen? Solche Entscheidungen fällen Fußballer oftmals innerhalb von Millisekunden. Sie bestimmen über Sieg oder Niederlage. 

Jürgen Klopp war nie ein großer Fußballer, ein Rauhbein eher, aber als Trainer besitzt er das Gespür für den richtigen Moment wie kaum ein anderer. Was immer auch auf dem Spielfeld passiert: Klopp weiß eine Lösung. Er kann sich auf seine Reflexe verlassen, auf seine Ideen, seine Intuition. Es mag größere Strategen geben als ihn, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti zum Beispiel, aber im Coaching während der sogenannten Crunch-Time, jener Phase, in der sich Spiele zuspitzen, überragt Klopp sie alle.

Klopp, der Letzte seiner Art im Weltfußball, hat es weit gebracht mit seinem Bauchgefühl fürs Spiel: Borussia Dortmund, das lange wirtschaftlich ums Überleben hatte kämpfen müssen, führte er aus dem emotionalen Tabellenkeller heraus und machte die Mannschaft 2011 und 2012 zum deutschen Meister. Ähnlich lief es beim FC Liverpool. Als Klopp dort im Oktober 2015 übernahm, war der Klub nur noch eine Hülle. Ein großer Name ohne Gegenwart, die guten Zeiten lagen Ewigkeiten zurück, in den 80er-Jahren und davor. Klopp kam und riss den ganzen Klub mit. Liverpool gewann 2019 die Champions League und 2020 die englische Meisterschaft – die erste für den Klub seit 30 Jahren. Heute fordern viele Fans eine Klopp-Statue vorm Stadion an der Anfield Road, direkt neben Bill Shankly, der Trainerlegende.

Jürgen Klopp - Figure 2
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Was Klopp, dem Gefühlsmenschen, allerdings lange gefehlt hat, war der Sinn für den Moment, Schluss zu machen. Zu spüren, wann es besser wäre zu gehen, weil sich da etwas verbraucht hat im Verhältnis zwischen ihm, dem Klub und der Mannschaft. 

So war es in Dortmund 2015. Klopp, in der Saison zuvor noch Supercup-Sieger mit dem BVB, fand sich mit seinem Team plötzlich im Abstiegskampf wieder. Klopps Sprüche, seine Ansprachen, sein Wortwitz – für viele im Verein klang das plötzlich schal und inhaltsleer. Das Prinzip Klopp hatte sich überlebt, bloß er selbst bemerkte das spät und ging erst im Sommer 2015. 

Sehen Sie im Video: Emotionales Statement – Jürgen Klopp will den FC Liverpool verlassen.

Klopp gelingt mit Liverpool eine Wiederauferstehung

Aus diesem Fehler hat Klopp gelernt. Er verlässt Liverpool zum Saisonende, wie er am Freitag via X in einer Videobotschaft mitteilte. Alles deutet darauf hin, dass das Timing diesmal stimmt: Klopp geht nicht in einem Moment der Schwäche, sondern auf der vollen Höhe seiner Schaffenskraft. Die Mannschaft führt die Premier League an, sie steht auf Platz eins ihrer Europa League-Gruppe – es ist eine Art Wiederauferstehung nach einer schwachen Vorsaison.  

Klopp wird im Sommer dieses Jahres einen jungen, aussichtsreichen FC Liverpool übergeben. Und eben nicht eine Baustelle wie noch in Dortmund. Klopp selbst hat die Mannschaft neu aufgestellt, nach der großen Depression, die dem Meisterschaftsjahr gefolgt war.

Jürgen Klopp - Figure 3
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Klopps Fußball kostete schon immer viel Kraft, und die Helden der Titeljahre 2019 und 2020 waren schnell gealtert. Irgendwann wirkte es, als könnten sie das Tempo, das Klopp einforderte, nicht mehr mitgehen. Als hätte der Trainer das Team mit seinem intensiven Spielstil verschlissen. Im Mai 2023 beendete der Verein die Ligasaison als Fünfter. Es schien, als würde Liverpool sich schleichend zurückentwickeln, ins obere Mittelfeld der Liga – wo Klopp den Klub einst übernommen hatte.

Klopp erfindet das "Liverpool 2.0"

Mitten in diese Phase des Abstiegs hinein tat Klopp das Gegenteil von dem, was viele von ihm erwartet hatten: Er verlängerte seinen Vertrag in Liverpool erneut. Klopp wollte ein Signal des Aufbruchs senden. Er wollte den Verein nicht in einer sich anbahnenden Krise verlassen. Er wollte Liverpool ein zweites Mal neu erfinden. Klopp, der immer schon einen Hang zu Slogans hatte, rief ein "Liverpool 2.0" aus. Im vergangenen Sommer baute er den Kader um. Er tauschte das in die Jahre gekommene Mittelfeld nahezu komplett aus. Stammkräfte wie Fabinho und Jordan Henderson, einst das Herz der Mannschaft, ließ Klopp nach Saudi-Arabien ziehen. Er beschwerte sich nicht groß darüber, dass die Saudis seine Mannschaft mit obszön hohen Offerten auseinanderrissen. Er erkannte darin die Chance, dem Team ein neues Gesicht zu geben. Klopp verpflichtete neben dem erfahrenen Wataru Endō vom VfB Stuttgart vor allem jüngere, vielversprechende Mittelfeldspieler wie Dominik Szoboszlai von RB Leipzig, Ryan Gravenberch vom FC Bayern und Alexis Mac Allister von Brighton. Im Umfeld des Klubs herrschte Skepsis. Mit diesen Spielern sollte der Neuanfang gelingen? Fehlten da nicht große Namen?

Jürgen Klopp - Figure 4
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Aber Klopp hat selten Prominenz eingekauft. Meist hat er aus seinen Spielern große Namen gemacht. Und auch diesmal scheint sein Plan aufzugehen.

Klopp wird ein reiches Erbe hinterlassen. Ihm ist es gelungen, die Identität des einstigen Arbeitervereins in eine Spielphilosophie zu überführen. Seine Spieler sollten dem Ball nachjagen. Er machte aus Stürmern offensive Verteidiger. Sein Credo lautete: Angreifen, wenn man den Ball am Fuß hat. Angreifen, wenn man den Ball verloren hat. Er nannte das "organisiertes Chaos". Klopp wollte, dass kein anderes Team in Europa intensiveren Fußball spielt als Liverpool. Und über mehrere Jahre ist die Mannschaft seiner Vision sehr nahegekommen. 

Klopps Name wird durch die Ligen geistern

Im Mai dieses Jahres also wird Klopp wieder auf den Markt sein. Für viele Trainer in Europa ist dies keine gute Nachricht. Ab heute nämlich wird Klopp als Schattentrainer durch die Ligen geistern. Wird man beim FC Bayern noch viel Geduld mit Thomas Tuchel haben, wenn ein Klopp schon bald verfügbar ist? Auch in Paris dürfte es unruhig werden, diesem unendlich reichen, aber ungekrönten Emporkömmling. Warum nicht Luis Enrique gehen lassen und Klopp holen, der weiß, wie man die Champions League gewinnt? Oder Barcelona: Wäre dort nicht auch ein Relaunch notwendig? Die Wiederbelebung einer alten Marke? Oder, naheliegend, die deutsche Nationalmannschaft? Was ist, wenn sie ihre beiden Testspiele gegen die Niederlande und Frankreich im März verliert? Sitzt dann Jürgen Klopp im Sommer bei der Heim-EM auf der Trainerbank und nicht Julian Nagelsmann? 

Durchaus denkbar. Jürgen Klopp wird das alles an sich vorbeiziehen lassen. Vorerst. Am Freitag kündigte er an, "mindestens ein Jahr Pause" machen zu wollen, aber das sagte er auch schon bei seinem Abschied aus Dortmund. Und wenige Monate später wechselte er dann nach Liverpool.

Klopp will Ruhe jetzt, Spekulationen stören da nur. Klopp will nochmal beweisen, dass er ein Großer ist. So groß wie Bill Shankly, der schon in Bronze an der Anfield Road steht. 

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