Joe Biden beim G7-Gipfel: Der Mann im Nichts

18 Tage vor

Ein Hauch von Melancholie und Tragik umweht den G7-Gipfel im italienischen Bari. Das liegt vor allem an Joe Biden, dem US-Präsidenten.

Joe Biden - Figure 1
Foto STERN.de

Es könnte so schön sein, hier an der Adriaküste am südlichsten Zipfel Italiens. Das Wetter ist blendend, ein leichter Wind weht über die Hügel. Die Staats- und Regierungschefs der sieben angeblich wichtigsten westlichen Industrieländer haben sich in ein Luxusresort zurückgezogen, um mal ganz in Ruhe ein paar Dinge zu regeln. Ein Retreat der Macht, wenn man so will. Zwei Tage Pause vom schnöden Regierungsalltag, Ruhe, Abgeschiedenheit. 

Läuft. Oder?

Vielleicht muss man wissen, dass es gar nicht so einfach ist, als Reporter überhaupt etwas über Gipfel dieser Art zu schreiben, weil man mit dem Bundeskanzler zwar mitgereist ist, aber kaum behaupten kann, nah dran zu sein. Wie die G7-Führer ist man auch in Apulien. Das ist es dann aber auch schon mit der Nähe. 

Und dann steht plötzlich der Kanzler vor einem

Das Luxushotel, in dem die Mächtigen tagen, schlafen, verhandeln liegt gut abgeschirmt in den Hügeln, acht Kilometer von dort entfernt, wo die deutsche Presse versammelt ist und der Dinge harrt, ja, so muss man das wahrscheinlich nennen, weil so fürchterlich viel hier eigentlich nicht passiert. Hin und wieder trudeln ein paar Informationsschnipsel aus der G7-Kommandozentrale ins Postfach. Eine Email mit Hintergründen. Ein Papier mit Inhalten, auf das man sich offenbar geeinigt hat. 

Joe Biden - Figure 2
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Ansonsten sitzt man unter Olivenbäumen, sucht den Schatten, kommuniziert mit den Kollegen daheim. Und plötzlich steht da dann doch mal der Kanzler vor einem.

Drei Minuten Statement. Gute Runde, wichtige Beschlüsse, Putin muss gestoppt werden. Dann rauscht die Kolonne des Kanzlers auch schon wieder in Richtung Luxusresort und der Wind durch die Olivenbäume auf der Anlage. Die Wirtin serviert Weißwein und Bier. Weltpolitik?

Was man mitkriegt: Ein Mann bereitet hier Sorgen, in Apulien, in der westlichen Hemisphäre, vielleicht auch darüber hinaus: Joe Biden, der amerikanische Präsident. Schon seit einiger Zeit erzeugen die Auftritte des mächtigsten Mannes der Welt ein mittelschweres Unbehagen. Biden ist 81 Jahre alt und sehr klapprig geworden. Was keine große Sache wäre, wenn nicht ausgerechnet ihm die Aufgabe zufiele, bei der anstehenden Präsidentschaftswahl die Welt vor einer Trump-Diktatur zu bewahren. Es wäre, das kann man schon sagen, ganz gut, wenn er für diesen vermeintlichen Endkampf um die Demokratie im Vollbesitz seiner Kräfte wäre.

Schlimme Bilder von Joe Biden

Stattdessen machen schlimme Bilder von ihm dieser Tage die Runde, kurze Videos, wilde Szenen. Biden stolpert. Biden verwechselt Menschen. Biden vergisst Sätze. Vieles davon ist aus dem Zusammenhang gerissen, technisch verändert, es gibt Erklärungen, entlastende Details, aber die Schnipsel sind Lehrbuchbeispiele dafür, wie Debatten durch digitale Vervielfältigung heutzutage aus dem Ruder geraten, wie leicht sich Etiketten bilden lassen, die plötzlich unverrückbar erscheinen. 

Joe Biden - Figure 3
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Fünf Monate vor der Wahl ist das Bild eines Mannes entstanden, der verwirrt ist, der durch die Gegend läuft wie ein Rentner, der sich verlaufen hat auf dem Weg zurück ins Altersheim. Der schlicht nicht mehr kann, aber von seiner Partei auch nicht abgeräumt werden kann, weil niemand bereitsteht, der ihn ansatzweise ersetzen kann. 

Auch in Apulien hat Biden wieder einen dieser Momente, nach denen man sich fragt, wie dieser Mann eigentlich bis zum November durchhalten soll. Er geht so: Am Rande des Gipfels sieht Biden mit anderen Regierungschefs einer Fallschirmspringer-Show zu. Emmanuel Macron ist da, Scholz, auch Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin. Als der Fallschirmspringer unmittelbar vor ihnen landet, dreht Biden sich plötzlich weg – und läuft scheinbar ins Nichts. Giorgia Meloni, die italienische Gastgeberin, führt ihn behutsam zurück.

Biden, das sieht man auf dem vollständigen Video, dreht sich anderen Fallschirmspringern zu, die Szene ist an sich nicht der Rede wert. Aber da sind die geschnittenen Bilder vom Mann im Nichts schon in der Welt und die dazu gehörigen Vorwürfe auch: Ja, wo will er denn hin? Jeder Schritt von Biden ist politisch. Das ist jetzt ein wachsendes Problem, auch für die in Apulien versammelten Herrschaften, denn man braucht ihn ja noch.

Joe Biden - Figure 4
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Biden mag scheinbar orientierungslos durch die Gegend wackeln, politisch aber ist er gerade der Garant dafür, dass der Westen nicht auseinanderfällt. Er stützt wie niemand sonst die Ukraine. Er hält die Nato beieinander. Er schlägt eine Waffenruhe für Gaza vor. Seine Leute entwerfen einen Plan, eingefrorene russische Vermögen zu nutzen, um 50 Milliarden Dollar für Kiew zu mobilisieren. Wie sollte das alles ohne ihn gehen?

Und dann singt Joe Biden ein Ständchen für Scholz

Und so liegt über diesem Gipfel eine leichte Tragik, ein Hauch von Wehmut. Das Schicksal, öffentlich schwer angeschlagen zu sein und vor einer unsicheren Zukunft zu stehen, teilen hier manche mit Biden. Der Bundeskanzler zum Beispiel oder der französische Präsident. Der Brite Rishi Sunak sowieso. In derselben Besetzung wird man wohl allenfalls am Telefon nochmal zusammenkommen oder per Video. Ein letzter Tanz in Apulien. Als ginge es darum, für die Erzählung, wonach der Westen eine leicht aus der Mode gekommene Marke ist, noch das passende Format zu finden.

Übrigens: Es gab noch eine andere Szene mit Joe Biden bei diesem Gipfel. Sie hat mit dem Kanzler zu tun. Als der am Freitagmorgen im Resort auftauchte, setzt Biden zu einem Geburtstagsständchen für Olaf Scholz an. Das mache man so "in der Biden-Familie", rief der Präsident. Alle lachten, sangen, beglückwünschten einen leicht verschämt dreinblickenden Kanzler zum 66. Ein kurzer Moment der Leichtigkeit. Dann ging es weiter mit den Beratungen.

#Themen Joe Biden G8-Gipfel Apulien Olaf Scholz Italien Bier
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