Iran: Deutsche Geiseln in Angst

11 Tage vor
Iran

Da war sie wieder, die Stille des Telefons, die Mariam Claren so fürchtet. Keine Antwort von der Mutter auf Whatsapp, wenige Tage nachdem der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd am Montag in Iran hingerichtet wurde. Was ist diesmal mit der Mutter passiert? Haben sie sie wieder zurück in das Gefängnis oder gar in Einzelhaft gesteckt? Seit vier Jahren ist sie da, die ständige Angst. Seit jenem 16. Oktober 2020, als die Nachrichten auf Whatsapp zum ersten Mal ausblieben und ihre Mutter Nahid Taghavi in Iran verhaftet wurde.

Mit 17 Jahren ging Taghavi nach Italien, wo sie Architektur studierte. In den 80er-Jahren kam sie nach Deutschland, seit 2003 hat sie neben der iranischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Am 16. Oktober 2020 wurde sie in Iran inhaftiert, ihre Tochter in Deutschland erfuhr davon erst zwei Tage später. Sie wurde skeptisch, als Nachrichten an die Mutter unbeantwortet blieben. Also machten sich die beiden Brüder von Taghavi auf die Suche nach ihrer Schwester und fanden in ihrer verwüsteten Wohnung einen Zettel, auf dem stand, dass Nahid Taghavi inhaftiert wurde. „Den ersten Kontakt zu ihr gab es erst zwei Wochen nach der Verhaftung“, erinnert sich Claren. Da habe ihre Mutter für zehn Sekunden mit ihrem Bruder telefonieren können.

Immer wieder inhaftiert Iran Doppelstaatler, um Druck auf ihre Heimatländer auszuüben

Heute sitzt die 44-Jährige in ihrer Kölner Wohnung. Die Mutter mit elektronischen Fußfesseln im Hausarrest in ihrer Zweitwohnung in Iran. Nahid Taghavi kämpfte gegen das Kopftuch, für Frauenrechte und gegen das Schah-Regime. Heute ist sie ein politisches Faustpfand. Das Urteil: Sie habe Propaganda gegen den Staat betrieben und eine illegale Gruppe gegründet, um die nationale Sicherheit zu gefährden. Nach einem Schauprozess wurde sie zu zehn Jahren und acht Monate Haft verurteilt. Immer wieder inhaftiert die Islamische Republik Doppelstaatler, wie Nahid Taghavi, um Druck auf ihre Heimatländer auszuüben.

Wie dieses Machtspiel in seiner schlimmsten Form aussieht, zeigte sich Anfang dieser Woche, als die Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd bekannt wurde. Deutschland hatte Iran zuvor immer wieder vor den möglichen Folgen seiner Ermordung gewarnt. Das Mullah-Regime scherte sich nicht darum, Jamshid Sharmahd wurde trotzdem hingerichtet.

„Was bedeutet das für uns?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ein deutscher Staatsbürger staatlich ermordet werden kann“, sagt Mariam Claren. Claren war eng mit der Tochter des getöteten Jamshid Sharmahd befreundet. Gemeinsam haben die beiden Frauen in Deutschland auf das Schicksal ihrer Elternteile aufmerksam gemacht, sind von Ministerium zu Ministerium gezogen. „Jetzt, nach der Hinrichtung, fragt man sich natürlich: Was bedeutet das für uns? Gibt es überhaupt einen Plan, gab es jemals einen Plan, die Deutschen freizulassen? Der Schutz, den meine Mutter dachte zu haben, weil sie Deutsche ist, der ist jetzt weg“, sagt sie resigniert.

Wie viele deutsche Staatsbürger neben Nahid Taghavi noch in Iran inhaftiert sind, ist nicht öffentlich bekannt. Das Auswärtige Amt spricht von einer kleinen Zahl. Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wandte sich am Donnerstag an sie und ihre Angehörigen. Man sei den Menschen „zutiefst verpflichtet“ und werde sich weiter unermüdlich für ihre Freilassung einsetzen, betonte Baerbock. Nach der Entführung ihrer Mutter, so Claren, habe ihr das Auswärtige Amt geraten, zunächst Ruhe zu bewahren. Claren tat genau das Gegenteil und entschied sich bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Inhaftierung, an die Öffentlichkeit zu gehen. Seitdem kämpft sie unermüdlich für ihre Mutter. Sie hat ihren Vollzeitjob als Marketingmanagerin aufgegeben und setzt sich nun mit einer Menschenrechtsorganisation für die Freilassung der Geiseln in Iran ein. Der deutschen Bundesregierung wirft sie vor, sich zu wenig für ihre Bürgerinnen und Bürger in Iran einzusetzen. In Österreich gebe es zum Beispiel eine Taskforce, die sich genau um solche Fälle kümmere. Und Scholz? „Spricht lediglich von einem Skandal“, selten habe sie so einen kaltherzigen Menschen wie ihn gesehen, schrieb sie wenige Tage nach der Hinrichtung auf der Social-Media-Plattform X. Claren vermisst rote Linien der Bundesregierung.

Die Schließung der Generalkonsulate sei ein erster Schritt, aber er komme zu spät

Doch die Beziehungen zu Iran sind auf einem Tiefpunkt. Wie soll da noch Diplomatie funktionieren? Als Reaktion auf die Hinrichtung Sharmahds kündigte die Bundesregierung die Schließung der drei iranischen Generalkonsulate in Deutschland an. Für die rund 270 000 Menschen mit iranischem Hintergrund in Deutschland bedeutet dies, dass sie weniger Anlaufstellen haben, um beispielsweise neue Pässe zu beantragen. Der iranische Außenminister reagierte auf die Schließung mit einer Nachricht auf X. Darin legitimierte er die Hinrichtung und wies darauf hin, dass die konsularischen Abteilungen der iranischen Botschaft in Berlin und anderer nahegelegener diplomatischer Vertretungen verstärkt würden.

„Ja, das ist ein klares Zeichen an das Regime“, sagt Mariam Claren nach der Ankündigung. „Aber: Warum kommt das erst, nachdem ein Mensch sterben musste?“ In Deutschland hätte man ihrer Meinung nach viel früher mit der gebotenen Härte reagieren müssen. „Das hätte man schon bei dem Todesurteil machen können, um dann zu sagen: Wenn ihr unsere Geiseln freilasst, dann könnt ihr die Konsulate wieder öffnen“, sagt sie resigniert. Hätte. Würde. Wäre. Könnte. Die sogenannte Geiseldiplomatie ist ein Spiel mit der Ungewissheit. Und diese Ungewissheit begleitet Mariam Claren nun schon seit vier Jahren. „Es ist alles wahnsinnig anstrengend und belastend“, sagt sie.

Im Sommer 2022 wurde ihre Mutter zum ersten Mal in den medizinischen Freigang entlassen, weil ihr Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte, doch immer wieder wurde sie willkürlich zurück ins Gefängnis gebracht. „Im Moment ist sie wieder zu Hause – aber man weiß ja nie, was als Nächstes passiert. Es ist ein absoluter Schwebezustand“, sagt Claren. Seit der Ermordung von Jamshid Sharmahd hatte sie nur wenige Male Kontakt zu ihrer Mutter. Über viele Details könne man bei diesen Telefonaten nicht sprechen, es sei nie ganz klar, wer zuhört.

Die Sorge um ihre Mutter ist ihr ständiger Begleiter. Immer wieder überprüft Claren, wie es ihrer Mutter geht, ob sie noch zu Hause und in Sicherheit ist. Als sie am Donnerstag, kurz nach Sharmahds Hinrichtung, keine Antwort auf ihre Nachrichten erhält, ist die Sorge unbegründet, die Mutter war lediglich eingeschlafen. Mariam Claren wünscht sich, dass es fürs Erste so bleibt und sie sich keine Sorgen mehr über ihre Mutter im Gefängnis machen muss.

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