Früherer Co-Chef von Goldman Sachs: Das ist der neue ...
In anderthalb Wochen findet der G20-Gipfel in Rio de Janeiro statt. Als „deutscher Sherpa“ wäre es normalerweise Jörg Kukies (56) Aufgabe gewesen, den „Aufstieg“ respektive Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (66; SPD) vorzubereiten. Bevor die Regierungschefs an den Gipfelorten eintreffen, verhandelte der Staatssekretär mit seinen Amtskollegen aus den anderen Ländern über die komplizierten Abschlussdokumente der Treffen.
Zum Problem wurde der Fall Wirecard: Nach der spektakulären Insolvenz des Zahlungsdienstleisters 2020 wurde bekannt, das Wirecard-Chef Markus Braun (55) Kukies im November 2019 im Finanzministerium getroffen hatte. Es ging um die damals schon vorgebrachten Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard.
Bewährte sich in der CoronakriseIn der Coronakrise konnte Kukies dann endlich seine Stärken ausspielen: die Mischung aus Banker und Genosse. Neben den Kreditprogrammen der staatlichen KfW-Bank schaffte die Regierung den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), um taumelnde Unternehmen mit Kapital auszustatten oder teilweise zu verstaatlichen. Kukies war einer der maßgeblichen Architekten. Er feilte vor allem an den Bedingungen für die Staatshilfe.
Als Erstes traf es die Lufthansa, und Kukies macht schnell klar: „Es kann nicht sein, dass der Staat alle Risiken und Verluste trägt, am Erfolg aber nicht teilhat.“ Der Staat müsse auch von steigenden Aktienkursen profitieren. Er agierte wie ein Investmentbanker im Auftrag des Steuerzahlers – und setzt sich in den Verhandlungen durch, sehr zum Leidwesen einiger Lufthansa-Manager.
Seine Zeit als Staatssekretär war geprägt von Krisen. Auf die Coronapandemie folgte der Ukrainekrieg inklusive starker wirtschaftlicher Turbulenzen für den Industriestandort Deutschland.
Jörg Kukies: Vom Praktikanten zum Deutschland-ChefKukies gilt als ruhig, sachlich, analytisch. Seine Intelligenz und unerschöpfliche Energie seien vor allem aufgefallen, sagt sein Förderer und Vorgänger bei Goldman Sachs Philip Holzer (58). Ein ehemaliger Goldman-Banker, der Kukies kennt, sieht es so: „Bei Kukies fehlt das empathische, das zwischenmenschliche Element – das machte ihn immer zu einem idealen zweiten Mann.“
Zu Goldman Sachs kam er als Praktikant. Anfang 2014 schaffte er es an die Spitze: Kukies übernahm von Holzer die Leitung der Handelssparte in Deutschland – ein Job, den er effizient, hart arbeitend und geräuschlos erledigte. Ein halbes Jahr später wurde er einer von zwei Deutschland-Chefs.
„Soziale Gerechtigkeit war regelmäßig ein Thema zu Hause“Sein politisches Leben begann deutlich früher: im November 1986. In Bonn demonstrierten rund 10.000 Menschen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Kukies, damals 18 Jahre alt, wollte dabei sein. Auf der Busfahrt aus Mainz lernte er einige Jusos kennen und beschloss, der Jugendorganisation der SPD beizutreten. Ein paar Jahre später wurde er Vorsitzender des Landesverbands in Rheinland-Pfalz – als direkter Vorgänger der späteren SPD-Chefin Andrea Nahles (54).
Warum die Jusos? „Meine Eltern unterstützten Willy Brandt, soziale Gerechtigkeit war regelmäßig ein Thema zu Hause.“ Sein Weltbild? „Ich war stets im moderaten, nicht im linken Flügel.“
Kukies studierte Ökonomie in Mainz und an der Sorbonne in Paris, Master in Harvard, Doktor an der University of Chicago. Es sind die besten Adressen der Ökonomie, die Heimstätte von Milton Friedman und George Stigler, den Vordenkern der entfesselten Marktwirtschaft. Kukies' Berufswunsch: Wissenschaftler. Jetzt wird es also nach Goldman Sachs das Finanzministerium. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist immerhin nur 2,5 Kilometer entfernt.