Isaak gewinnt ESC-Vorentscheid: Ein Sieger, der eigentlich pinkeln ...

17 Feb 2024

Als Barbara Schöneberger den Sieger des Abends noch einmal auf die Bühne gebeten hatte, musste Isaak Guderian vor allem an eines denken: »Ich muss so pinkeln, das kannst du dir gar nicht vorstellen!«

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Dass Schöneberger da spontan einen Spruch ihrer Oma parat hatte – »Jetzt muss man nicht!« –, war mal wieder ein Beispiel dafür, wie die Moderatorin sich durch praktisch jede Lebenslage hindurchplaudern kann. Aber der Sänger gewann mit seinem Geständnis gleich weitere Identifikationspunkte beim Publikum.

Moderatorin Schöneberger und Sieger Isaak: »Jetzt muss man nicht!«

Foto: Christoph Soeder / dpa

»Viel Wut, viel Zweifel, viel Enttäuschung, aber auch viel Hoffnung« beinhalte sein Song, hatte Isaak im Vorstellungsvideo gesagt, bevor er mit Startnummer 3 auf die Bühne im Fernsehstudio Berlin-Adlershof ging, um sich für die Teilnahme am Eurovision Song Contest zu bewerben.

Sein Titel »Always on the Run« ist ein kraftvoller Durchhaltepopsong, in dem es darum geht, sich durchschnittlich zu fühlen und doch besonders. Geschrieben mit einem Songwritingteam aus Finnland, Österreich und Spanien, geht sein »Run-na-na-hey«-Refrain schnell ins Ohr; als kleiner Produktionsgag drängt sich eine Art Elefantentrompeten zwischendurch ins Klangbild.

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Doch dass dieser Song letztlich sowohl bei den Jurys von Musikprofessionellen aus acht Ländern als auch beim TV-Publikum ganz vorn lag, dürfte vor allem an Isaaks Vortrag und Auftreten gelegen haben. Der Sänger spazierte über die Showbühne, als sei es ein ganz gewöhnlicher Freitagabend, und präsentierte seine eindrucksvolle Stimmgewalt. Zum Schluss ein entwaffnendes Lächeln in die Kamera und ein Abwinken, als im Studio die Standing Ovations erschallten.

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»Unfassbare« Konkurrenz

»Das war ein Pfund! Boah!«, rief die bestens aufgelegte ESC-Legende Mary Roos aus – die 75-Jährige hatte 1972 und 1984 Deutschland beim Grand Prix vertreten und merkte offenbar schon, dass da einer in ihre Fußstapfen treten könnte. Isaak passt in die Reihe von internationalen Sängern wie Rag ’n’ Bone Man oder Lewis Capaldi, die vielleicht nicht den klassischen Popstar-Schönheitsidealen entsprechen, aber mit emotionaler Kraft für sich einnehmen.

Couchgäste Ally Neumann, Riccardo Simonetti und Mary Roos

Foto: Adam Berry / Getty Images

Die Konkurrenz sei »unfassbar« gewesen, betonte der frisch gekürte Sieger am Ende und übertrieb damit dann doch ein wenig. Aber wer frühere , an Schultheater-Talentshows erinnernde Vorentscheide durchgestanden hat, musste einräumen, dass der für die ARD federführende NDR in diesem Jahr tatsächlich ein brauchbares Bewerberfeld zusammenbekommen hatte – und es auch ansehnlich zu präsentieren wusste.

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Bubble-Favorit Ryk: Schmachtsong mit Strahlern

Foto: Adam Berry / Getty Images

So sang der ESC-Bubble-Favorit Ryk aus Hannover sein Schmachtlied »Oh Boy« an den besten Freund, in den man sich verliebt hat, mit tiefem Dreiecksausschnitt zu Lichteffekten zwischen Schattenschlag und blau-rotem Strahlerblinken. Internationale Klasse hatte die Inszenierung der Niederländerin Bodine Monet, die ihren von ESC-Profis komponierten Song »Tears Like Rain« in einer Art Blätterwald begann. Der wurde zur Bühnendecke gezogen und schwebte fortan als eine Art Dornenkrone über ihr, bevor sich am Ende ein Lichterregen ergoss.

Niederländerin Monet: ESC-Profi-Auftritt

Foto: Christoph Soeder / dpa

Doch weder von solchen optischen Effekten ließen sich Jurys und Publikum nachhaltig überzeugen noch von den relativ großen Namen, die ESC-Geschichte heraufbeschwören sollten. Marie Reim, die Tochter von Matthias Reim und Michelle, trug ein rotes Kleid, das von dem ihrer Mutter inspiriert war, die 2001 in Kopenhagen für Deutschland »Wer Liebe lebt« sang. Marie Reims Haudraufschlager »Naiv«, bei dem sie von halbnackten Tänzern umringt war, kam aber womöglich doch ein bisschen arg billig daher.

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Sängerin Marie Reim mit Tänzern: Von Mamas Kleid inspiriert

Foto: Adam Berry / Getty Images

Etwas zu selbstsicher war womöglich Max Mutzke, 2004 in Istanbul mit der Stefan-Raab-Komposition »Can’t Wait Until Tonight« Achter: »Er macht’s wieder und er macht’s noch besser« führte er sich im Vorschaufilm ein. Aber wenngleich er stimmlich voll auf der Höhe war und die an Michael Schulte erinnernde Bühneninszenierung stimmig war, geriet Mutzkes Lied »Forever Strong« doch arg durchschnittlich. Am Ende wurde er bei den Jurys und beim Publikum Zweiter und zog den breitkrempigen Hut vor Isaak.

Max Mutzke beim zweiten ESC-Versuch: Stimme stark, Song mäßig

Foto: Christoph Soeder / dpa

Eine etwas mutigere Wahl gewesen wäre der auf Meme-Tauglichkeit getrimmte Neue-Deutsche-Welle-Elektrosong »Katze«, den das München-Mannheimer Duo Galant vor bildrauschenden Fernsehgeräten darbot. Auffällig war, dass der Titel bei den internationalen Jurys polarisierte – ein erster und zwei zweite Plätze standen neben vorletzten Rängen. Nach der von deutschen Delegationen oft beklagten Aufmerksamkeitslogik der ESC-Abstimmungen , die den guten Durchschnitt bestraft, aber Auffälliges belohnt, hätte das womöglich Punkte eingebracht.

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NdW-Duo Galant: Polarisierten bei den Jurys

Foto: Adam Berry / Getty Images

Isaak jedenfalls betonte, sein Siegersong sei »ideal für den ESC, weil er einfach echt ist. Weil er nicht versucht, irgendwas zu sein, was er nicht ist«. Diese Authentizität strahlten zumindest auch die wenigen Ausreißer nach oben in der traurigen deutschen ESC-Bilanz der vergangenen Jahre aus. Hoffentlich wird er sich diese Ausstrahlung auch auf der Riesenbühne von Malmö bewahren können. Und vielleicht fällt dem NDR-Team auch noch etwas mehr für die Videowand ein als willkürlich wirkende digitale Strahlen, die an eine Illustration der »Datenautobahn« aus den Neunzigerjahren erinnerten.

Routinierte Letzter-Platz-Witze

Der 28-jährige Isaak Guderian lebt in Espelkamp, einer nach dem Krieg als Flüchtlingsstadt entworfenen  ostwestfälischen Gemeinde, deren größter musikalischer Claim to Fame bisher war, der Geburtsort von Heinz Rudolf Kunze zu sein. Isaak nahm 2011 schon an der Castingshow »X Factor« teil, schlug sich dann als Sänger bei Hochzeiten und Betriebsfesten durch, bevor ihn Corona ins Hartz-IV-System trieb. Das erzählte er jedenfalls Jens »Knossi« Knossalla , dessen Onlineformat »Show Your Talent« Isaak 2021 gewann. Seither kümmert sich Knossis Management  auch um ihn.

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Isaak mit Siegerpokal: Authentizität als Rezept

Foto: Christoph Soeder / dpa

Doch nun übernimmt die ESC-Delegation des NDR, die trotz der Gerüchte, man wolle die Aufgabe lieber bald an einen anderen ARD-Sender weiterreichen, mit dieser Vorentscheidshow zeigte, dass man schon noch Lust auf die Eurovision hat. Dass Barbara Schöneberger zwischen routinierten Letzter-Platz-Witzen vor allem sich selbst, ihr Outfit und irgendwelche Zahnschmerzen in den Mittelpunkt stellt, nimmt man da einigermaßen gelassen hin – wie auch die wenig inspirierten Couchgespräche mit Florian Silbereisen oder Riccardo Simonetti.

Schöneberger im Mittelpunkt: Moderatorin als Vorsängerin eines Abba-Medleys mit den Kandidaten

Foto: Adam Berry / Getty Images

Am Ende zählt es am 11. Mai in Malmö vor einem Millionenpublikum weltweit. Dort wird Deutschland mit Isaak vorab nicht zu den Favoriten zählen, die nach dem Vorentscheid eingebrochenen Wettquoten deuten es schon an. Doch die Rolle des Underdogs passt zu Isaak. Und die Erwartungen zu Hause sind ja inzwischen sowieso niedrig, da kann er nur gewinnen.

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