Jannik Sinner: Positive Dopingtests ausgerechnet bei ihm

28 Tage vor
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Stand: 21.08.2024, 13:44 Uhr

Von: Jörg Allmeroth

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Er ist ein Ausnahmespieler und dazu noch einer mit Charme: Jannik Sinner hat eindrucksvoll die Cincinnati Open gewonnen,

Er ist ein Ausnahmespieler und dazu noch einer mit Charme: Jannik Sinner hat eindrucksvoll die Cincinnati Open gewonnen, © IMAGO/ZUMA Press Wire

Der Weltranglistenerste Jannik Sinner wird im März zweimal positiv auf ein verbotenes Steroid getestet, aber in beiden Fällen freigesprochen. Der Fall wirft Fragen auf, auch, weil er jetzt erst öffentlich wird.

Als Jannik Sinner am vergangenen Sonntag das Masters-Turnier in Cincinnati gewann, feierten die PR-Bataillone der Tennistour und Grand Slam-Veranstalter den Südtiroler mit einem euphorischen Feuerwerk. „Sin-sational“ sei der Triumph des Weltranglistenersten gegen den Lokalmatador Francis Tiafoe gewesen, „Superman Sinner“ sei wieder mit alter Schlagkraft am Werk gewesen, rechtzeitig vor dem letzten Grand Slam-Turnier der Saison, den kommende Woche beginnenden US Open.

48 Stunden später sah die Tenniswelt ganz anders aus. Wer den Namen des 23-jährigen Frontmannes des Herrentennis googelte, bekam nun beispielsweise „Sinner Doping“ oder „Sinner gedopt“ oder „Sinner Dopingtest“ serviert. Und wie immer im Tennis hatten diese Schlagworte nichts mit Vorgängen zu tun, die ein paar Tage oder Wochen zurücklagen, sondern viele Monate. Genau genommen: Fast ein halbes Jahr. Damals war Sinner im März bei zwei Dopingtests durchgefallen, einmal während des Megaturniers in Indian Wells, einmal bei einer Kontrolle außerhalb eines ATP-Wettbewerbs.

Niemand erfuhr davon, nicht von den beiden Fällen, in denen Spuren des Steroids Clostebol bei Sinner entdeckt wurden. Nicht von den Einsprüchen Sinners und seinem Team, nicht von zwei vorübergehenden Suspendierungen, nicht von einem langen Untersuchungsprozess. Erst als Mitte August eine unabhängige Schiedsstelle Sinner von Schuld und Fahrlässigkeit in der Doping-Causa freisprach, geriet die Affäre an die Öffentlichkeit.

Und damit auch eine recht eigenwillig anmutende, für manche eher abenteuerliche Geschichte. Denn zur Rechtfertigung für die Dopingentdeckung trugen Sinners Beauftragte dies vor: Sein Fitnesstrainer Umberto Ferrara habe in Italien Trofodermin ganz normal eingekauft, eine Creme zur Behandlung von Schnittwunden. Dann habe Sinners Physiotherapeut Giacomo Naldi sich seinerseits in Indian Wells eine Schnittwunde mit einem Skalpell zugezogen und sich mit der Creme behandelt. Schließlich habe Naldi Sinner ohne Handschuhe mehrfach massiert und dabei den Weltklassespieler mit Clostebol kontaminiert, das in der Salbe enthalten ist.

Sinner wurde nach den Dopingtests zweimal für sehr kurze Zeit vom Wettkampfgeschehen ausgeschlossen (4. und 5. April, 17. bis 20. April), aber nach Einsprüchen und Anhörungen vorerst wieder zugelassen – so wie es die nicht unumstrittenen Regularien im Tennis vorsehen. Während die International Tennis Integrity Agency (Itia) das Verfahren vorantrieb, spielte Sinner normal weiter. Allerdings pausierte er wegen körperlichen Problemen, etwa mit seiner Hüfte, mehrfach, auch bei den Olympischen Spielen in Paris trat er nicht an. Ein von der Itia beaufftragtes Expertengremium fand zuletzt Sinners Erklärungen glaubhaft, in London fand dazu eine Anhörung statt. Nähere Informationen, wer genau die Experten waren, fanden sich allerdings in einem Presse-Statement der Itia nicht.

Kein Wunder allerdings, dass der gesamte Verfahrensablauf und auch das gefundene Urteil unter massiven Beschuss gerieten. „Ich kann mir nicht vorstellen, was Spieler, die wegen Kontaminierung mit Substanzen gesperrt wurden, jetzt fühlen“, schrieb der kanadische Profi Denis Shapovalov auf X. Auch Nick Kyrgios, der streitbare Australier, meldete sich zu Wort: „Lächerlich. Du bist zweimal mit einer verbotenen Substanz erwischt worden, du solltest zwei Jahre raus sein.“ Kritiker verwiesen auch auf andere Dopingfälle, bei denen sofortige Sanktionen nach positiven Tests ausgesprochen und Einsprüche nicht akzeptiert worden waren, vieles sehe nach einer Sonderbehandlung der Nummer eins aus. Die Spielerorganisation ATP, geleitet vom Italiener Andrea Gaudenzi, teilte derweil mit, es sei „ermutigend, dass Jannik Sinner kein Verschulden oder Fahrlässigkeit nachgewiesen werden konnte.“ Man würdige die „unabhängige Bewertung der Fakten im Rahmen des Antidoping-Programms“, die es Sinner erlaubt hätten, weiter an Wettkämpfen teilzunehmen.

Amerikas führender Tennis-Journalist Jon Wertheim wies in einem Beitrag allerdings auf die typischen Ungereimtheiten und dubiosen Verfahrensabläufe im Tennis hin – ein monatelanges Versteckspiel um die nun aufsehenerregende Affäre, Intransparenz und „Ungleichbehandlung“ von angeklagten Spielern. Andere Akteure hätten es geliebt, so schrieb Wertheim, „wenn die Details zu einem positiven Test unterdrückt worden wären“, bis man Schuld oder Fahrlässigkeit verneint habe. Der deutsche Dopingexperte Fritz Sörgel zeigte sich derweil skeptisch über die Erklärungen des Sinner-Lagers, wonach die Kontamination durch den Masseur erfolgt sei: „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass das Clostebol in solchen Mengen durch die Haut eindringt, dass es im Dopingtest auffällt.“

Andere Insider wiesen darauf hin, dass es im italienischen Sport ein großes Clostebol-Problem gebe, etwa auch im Basketball. Die weltweite Antidoping-Agentur Wada kündigte an, man werde genau prüfen, ob gegen die Entscheidung des Londoner Expertengremiums Einspruch eingelegt werde. Berechtigt zu einem Einspruch wären die Wada und die italienische Antidoping-Agentur.

Für den Tenniskosmos ist die Causa Sinner trotz Freispruchs ein Image-Schadensfall, der an die Affäre Scharapowa erinnert. Die Russin war vor acht Jahren wegen Dopings mit Meldonium erwischt und nach eigenem Geständnis gesperrt worden, erst kürzlich machte sie ihren früheren Manager für das Vergehen verantwortlich. Während Scharapowa damals am Ende ihrer Karriere stand, rückt mit Sinner ausgerechnet der Spieler in den kritischen Fokus, dem zugetraut wird, gemeinsam mit dem Spanier Carlos Alcaraz das Erbe der Großen Drei in seinem Sport anzutreten. Djokovic, Federer und Nadal. Anfang des Jahres hatte Sinner seinen bisher größten Coup mit dem Sieg bei den Australian Open gelandet, zuvor war er Ende 2023 mit dem italienischen Team Davis Cup-Gewinner geworden. Sinner, der Naturbursche aus dem Pustertal, galt dabei stets als bodenständig, unprätentiös, natürlich – ein junger Mann mit einnehmendem Wesen, frei von jeder Arroganz oder Dünkelhaftigkeit.

Nun wird Sinner sich ganz neuen Herausforderungen stellen müssen, etwa dem Kampf gegen latentes Misstrauen, gegen Zweifel von Fans und professionellen Beobachtern. „Die Stimmung in der Kabine wird eine andere sein“, sagt ein europäischer Top 20-Spieler. Und die Bühne, auf der sich Sinner jetzt gleich zu beweisen hat, könnte größer und komplexer nicht sein – die schrillen, lauten, wilden US Open im Hexenkessel Flushing Meadows.

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