Wie Japan das totale Parkverbot auf öffentlichen Straßen durchsetzt

16 Mai 2023
Japan

Deutschland streitet über die Brötchentaste, in Japan ist das Parken am Straßenrand oft komplett verboten. Was das für Einzelhandel und Autoindustrie bedeutet – und ob es ein vielversprechendes Modell für Deutschland wäre.

Wer in Japan einen Neuwagen bei einem Autohaus kauft, hat meist Glück: Bei diesem lukrativen Geschäft hilft der Händler dem Käufer dabei, die notwendige Bescheinigung für den vorgeschriebenen Parkplatz korrekt auszufüllen und behördlich stempeln zu lassen. Der Grund: Ohne Parkplatzpapier wird in Japan erst gar kein Fahrzeug zugelassen, egal ob für private oder gewerbliche Zwecke. Gleichzeitig ist das Parken am Straßenrand tagsüber stark eingeschränkt und nachts komplett verboten.

Die Auflagen sind streng: Der Stellplatz darf höchstens zwei Kilometer von der eigenen Wohnstätte entfernt liegen, die Länge und Breite müssen angegeben werden. Auch ein Beleg für die Anmietung oder den Besitz des Parkplatzes wird verlangt. Wohl dem, der ein eigenes Haus mit Parkplatz auf seinem Grundstück besitzt. Und am Stadtrand immerhin können viele Hochhausbewohner einen Parkplatz zu ähnlichen Mietpreisen wie in Deutschland anmieten. Wer jedoch in einer zentral gelegenen Wohnung in einer Metropole wie Osaka oder Tokio lebt, muss Hunderte von Euro monatlich für eine Parkfläche berappen. Die starke Nachfrage und das geringe Angebot treiben die Kosten.

Diese hohe Kaufhürde hat die Japaner nicht davon abgehalten, sich Autos anzuschaffen. In Japan kommen auf 1000 Einwohner je 624 Autos, in Deutschland sind es 628. Es gibt also keinen Unterschied zu Deutschland, obwohl dort die Fahrzeuge Tag und Nacht am Straßenrand parken dürfen. In Japan fährt kein Autofahrer am späten Abend auf der Suche nach einem Parkplatz fünfmal um den Häuserblock mit der eigenen Wohnung. Einfahrten und Kreuzungen bleiben frei, Fahrräder und Fußgänger haben nachts freie Bahn.

Damit scheint Japan eine gute Balance gefunden zu haben: Die Pflicht zum Parkplatznachweis schränkt den Autobesitz in den Innenstädten so ein, dass der Verkehr dort ausreichend fließen kann und die Abgase die Luftqualität nicht zu stark belasten. Andererseits können sich die meisten Bürger ein Auto leisten, weil die meisten Parkplätze bezahlbar sind. Zugleich bleibt die Nachfrage nach Autos so groß, dass die nationalen Hersteller genügend hohe Stückzahlen auf ihrem Heimatmarkt absetzen und ihn als Sprungbrett für eine Expansion ins Ausland nutzen können.

Das Geheimnis für diesen Erfolg ist leicht zu lüften – ein effizienter öffentlicher Nahverkehr. Dadurch können viele Bewohner der japanischen Metropolen auf ein Auto verzichten, ohne sich in ihrer Mobilität eingeschränkt zu fühlen. Zum Beispiel können sie mit Bus und Bahn bequem zum Einkaufen fahren. Der Einzelhandel in den Zentren verkümmert nicht.

In Japan sollen sich Nahverkehr und Autos ergänzen

Viele japanische Stadtbewohner kaufen sich trotzdem ein eigenes Auto. Jedoch benutzen sie es relativ wenig: Die jährliche Fahrleistung beträgt im Schnitt 9300 Kilometer, rund 40 Prozent weniger als in Deutschland. Zur Arbeit fahren die meisten Städter mit S- und U-Bahnen, das Auto benutzen sie vor allem zum Großeinkauf und für Ausflüge. Die japanische Lektion – zum Beispiel für die deutsche FDP, die Autos durch preiswerte Parkplätze und die „Brötchentaste“ in die Innenstädte locken will, damit der Einzelhandel floriert – lautet: Autos und Nahverkehr sind keine Rivalen, sondern sollten sich ergänzen.

Lesen Sie auch: Wie japanische Manager nach Spitzenqualität streben – und sie erreichen

Den höchsten Tribut für diese strikte Verkehrspolitik zahlen diejenigen Stadtbewohner, die im Zentrum wohnen. Wenn sie unbedingt ein Auto besitzen möchten, sind sie gezwungen, viel Geld für einen der wenigen Parkplätze ausgeben. Nicht selten müssen sie ihren Autowunsch ganz aufgeben, weil sie keinen Stellplatz bekommen. Die Nachfrage ist teils so groß, dass zum Beispiel Parkplätze in einer Wohnanlage per Los vergeben werden. Als Folge dieser Regulierung besitzen in den 23 Stadtbezirken von Tokio nur 22 Prozent der Haushalte ein Auto, während diese Rate in Berlin bei 34 Prozent liegt.

Woher stammt das japanische Parkverbot?

Rückblende: Beim Wiederaufbau nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg förderte die Regierung die Motorisierung. Um den Umstieg vom Motorrad zum Auto zu erleichtern, führte sie die Kategorie der „Kei Cars“ ein – Kleinfahrzeuge mit einem geringen Hubraum. Aber als ab Ende der 1950er-Jahre größere Auto für immer mehr Japaner erschwinglich wurden, verstopften die parkenden Fahrzeuge die oft engen Wohnstraßen bald hoffnungslos. Auf diese Krise reagierte der Staat 1962 mit einem Gesetz, das für die Zulassung eines Fahrzeugs eine „Garagenbescheinigung“ vorschreibt. Damit weist man einen Stellplatz abseits der Straße nach. Anfangs galt diese Regel nur für die Metropolen, aber mit der raschen Urbanisierung verbreitete sich diese Vorschrift landesweit.

Theoretisch könnte man bei diesem Nachweis leicht schummeln, aber damit verschafft man sich keinen Vorteil: Denn das nächtliche Parken auf der Straße ist prinzipiell verboten und wird rigoros durchgesetzt. Nach ein paar Tagen schickt die Polizei garantiert einen Abschleppwagen. Die Nachweispflicht für den eigenen Parkplatz macht dieses nächtliche Abstellverbot politisch leichter durchsetzbar, weil die Autofahrer nicht mehr behaupten können, sie hätten keine andere Wahl, als auf der Straße zu parken.

Die staatliche Doppelstrategie erzeugt eine solide Nachfrage nach Mietparkplätzen. In allen Innenstädten bieten Immobilienunternehmen und Grundstücksbesitzer Parkhäuser und Kurzzeitparkplätze für diejenigen Autofahrer an, die dort tagsüber arbeiten oder einkaufen wollen. Viele Geschäfte und Kaufhäuser kooperieren mit Parkhäusern und erstatten ihren Kunden abhängig von der Einkaufssumme die Parkgebühren.

Grundstücksbesitzer können Parkplätze lukrativ vermieten

Im übrigen Stadtgebiet entstehen Mietparkplätze auf Privatgrundstücken, viele davon sogenannte Coin-Parkplätze. Für zehn bis 30 Minuten werden in der Regel 0,70 Euro fällig, der typische Nachttarif liegt zwischen fünf und acht Euro. Kurz nach dem Parken klappt eine Metallplatte aus dem Boden hoch und verhindert das Wegfahren. Nach dem Bezahlen am Automaten klappt sie wieder herunter und gibt das Fahrzeug frei. Andere Stellplätze werden gleich monatsweise vermietet. Für manchen Grundstücksbesitzer kann die Vermietung von Parkplätzen lukrativer sein als die Vermietung von Wohnungen, da die Bau- und Betriebskosten viel niedriger sind.

Die Nachweispflicht für Parkplätze hat positive Auswirkungen für die Bürokratie. Viele Städte verzichten zum Beispiel darauf, für Apartmentgebäude eine bestimmte Parkplatzquote vorzuschreiben, sondern man verlangt nur eine niedrige Mindestzahl. Kleinere Gebäude mit wenigen Wohnungen sind ganz davon ausgenommen. Die Behörden verlassen sich darauf, dass der Markt genug Parkplätze bereitstellt. Auch der Aufwand für die Ausgabe und Kontrolle von Anwohnerparkausweisen entfällt. Ein stiller Nebeneffekt besteht darin, dass viele Behörden auf die Verbreiterung von Straßen verzichten.

Allerdings hat die japanische Strategie entgegen manchen Erwartungen keine Stadtentwicklung weg vom Auto begünstigt. In Tokio, Nagoya oder Osaka steht man nicht weniger im Stau als in Berlin oder München, die Innenstädte sind ähnlich verstopft. An den Straßenrändern in Tokio oder Osaka parken tagsüber zwar keine Autos, aber die vielen Taxen und Lieferfahrzeuge, die zum Ein- und Ausladen halten, blockieren diese Flächen genauso.

Daher ist auf den Straßen der japanischen Metropolen keineswegs mehr Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger als in deutschen Großstädten. Auch die Einführung von autofreien Zonen – wie in Paris oder Berlin – wird in Japan kaum diskutiert.

Lesen Sie auch: Warum Japans Autobauer an allen Antriebsarten festhalten

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten